Mitte Januar hat die alljährliche Influenzasaison begonnen - in Europa ohne große Überraschungen. Wissenschaftler bleiben aber wachsam. Sie fanden heraus, dass Neuramidasehemmer meist zu zögerlich eingesetzt werden – und Antipyretika fatale Konsequenzen haben.
Alle Jahre wieder rollt eine Influenzawelle über die nördliche Hemisphäre. Daten des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) zufolge breiteten sich entsprechende Erkrankungsfälle vom Süden Europas aus. Ähnliche Informationen hat Google Flutrends aufgrund der Häufigkeit bestimmter Suchbegriffe ermittelt. In Bulgarien, Griechenland, Portugal und Spanien erkranken bereits jetzt deutlich mehr Menschen. Biologen isolierten vor allem die beiden Influenzaviren A(H1N1)pdm09 und A/H3. Deshalb bestünden laut ECDC gute Chancen auf einen guten Schutz durch die aktuelle Vakzine. Neue Vogelgrippe-Welle? In China machen zeitgleich mehr als 70 Todesfälle durch das aviäre Influenzavirus A/H7N9 Schlagzeilen. Auch haben Virologen der chinesischen Seuchenkontrollbehörde erstmals tödlich verlaufende Infektionen mit A/H10N8 beschrieben. Als Hauptübertragungsweg gilt - nicht weiter erstaunlich - Geflügel. Das Europäische Zentrum für Krankheitsprävention und Kontrolle (ECDC) warnt vor einer Epidemie in China und in angrenzdenden Ländern. Das Risiko importierter Fälle nach Europa sei als eher gering einzustufen.
Doch zurück nach Deutschland: Hier bewertet die Arbeitsgemeinschaft Influenza am Robert-Koch-Institut aktuelle Tendenzen. Sie ermittelt einen sogenannten Praxisindex, sprich eine Abweichung der Zahl akuter respiratorischen Erkrankungen (ARE) im Vergleich zum Standardlevel. Werte von bis zu 115 gelten als normaler Hintergrund. In der fünften Kalenderwoche war besagter Praxisindex geringfügig erhöht, vor allem in Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, im Saarland, in Schleswig-Holstein, Hamburg, Brandenburg, Berlin und Sachsen. Baden-Württemberg berichtet von einer etwa 30-jährigen Patientin, die sich neben Influenzaviren mit Bakterien infiziert hatte. Sie verstarb an den Folgen einer Pneumonie.
Mit schweren Verlaufsformen haben sich Ärzte am California Department of Public Health (CDPH) im Rahmen einer herstellerunabhängigen Studie befasst. Sie werteten Daten von 784 Kindern und Jugendlichen zwischen 0 und 17 Jahren aus, die wegen einer Influenza-Infektion stationär behandelt oder verstorben waren. Besonders bemerkenswert: Insgesamt erhielten 255 kleine Patienten Neuraminidase-Hemmer spätestens 48 Stunden nach Beginn ihrer Symptome. In dieser Gruppe verstarben 3,5 Prozent. Zum Vergleich: Erfolgte die gleiche Behandlung zwei Wochen nach Eintritt der Beschwerden, lag die Mortalität bei 26,1 Prozent. Auch nach der Berücksichtigung anderer Risikofaktoren wie Vorerkrankungen oder Sekundärinfektionen blieb der signifikante Benefit von Neuraminidasehemmern erhalten. Pädiater warnen jetzt vor dem zurückhaltenden Einsatz entsprechender Präparate. Gerade bei Kindern sei ein früher Therapiebeginn von entscheidendem Vorteil, schreiben sie in ihrer Publikation.
Ganz klar, hier ist von Einzelfällen die Rede. Momentan besteht kein Grund zur Annahme, dass pandemische Formen der Krankheit auftreten. Trotzdem haben Forscher des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT im Rahmen einer Studie mit mathematischen Methoden drei theoretisch mögliche Szenarien erarbeitet: Krisenzeichen trotz beherrschbarer Pandemielage und Folgen einer schlechten beziehungsweise allumfassenden Vorbereitung. Daraus ergaben sich zentrale Handlungsempfehlungen, die bereits heute gültig sind: antiepidemische Präventivmaßnahmen, antiepidemische Maßnahmen im Pandemiefall, Verbesserungen bei der Krisenkommunikation, gezieltere Trainings- und Übungsmaßnahmen sowie Optimierungen strategischer Programme zur Pandemievorbereitung. Bleibt noch das leidige Thema, mehr Bürger durch Impfungen zu schützen. Von der Immunisierung profitieren alle Menschen, sollten sie keine Vorerkrankung haben, die dagegen spricht.
Der kleine Unterschied: Warum Frauen und Männer anders auf Influenza-Impfungen ansprechen, hat David Furman zusammen mit Kollegen untersucht. Sein Team nahm 53 Frauen und 34 Männer in eine Studie auf. Alle erhielten handelsübliche Vakzine appliziert. Bei Probandinnen reagierte der Körper, indem sowohl mehr Antikörper als auch mehr Zytokine gebildet wurden – im Gegensatz zum vermeintlich starken Geschlecht. Furman vermutet dahinter mehrere Gene, die auf das männliche Sexualhormon Testosteron reagieren. Es kam zur Dämpfung des Immunsystems. Auch reagieren Männer, die per se höhere Testosteronspiegel aufweisen, deutlich schwächer auf Impfungen. Ob sich daraus Empfehlungen für die Praxis ableiten lassen, ist noch unklar.
Reißen alle Stricke, bleiben noch OTC- Antipyretika. Diese senken – wie schon lange bekannt – die Körpertemperatur und bremsen das Immunsystem. Ältere Arbeiten zeigen, dass entsprechende Arzneistoffe die Krankheitsdauer dadurch eher verlängern. David J. D. Earn aus Ontario, Kanada, argumentiert noch ganz anders. Patienten fühlen sich durch Antipyretika schneller fit und begeben sich wieder unter die Menschheit. Im Bus oder im Büro infizieren sie weitere Personen. Basierend auf Simulationen und teils gewagten Annahmen gehen laut Earn ein bis fünf Prozent aller Todesfälle indirekt auf das Konto fiebersenkender Arzneistoffe. Die Zahlen selbst seien zwar großen Schwankungen unterworfen, gesteht der Forscher selbst ein. An der Grundproblematik ändert sich jedoch nichts. Bleibt noch als Empfehlung, auf Bettruhe zu achten.