Generika helfen seit mehr als 20 Jahren, die Ausgaben der Pharmakotherapie zu senken. Im Jahr 2006 kamen die ersten Biosimilars auf den Markt. 2014 werden erstmals mehr Biologika generisch als chemische Wirkstoffe. Grund für einen kritischen Blick auf die innovative Substanzklasse.
Alle Biosimilars sind rekombinante Proteine. Beispielsweise Somatropin, Filgrastim, Epoetin, Interferon alfa oder Follitropin alfa. Im Gegensatz zu Generika handelt es sich nicht um identische Kopien des Originals, sondern lediglich um ähnliche Wirkstoffe. Zwar sehr ähnlich, aber eben nicht gleich. Und genau darin sehen Kritiker potenzielle Risiken. Ein bekanntes Molekül von der Größe der Acetylsalicylsäure herzustellen, galenisch zu verpacken und zu vermarkten, ist in hoher Qualität problemlos möglich. Biosimilars sind aber riesige, hoch komplexe und empfindliche Moleküle. In etwa trifft der Größenvergleich von Orange und Kölner Dom zu ASS und monoklonalem Antikörper zu. Jeder Originalhersteller hütet seinen komplizierten Herstellungsprozess wie seinen Augapfel. Soll das Molekül nachgebaut werden, muss ein Zweitanbieter einen vergleichbaren Prozess kostenintensiv entwickeln.
Generika sind gemäß den Richtlinien des Europäischen Parlaments „Arzneimittel, die die gleiche qualitative und quantitative Zusammensetzung von Wirkstoffen und die gleiche Darreichungsform wie das Referenzarzneimittel aufweisen und deren Bioäquivalenz mit dem Referenzarzneimittel durch geeignete Bioverfügbarkeitsstudien nachgewiesen wurde“. Biosimilars sind deutlich komplexere Moleküle mit einem Molekulargewicht zwischen 5.000 und 145.000 Dalton. In Einzelfällen beträgt das Molekulargewicht sogar bis zu 500.000 Dalton. Zum Vergleich: ASS hat ein Molekulargewicht von 180 Dalton. Bei Proteinen ist die biologische Funktion nicht nur von der Struktur abhängig, die durch kovalente Bindungen vorgegeben ist. Von extremer Bedeutung ist zusätzlich die sogenannte Tertiärstruktur. Diese wird beispielsweise durch Wasserstoffbrückenbindungen und andere Kräfte beeinflusst. Bei einer Million Moleküle ist es schon mal denkbar, dass eines davon beim Kopiervorgang an einer anderen Stelle landet oder ein Kohlenstoffatom fehlt. Würde man den Kölner Dom 1 : 1 nachbauen und nur ein Fenster vergessen, wäre es eine fehlerhafte Kopie. Dies kann zu einer Beeinträchtigung der Wirkung führen oder auch mit einer erhöhten Immunogenität einhergehen. Die allergene Potenz des Klons kann ansteigen.
Die Anforderungen für die Zulassung eines Biosimilars sind andere als für Generika. Der Umfang der präklinischen Daten ist erheblich geringer, die Zahl der Probanden auch. Für jedes Biosimilar wird eine Fall-zu-Fall Prüfung der Zulassungsbehörden festgelegt. Wird das Produkt zugelassen, erstellt die EMEA einen EPAR (European Public Assessment Report), in dem die wichtigsten Charakteristika des Produktes sowie entscheidende Schritte während des Zulassungsprozesses zusammengefasst sind. Die Prüfungen der Agentur umfassen keine Empfehlungen zu der Frage, ob ein Biosimilar-Arzneimittel und sein Referenzarzneimittel austauschbar angewendet werden sollten. Die EMEA betrachtet Biosimilars als ähnliche Arzneistoffe und strebt gar keine Gleichheit an, weil sie nicht möglich ist: Gemäß der „Overarching Guideline“ der EMEA (Guideline on Similar Biological Medicinal Products, CHMP/437/049 2) ist es ausreichend, die Ähnlichkeit unter besonderen Umständen basierend auf pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Daten zu zeigen. Die Behörde scheint mit der Zulassung dennoch eine Austauschbarkeit mit dem Vergleichsprodukt zu bescheinigen. Das kann man aus der Tatsache ableiten, dass dem Biosimilar dieselbe Wirkstoffbezeichnung (International Nonproprietary Name, INN) zusteht wie dem Vergleichsprodukt. Das lässt den Verdacht aufkommen, es handele sich um Biogenerika. Eine klare Identifizierbarkeit der einzelnen Biosimilars, etwa durch Suffixe griechischer Buchstaben (beispielsweise Epoetin γ, δ, ε usw.) würde hier Abhilfe schaffen.
Die WHO diskutiert derzeit darüber, ob biosimilare Wirkstoffe andere INNs erhalten sollten als die Innovatorprodukte. Gemäß Art. 102 e der Richtlinie 2001/83/EG müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass sämtliche biologische Arzneimittel bei Meldung eines Verdachtsfalls einer Nebenwirkung eindeutig identifiziert werden können, und zwar durch die Angabe der Chargenbezeichnung und des Namens des Arzneimittels. Diese Richtlinie wurde in Deutschland nur unzureichend umgesetzt: Es besteht lediglich eine Auflagenbefugnis der Bundesoberbehörde im Sinne einer Kann-Bestimmung, die gemäß Begründung dazu dient, „im Einzelfall geeignete Maßnahmen zur besseren Identifizierbarkeit“ als Auflage zu erteilen. Indikationserweiterungen können kostengünstig durch Extrapolation erfolgen. Das bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit nimmt zur Vergleichbarkeit wie folgt Stellung: „aus gegebenem Anlass weisen wir darauf hin, dass Nachahmerarzneistoffe zu biologischen Arzneimitteln, sogenannte Biosimilars, nicht als Generika angesehen werden können und somit auch nicht den gesetzlichen Regelungen des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) für Generika unterliegen. Denn der Wirkstoff von Biosimilars ist nicht völlig identisch zum Originalwirkstoff, so dass die Voraussetzungen von § 24 Abs. 2 des Arzneimittelgesetztes (AMG) nicht erfüllt sind“.
Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (VfA) hat klare Vorgaben zu Biosimilars gemacht:
Noch nicht abschließend geklärt ist, wie die Nachverfolgbarkeit des Einsatzes der Biosimilars umgesetzt werden wird und wie ein unkontrollierter Austausch zwischen Referenz- und Biosimilarprodukten vermieden werden kann. Dass der VfA klare Vorgaben anmahnt, ist begrüßenswert – aber natürlich sind diese Forderungen nicht ganz uneigennützig, sondern von eigenen wirtschaftlichen Interessen geprägt.
Selbstverständlich müssen die Produkte auch ihre Bioverfügbarkeit nachweisen. Doch dieser Nachweis verleitet zu einer trügerischen Sicherheit. Damit sich das Produkt bioäquivalent nennen darf, darf der Spiegel im Vergleich zum Original 20 Prozent nach unten und 25 Prozent nach oben abweichen. Im Extremfall wären das 45 Prozent. Bei Substanzen, die in komplexe hormonelle oder immunologische Regelprozesse eingreifen, ein heikles Unterfangen. Andererseits beweist die Bioverfügbarkeit ja nur, dass das Biosimilar zu einem bestimmten Prozentsatz am Wirkort ankommt. Befindet sich in der Kopie ein Fehler, gelangt aber auch dieser, quasi trojanisch, in die Zielzelle. Ob damit eine identische Wirkung gegeben ist, ist kein Kriterium bei der Bioäquivalenz. Die unterschiedliche, länderspezifische Nomenklatur verdeutlicht das Problem:
Wie komplex der Versuch einer exakten Kopie ist, zeigen die abgelehnten Zulassungsanträge oder Nebenwirkungen von Biologika:
Der VfA äußerte sich zu der Problematik und zeigt sich skeptisch: „Es ist weder wissenschaftlich begründbar, noch im Hinblick auf die Patientensicherheit vertretbar, einfach anzunehmen, dass ein Biosimilar die gleichen klinischen Eigenschaften wie das Präparat des Originalherstellers aufweist.“ Dem Aspekt der Immunogenität muss bei allen Biopharmazeutika, so auch bei biosimilaren Epoetinen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Durch die Proteinstruktur ist das Risiko zur Bildung von Antikörpern besonders hoch. Dies zeigte sich auch durch das Auftreten einer isolierten Erythroblastopenie (Pure red cell aplasia, PRCA) infolge der Bildung neutralisierender Antikörper gegen Epoetin bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz, die mit s.c. applizierten Epoetin alfa behandelt wurden. Bei Epoetin alfa ist etwa 15-mal häufiger mit PRCA zu rechnen als bei dem sehr ähnlichen Epoetin beta. Epoetin ist ein Glykoprotein mit einem Polypeptidgrundgerüst. Eine Schwachstelle in den Molekülen sind die Kohlenhydratseitenketten. Die Struktur dieser instabilen Verbindungen wird nicht durch den genetischen Code des transfiszierten Gens festgelegt; sie ist von verschiedenen Faktoren abhängig, wie von der Wirtszelle, vom Zellkulturmedium und vom Reinigungsprozess. Neu zugelassen wurde von drei Firmen Follitropin alfa als Biosimilar. Das Fertilitätshormon weist viele Gemeinsamkeiten zu Epoetin auf, u. a. die Kohlenhydratseitenketten und das Polypeptidgrundgerüst. Da ist nicht auszuschließen, dass sich die Nebenwirkungen der Epoetine auch bei Follitropin wiederfinden könnten. Von Follitropin beta existiert noch kein Biosimilar.
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) betrachtet das Risiko der Biosimilars als gering, sieht jedoch einen Wechsel im Therapiezyklus als kritisch: „Aus Sicht der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) wird der therapeutische Einsatz von biosimilaren Arzneimitteln so beurteilt, dass aufgrund der behördlichen Anforderungen bei der Zulassung die für notwendig gehaltenen Nachweise für die Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit vorhanden sind. Daher können biosimilare Arzneimittel bei Beginn einer Behandlung ebenso eingesetzt werden wie das Arzneimittel des Originalherstellers.“ Weiter heißt es: „Wird ein Patient bereits mit einem biotechnologisch hergestellten Arzneimittel behandelt und soll z. B. aus Kostengründen von dem Arzneimittel des Originalherstellers auf ein biosimilares Arzneimittel umgestellt werden, sind ggf. andere Dosen, andere Dosierintervalle und unter Umständen auch andere Darreichungswege sowie die zugelassenen Anwendungsgebiete zu beachten. In jedem Fall muss der Patient in der ersten Zeit nach Umstellung engmaschig wie bei einer Neueinstellung überwacht werden. Hinsichtlich der Sicherheit der Anwendung befindet man sich in einer vergleichbaren Situation wie mit einem neu zugelassenen Arzneimittel der gleichen Wirkstoffklasse, bei dem das Spektrum der wesentlichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) bekannt ist.“
Für Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, gibt es ohne Biosimilars keinen Preiswettbewerb. Dieser sei aber „die Voraussetzung dafür, dass wir in Deutschland zu einer bezahlbaren Arzneimittelversorgung in diesem wichtigen Bereich der Hightech-Medizin kommen“. In Bezug auf die möglichen Einsparungen durch Biosimilars verweist Pro Generika auf Berechnungen des Berliner IGES-Instituts. Demzufolge könnten in Deutschland rund 12 Milliarden Euro gespart werden, wenn man Nachahmer-Präparate konsequent einsetzt. Dr. Siegfried Throm, VfA-Geschäftsführer Forschung, Entwicklung, Innovation, sieht die Spareffekte durch Verordnung der Biosimilars nicht so euphorisch: „Alles in allem macht dies deutlich, dass Biosimilars keineswegs regelhaft Kostensenkungen hervorrufen. Man muss skeptisch bleiben, wenn etwaige Einsparpotenziale durch Biosimilars prognostiziert werden, auch im Hinblick auf die künftigen biosimilaren monoklonalen Antikörper. Und deshalb sollten auch keine Markteingriffe zugunsten von Biosimilars vorgenommen werden.“ Das ist das Fazit von Throm mit Blick auf eine aktuelle Untersuchung von IMS Health im Auftrag von vfa bio, die im Dezember 2013 in der Zeitschrift Monitor Versorgungsforschung (Ausgabe 06/2013) publiziert wurde. Die Autoren haben die Entwicklung der Preise und Absätze der Biopharmazeutika untersucht, die in Deutschland bereits im Wettbewerb mit Biosimilars gestanden haben: die Somatropine, die Filgrastime und Epoetine (zur Therapie von Wachstumsstörungen, Neutropenie und Anämie). Ihre Ergebnisse: der Biosimilars-Markteintritt hatte kaum Auswirkungen auf den Preis für Somatropin- und Filgrastim-Präparate; nur bei Epoetin-Präparaten fiel der Preis um mehr als die Hälfte.
Eine Studie von Oldham et al. dämpft ebenfalls die Erwartungen: In der Europäischen Union sind über die Hälfte der gesamten Arzneimittelverordnungen generisch. Damit ermöglichen Generika jährliche Einsparungen von 60 Milliarden Euro. Schätzungen besagen, dass in der EU Einsparungen von mehr als 1,6 Milliarden Euro erreicht werden. Laut Sandoz kostet die Entwicklung einer generischen niedermolekularen Verbindung ca. 2-3 Millionen USD, die Kosten eines Biosimilars bis zur Zulassung werden auf ca. 75-250 Millionen USD geschätzt. Aufgrund dieser Investition sind die möglichen Kosteneinsparungen mit Biosimilars vermutlich nicht so hoch, wie sie bei niedermolekularen Generika sein können. Die Hexal-Gründer Dr. Thomas und Dr. Andreas Strüngmann investieren in Biosimilars; sie unterstützen das Münchener Biotech-Unternehmen Formycon bei der Entwicklung und Vermarktung ihres ersten Produkts – mit einem Betrag, der im dreistelligen Millionenbereich liegen soll.
Die Arbeitsgruppe Arzneimittelvereinbarung der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (AG AMV) verschickte im Januar 2014 einen Brief an ihre Mitglieder. Darin warb die Vereinigung für Somatropin Biosimilars und postulierte Einsparungen von 25 Prozent gegenüber dem Original. Ärzte werden mit deutlichen Anschreiben unter Druck gesetzt: Sehr geehrter Herr Dr. Mustermann Bei Ihren Verordnungen für Somatropin im 1. Quartal 2013 (BSNR: 18200000) betrug der Anteil des Biosimilars XY 11,9 %.Aus Sicht der gemeinsamen Arbeitsgruppe ist dies unter Betrachtung der derzeitigen Datenlage zu Biosimilars nicht erklärlich. Daher bitten wir Sie dringend, in Ihren Verordnungsentscheidungen das erhebliche Einsparpotenzial von Biosimilars wie YZ® verstärkt zu berücksichtigen. Der Verband ProGenerika verlangt, dass der Verzicht auf Einsparungen im Bestandsmarkt nicht auf Kosten von Generika und Biosimilars gehen dürfe. Nach dem Arzneimittelneuordnungsgesetz AMNOG sollte die Verschreibung von kostengünstigen Innovationen nicht zu einem „Soll“, sondern zu einem „Muss“ werden. Auf die weitere Entwicklung darf man gespannt sein. 2014 läuft das erste Patent des TNF-α-Inhibitor Infliximab, 2016 für Adalimumab aus. Erste Studien von Lindemann et al. zeigen Unterschiede zwischen dem Original und dem Biosimilar. Beide Moleküle sind noch komplexer gefaltet als Epoetin & Co und weisen posttranslationale Modifikationen auf, vor allem im Sinne einer Glykosylierung. Das macht das Kopieren nicht gerade einfach.