Höher entwickelte Säugetiere, so wie der Mensch, haben ein auffallend größeres Gehirn als andere Säugetiere. Wissenschaftler haben jetzt einen neuen Mechanismus entdeckt, wie sich Hirn-Stammzellen vermehren.
Dadurch wird die Produktion von Nervenzellen während der Entwicklung erhöht. So kommt es zu einer Vergrößerung der Großhirnrinde – des Teils des Hirns, der uns Menschen das Sprechen, Denken oder Träumen ermöglicht. Die Überraschung für die Wissenschaftler des Dresdner Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik: zwei Komponenten im Milieu der Stammzellen arbeiten mit einem auf der Zelloberfläche sitzenden Eiweißmolekül, einem sogenannten Integrin, zusammen – extrazelluläre Matrix und Schilddrüsenhormone. Deshalb kann ein Jodmangel während der Schwangerschaft fatale Folgen für das ungeborene Baby haben und zu einer Fehlentwicklung des Gehirns führen – denn ohne Jod werden keine Schilddrüsenhormone gebildet. „Unsere Studie hat diesen Zusammenhang jetzt aufgezeigt und eine mögliche Erklärung für das, was Neurologen als Kretinismus bezeichnen, geliefert“, so Wieland Huttner, Direktor am Dresdner Max-Planck-Institut. Diese neurologische Störung geht mit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der mentalen Fähigkeiten einher. Während der Evolution haben höher entwickelte Lebewesen ein größeres Gehirn ausgebildet und verfügen damit über bessere geistige Fähigkeiten. Andere Säugetiere, wie etwa Mäuse, haben im Vergleich zum Menschen ein rund tausendmal kleineres Hirn. Die Dresdner Forscher wollten, zusammen mit dem Fritz-Lipmann-Institut in Jena, herausfinden, welche Faktoren die Hirnentwicklung beeinflussen und wie sich während der Evolution größere Gehirne ausbilden konnten.
Nervenzellen des Gehirns werden aus sogenannten basalen Vorläuferzellen gebildet, die sich beim Menschen, nicht aber bei Mäusen, vermehren können. Beim Menschen sind die basalen Vorläuferzellen von einem speziellen Milieu – der extrazellulären Matrix – umgeben, die von den Zellen selbst gebildet wird. Wie ein kuscheliges Bett umgibt es die sich vermehrenden Zellen. Mäusen fehlt diese Matrix, wodurch letztendlich weniger Nervenzellen und ein kleineres Gehirn gebildet werden. Die Wissenschaftler testeten nun, ob Mäuse mehr basale Vorläuferzellen bilden, wenn sie ein entsprechendes Milieu der Zellen simulieren. Das Ergebnis: „Wir haben den Hirn-Stammzellen mit Hilfe eines stimulierenden Antikörpers eine extrazelluläre Matrix vorgegaukelt. Der Antikörper aktiviert das Integrin auf der Oberfläche der Vorläuferzellen, so dass mehr basalen Vorläuferzellen entstehen“, sagt Denise Stenzel, die die Experimente leitete. Hirn-Stammzellen (rot) in der embryonalen Großhirnrinde der Maus (Zellkerne: blau).© MPI f. molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden/ D. Stenzel
Schilddrüsenhormone waren bereits als weitere wichtige Faktoren bekannt, die die Nervenzellbildung beeinflussen. Die Forscher haben deshalb die Bildung dieser Hormone in schwangeren Ratten blockiert und auf diese Weise untersucht, ob ihre Abwesenheit wirklich die Zellproduktion verhindert. In den Embryos entstanden dadurch weniger Vorläufer- und folglich Nervenzellen, was zu Fehlbildungen führen könnte. Der Antikörper als Matrix-Ersatz allein, konnte nicht dafür sorgen, dass sich ausreichend Vorläuferzellen bildeten. Eine Kombination von Matrix und Schilddrüsenhormonen ist also unbedingt notwendig, um ausreichend Zellen für die Hirnentwicklung zu bilden. „Menschliche Hirn-Stammzellen produzieren das richtige Milieu von Natur aus. So haben wir Menschen vermutlich im Laufe der Evolution ein größeres Gehirn ausgebildet“, fasst Wieland Huttner, Direktor am Max-Planck-Institut, die Studie zusammen. Ein weiterer wichtiger Befund der Untersuchung: „Wir haben auch die Bedeutung von Jod für die embryonale Gehirnentwicklung auf zellulärer Ebene erklären können“, so Stenzel. Schilddrüsenhormone benötigen zur Entstehung Jod. Ein Jodmangel in der Schwangerschaft kann daher zu einer Fehlentwicklung des Gehirns führen. Originalpublikation: Integrin αvβ3 and thyroid hormones promote expansion of progenitors in embryonic neocortex Denise Stenzel et al.; Development, doi: 10.1242/dev.101907; 2014