Antidepressiva lösen bei etwa jedem zehnten Patienten mit einer schweren Depression Suizidgedanken aus. Ein neuer Test soll das Risiko der Patienten vor der Behandlung vorhersagen können.
2 bis 9 Prozent der Patienten mit einer schweren Depression nehmen sich das Leben. Obwohl Antidepressiva zu den effektivsten Therapeutika für Menschen mit schweren Depressionen zählen, kam die Kontroverse auf, ob diese Medikamente – insbesondere die Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) – mit dem Auftreten und der Intensivierung suizidaler Gedanken in Zusammenhang stehen könnten. Grundsätzlich belegen mehrere Studien einen Rückgang von Suiziden während der Behandlung mit Antidepressiva. Dennoch gibt es Hinweise, dass eine Subgruppe von Patienten von immerhin 4 bis 14 Prozent während der ersten Wochen nach Beginn einer Behandlung oder nach einer Dosisanpassung des Antidepressivums Suizidgedanken entwickelt, die zuvor trotz der Depression nicht vorhanden waren. „Es gibt zwar keine Studie, die einen derartigen Zusammenhang eindeutig beweisen könnte, aber es gibt robuste Hinweise, dass etwa jeder zehnte Patient von diesem Phänomen betroffen ist“, erklärt Dr. Andreas Menke vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München.
Auf der Basis einer Metastudie versah die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA vor etwa zehn Jahren eine Reihe von Antidepressiva mit einer sogennanten Black-Box-Warnung auf der Verpackung. Demnach seien vor allem junge Patienten unter 25 Jahren einem erhöhten Risiko ausgesetzt, nach der Einnahme dieser Antidepressiva suizidale Gedanken zu entwickeln. Europäische Behörden zogen nach und die Verunsicherung unter den Patienten wuchs. Doch der gut gemeinte Ansatz verlief anders als geplant. „Mit der Warnung erreichte man genau das Gegenteil: In der Folge gingen die Verschreibungszahlen von Antidepressiva zurück, was wiederum mehr Suizide nach sich zog“, so Dr. Menke. Studien aus den Jahren 2007 und 2008 zufolge betraf der Rückgang an Antidepressiva in der Behandlung von schweren Depressionen nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene. Seitdem setzt sich dieser Trend fort – ohne ausreichende Therapiealternativen.
Suizidgedanken gibt es zwar auch bei Patienten mit schweren Depressionen, die psychotherapeutisch behandelt werden, eine Metaanalyse an etwa 14.500 Patienten zeigte jedoch, dass diese signifikant häufiger bei Patienten auftreten, die mit einem Antidepressivum behandelt werden. Trotz redlicher Bemühungen gibt es bisher keine Vorhersagemöglichkeiten, welche Patienten von diesem Phänomen betroffen sein werden. Dr. Menke und seine Kollegen haben bereits vor drei Jahren im Rahmen einer Studie nach molekularen Markern im Genom von Patienten mit schweren Depressionen gesucht, die eine Vorhersage zur Entwicklung suizidaler Gedanken unter einer Therapie mit Antidepressiva zulassen könnten. „Eine verlässliche Vorhersage würde Arzt und Patient mehr Sicherheit in der Therapie verleihen“, erläutert der Arzt die Vorzüge. „Je nach Schwere der Erkrankung könnte man eine psychotherapeutische Behandlung einer medikamentösen Therapie vorziehen, oder den Patienten zur besseren Überwachung stationär aufnehmen“, fügt er hinzu. Auch Beruhigungsmittel könnten Suizidgedanken entgegenwirken.
Und die Wissenschaftler waren erfolgreich. Insgesamt fanden sie 79 genetische Marker, die bei Patienten, die gerade mit einer medikamentösen Therapie begonnen hatten, signifikant mit einer erhöhten Anfälligkeit für Suizidgedanken assoziiert waren. „In einer weiteren unabhängigen Untersuchung konnten wir in etwa 90 Prozent aller Fälle den richtigen Risikostatus klassifizieren“, so Dr. Menke. Aus diesen Markern wird ein industrieller Partner aus den USA nun einen Bluttest entwickeln, der an zahlreiche Psychiater verteilt werden wird. Diese werden die Verlässlichkeit des Tests in einer prospektiven Studie an ihren Patienten erneut prüfen. Sollte dieser letzte Test ebenso erfolgreich sein, strebt der Industriepartner des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie eine FDA-Zulassung an. Dr. Menke dazu: „Unser Partner hat auch das europäische Patent lizenziert, sodass wir davon ausgehen, dass der europäische Markt folgen wird.“