Ein neues Medikament zur Behandlung von Lungenkrebs bei erwachsenen Patienten hat im September 2013 die Zulassung erhalten. Ob dieser neue Wirkstoff gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie einen Zusatznutzen bietet, hat jetzt das IQWiG mit einer frühen Nutzenbewertung überprüft.
Seit September 2013 ist Afatinib (Handelsname GIOTRIF) zugelassen zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit lokal fortgeschrittenem bzw. metastasiertem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) mit aktivierenden EGF-Rezeptor-Mutationen, die noch nicht mit einem EGF-Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitor (EGFR-TKI) behandelt wurden. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat mit einer frühen Nutzenbewertung gemäß Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) überprüft, ob dieser neue Wirkstoff gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie einen Zusatznutzen bietet. Nur für nicht vorbehandelte Patienten in relativ gutem Allgemeinzustand (ECOG-PS 0 oder 1) lagen laut IQWiG verwertbare Daten vor. Demnach gebe es bei Trägern der EGFR-Mutation Del19 einen Hinweis auf einen erheblichen Zusatznutzen und bei unter 65-jährigen Trägern der Mutation L858R einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen von Afatinib. Bei Patienten mit anderen EGFR-Mutationen habe das Institut dagegen einen Hinweis auf einen geringeren Nutzen gegenüber der Vergleichstherapie ermittelt. Für vorbehandelte Patienten habe der pharmazeutische Unternehmer laut IQWiG keine relevanten Daten vorgelegt.
Ist ein sogenanntes nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom lokal fortgeschritten oder hat es bereits Metastasen gebildet, könne es unter Umständen nicht mehr operativ entfernt werden. Neue Wirkstoffe wie Tyrosinkinase-Inhibitoren sollten dann spezifisch die Wachstumssignale unterbrechen, die Rezeptoren an der Oberfläche von Tumorzellen empfangen und ins Zellinnere weiterleiten. Wie gut Patienten auf solche Substanzen ansprechen, hinge unter anderem davon ab, ob in ihren Tumorzellen bestimmte Mutationen aufgetreten sind, die die Rezeptoren aktivieren. Der Tyrosinkinase-Inhibitor Afatinib sei nur für die Behandlung von Patienten zugelassen, in deren Gewebeproben aktivierende Mutationen im EGFR-Gen nachgewiesen wurden.
Je nach Vorbehandlung der Patienten und nach ihrem Allgemeinzustand (eingeteilt nach dem Eastern Cooperative Oncology Group Performance Status, kurz ECOG-PS) hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) mehrere zweckmäßige Vergleichstherapien festgelegt: Bei nicht vorbehandelten Patienten solle Afatinib entweder mit einem anderen Tyrosinkinase-Inhibitor (Gefitinib oder Erlotinib) oder – wenn sie den ECOG-PS 0 oder 1 hatten – mit einer Kombinations-Chemotherapie mit Cisplatin und einem Drittgenerationszytostatikum verglichen werden. Bei nicht vorbehandelten Patienten mit ECOG-PS 2, also schlechterem Allgemeinzustand, solle der neue Wirkstoff mit dem Drittgenerationszytostatikum Gemcitabin verglichen werden. Für Patienten, die bereits mindestens eine Chemotherapie hinter sich hatten, seien ebenfalls Gefitinib oder Erlotinib als Vergleichstherapie vorgesehen.
Der pharmazeutische Unternehmer habe in seinem Dossier Daten aus einer einzigen randomisierten kontrollierten Studie eingereicht (LUX-Lung 3). Deren nicht vorbehandelte Teilnehmer hätten zu Beginn den ECOG-PS 0 oder 1 gehabt und seien entweder mit Afatinib oder mit einer Kombination aus Cisplatin und dem Drittgenerationszytostatikum Pemetrexed behandelt worden. Der Ansicht des Herstellers, dass sich die Ergebnisse der Studie LUX-Lung 3 auch auf nicht vorbehandelte Patienten mit ECOG-PS 2 übertragen ließen, folge das IQWiG nicht. Für vorbehandelte Patienten habe der Hersteller laut der Aussage des Instituts Daten aus einer einarmigen Studie vorgelegt, die aufgrund des fehlenden Vergleichs gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht geeignet seien, einen Zusatznutzen zu bewerten. Für nicht vorbehandelte Patienten mit ECOG-PS 2 sowie für chemotherapeutisch vorbehandelte Patienten sei somit der Zusatznutzen von Afatinib gegenüber der jeweiligen zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht belegt.
In der Studie LUX-Lung 3 sei Afatinib so lange einmal täglich verabreicht worden, bis die Krankheit fortschritt, die Therapie nicht mehr vertragen wurde oder Arzt oder Patient einen Behandlungsabbruch verlangten. Auch die Vergleichstherapie „Cisplatin mit Pemetrexed“ könnte laut IQWiG vorzeitig abgebrochen werden, sie käme aber höchstens über sechs Zyklen zu je 21 Tagen zur Anwendung. Dies führe zu deutlichen Unterschieden in den medianen Behandlungsdauern zwischen dem Afatinib-Arm (336 Tage) und dem Vergleichsarm (105 Tage). Die Aussagesicherheit der Ergebnisse zu Symptomen und Lebensqualität sei dadurch eingeschränkt gewesen. Die Daten zu Nebenwirkungen seien so unsicher gewesen, dass nur qualitative Aussagen getroffen werden könnten.
Der Effekt von Afatinib bei nicht vorbehandelten Patienten mit ECOG PS 0 oder 1 hinge davon ab, welche EGFR-Mutation in den Tumoren der Patienten vorliegt. Für Betroffene mit einer Del19-Mutation ergebe sich insgesamt ein Hinweis auf einen erheblichen Zusatznutzen, denn beim Gesamtüberleben schneide Afatinib laut IQWiG besser ab als die Kombinations-Chemotherapie, und bei der Symptomatik und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität würden – teilweise altersabhängig – die positiven Effekte überwiegen. Bei einer L858R-Mutation zeige sich im Gesamtüberleben kein statistisch signifikanter Effekt. Aber für Patienten unter 65 Jahren würden bei den Symptomen und der Lebensqualität insgesamt die Vorteile von Afatinib überwiegen, woraus für diese Patienten ein Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen resultiere. Hätten die Patienten dagegen eine andere EGFR-Mutation als Del19 oder L858R, würden die Studiendaten lat IQWiG darauf hinweisen, dass sie von Afatinib einen geringeren Nutzen hätten als von der Kombination aus Cisplatin und Pemetrexed.