Das eigene Baby mit fremder Muttermilch füttern? Seit kurzem gibt es die erste deutsche Muttermilch-Börse im Internet. Für manche ein Segen, für andere ein gefährliches Unterfangen.
„Trotz allen medizinischen Fortschritts – nichts kann, was Muttermilch kann! Muttermilch reduziert die Anzahl von Infektionen bei Babys um 40 bis 70 Prozent, sie vermindert Krankenhausaufnahmen im ersten Lebensjahr um mehr als 50 Prozent, sie lässt Gehirngewebe schneller wachsen und erhöht messbar den IQ, sie kann Säuglinge vor dem plötzlichen Kindstod bewahren und mindert enorm das Risiko, Allergien zu entwickeln – kurz – sie ist die perfekte Nahrung für ein Baby“, heißt es auf der Ende Januar ins Leben gerufenen Webseite der Muttermilch-Börse. Hier treffen Mütter aufeinander, die entweder zu viel oder zu wenig Milch für ihr Baby produzieren. Etwa 35 junge Frauen bieten derzeit ihre überschüssige Milch auf der Muttermilch-Börse an. Die Preise für das kostbare Gut rangieren von einem bis etwa 8 Euro pro 100 Milliliter und werden von den Spenderinnen selbst festgesetzt. Auch Ammendienste sind im Angebot. Kann die abgepumpte Milch nicht persönlich abgeholt werden, wird sie eingefroren und per Kurier über Nacht verschickt. Die Muttermilch-Börse rät zu einer persönlichen Übergabe, da sich in der Muttermilch leicht Bakterien vermehren können, wenn die Kühlkette unterbrochen wird.
Hinter dem Projekt steht Tanja Müller (37), Mutter von zwei Kindern. „Beim ersten Kind wollte es zunächst partout nicht mit dem Stillen klappen und beim zweiten produzierte ich viel zu viel Muttermilch. In beiden Fällen hatte ich ganz selbstverständlich versucht, zum Tauschen mit anderen Müttern in Kontakt zu treten – vergeblich“, beschreibt die Initiatorin der Milchbörse ihre Beweggründe, die Plattform ins Leben zu rufen. Ein dreimonatiges Verkaufsinserat kostet knapp 5 Euro, das deckt die Kosten für die Webseite.
In Deutschland gibt es derzeit 11 Frauenmilchbanken, die allesamt in Krankenhäusern angesiedelt sind. Die Milch kommt dort schwer kranken oder zu früh geborenen Babys zugute. Alle Milchspenderinnen werden jedoch genauso detailliert wie bei einer Blutspende untersucht, denn über die Muttermilch können Krankheitserreger wie HIV oder die Auslöser für Hepatitis und Syphilis übertragen werden. Auch Drogen- oder Medikamentenrückstände in der Muttermilch können dem Baby erheblichen Schaden zufügen. Für den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. ist die Muttermilch-Börse im Internet ein unkalkulierbares Risiko: „Muttermilch ist das Beste für einen Säugling, sie enthält alle Nährstoffe in optimaler Zusammensetzung, sie beugt der Entwicklung von Allergien und Infektionskrankheiten vor und sorgt für eine gesunde Entwicklung. Wir warnen dennoch davor, Muttermilch über das Internet zu beziehen“, so Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Verbandes. Denn keine Mutter könne kontrollieren, ob die fremde Muttermilch für das eigene Kind unbedenklich sei.
Die Muttermilch-Börse arbeitet zwar mit dem Institut für Milchuntersuchung in Verden zusammen, doch dort können längst nicht alle wichtigen Parameter erfasst werden. Das auf Kuhmilch spezialisierte Labor bietet lediglich Untersuchungen auf Antibiotikarückstände und die Bestimmung der somatischen Zellzahl an, die Hinweise auf entzündete Milchdrüsen oder auf eine unspezifische Abwehrreaktion geben kann. Zusätzlich können der pH-Wert als Frischeparameter ermittelt und verschiedene Bakterien in der Milch nachgewiesen werden. Ob die Milch gestreckt wurde, kann man über den Eiweiß-, den Laktosegehalt und den Gefrierpunkt messen. Die Angaben der Spenderinnen zu schweren Erkrankungen erfolgen jedoch auf Vertrauensbasis. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, sollte die entsprechenden Tests vor dem Erwerb der Muttermilch von der Spenderin einfordern, rät die Muttermilch-Börse. Doch auch das genügt dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte nicht. „Selbst keim- und giftstofffreie Milch einer fremden Mutter ist unter Umständen nicht gut für das Kind. Muttermilch passt sich in ihrer Zusammensetzung stets aufs Neue den Bedürfnissen der Säuglinge an. Kurz nach der Geburt benötigen Babys mehr Nährstoffe als im Alter von einigen Wochen oder Monaten“, so Hartmann. Die Milch einer Frau, die bereits ein älteres Kind habe, enthalte nicht die richtige Nährstoffzusammensetzung für ein Neugeborenes. Frauen, die nicht stillen können, rät der Berufsverband zu industriell hergestellter Säuglingsmilch. „Diese kann ohne Bedenken gefüttert werden“, so Hartmann.
Das sieht Tanja Müller anders. Um jedem Baby eine altersgerechte Milch anbieten zu können, müssen die Mütter in der Verkaufsanzeige auch das Alter ihres Kindes angeben. Denn Industriemilch ist für die gelernte Hotelfachfrau keine Alternative: „Wir sind es gewohnt, unseren menschlichen Kindern Körperflüssigkeiten von Kühen zu geben, die ja zum Teil auch mit Antibiotika oder Hormonen belastet sind. Da muss man einfach zu einem natürlicheren Weg zurückfinden. Für Menschenkinder ist Menschenmuttermilch nun mal das Beste“, sagte die zweifache Mutter in einem Fernsehinterview. Doch bisher gibt es hierzulande keine Möglichkeit, mit einem gesunden Baby an überschüssige Muttermilch zu kommen.
Von einem Muttermilchaustausch über das Internet rät auch Prof. Dr. Andreas Schulze, Leiter der Neonatologie am Universitätsklinikum Großhadern mit angeschlossener Muttermilchbank, ab: „Grundsätzlich ist humane Milch gesünder für ein Baby als auf Kuhmilchbasis industriell hergestellte Milch. Doch solange die Sicherheit der Milch nicht ausreichend geprüft wurde, können wir einem Austausch von Muttermilch nicht zustimmen.“ Die Frühchen im Universitätsklinikum Großhadern bekommen zwar von fremden Müttern gespendete Muttermilch, die Spenderinnen wurden jedoch zuvor streng kontrolliert, ihre Milch wird unter Aufsicht im Klinikum entnommen, wiederholt mikrobiologisch getestet, und unmittelbar im Anschluss schockgefroren. Prof. Schulze resümiert: „Die gesundheitlichen Risiken, die von einer industriell gefertigten Milch ausgehen, stehen in keinem Verhältnis zu den Risiken unkontrolliert gespendeter Milch.“
Da das Webportal die Angaben der Mütter nur darstellt, aber nicht im Verkaufsprozess involviert ist, gibt es derzeit noch keinerlei Zahlen über die tatsächliche Nachfrage oder getätigte Verkäufe. „Ich weiß nur durch Erzählungen oder durch Nachfragen der Mütter z. B. in Sachen Testlabor oder Versand, dass bereits Milchverkäufe getätigt wurden. Eine Mutter beispielsweise ließ die Milch direkt ins Krankenhaus senden, wo ihr Frühchen lag und das Krankenhaus übernahm hier die bakteriologischen Tests.“ An den Verkaufsaktivitäten ist die Initiatorin der Seite nicht beteiligt: „Ab dem Moment, wo eine Interessentin den „Kontaktieren Button“ der Inserierenden drückt, sind wir raus und alles Weitere läuft rein privat zwischen den Müttern.“ Wer welchen Test durchführen lässt, bevor die fremde Milch verkauft und verfüttert wird, bleibt Privatsache.