Forscher untersuchten nun erstmals lebende biologische Zellen mit hochenergetischer Röntgenstrahlung. Die neue Technik zeigt deutliche Unterschiede der inneren Zellstruktur im Vergleich zu toten, sogenannten chemisch fixierten Zellen, wie sie häufig analysiert werden.
"Mit dem neuen Verfahren haben wir erstmals Gelegenheit, die innere Struktur lebender Zellen in ihrer natürlichen Umgebung mit harter Röntgenstrahlung zu erkunden", betont Arbeitsgruppenleiterin Prof. Sarah Köster vom Institut für Röntgenphysik der Universität Göttingen. Die Forscher stellen ihre Arbeit nun im Fachjournal "Physical Review Letters" vor. Dank der immer feineren Untersuchungstechniken können Wissenschaftler biologische Zellen heute auf der Ebene einzelner Moleküle erforschen. Häufig werden die Zellen chemisch fixiert, bevor sie mit dem Licht-, Röntgen- oder Elektronenmikroskop untersucht werden. Dazu werden sie in einer Art Konservierungsmittel gebadet, das sämtliche Organellen der Zelle und selbst die vorhandenen Proteine an Ort und Stelle fixiert. "Dabei lässt sich nicht vermeiden, dass man die innere Struktur dieser Zellen geringfügig verändert", betont Köster. "Mit unserer Untersuchung konnten wir diese Differenzen nun erstmals im direkten Vergleich zeigen." Für ihre Analyse verwendete das Team Krebszellen aus der Nebennierenrinde. Diese Zellen ließen sie auf einem Träger aus Siliziumnitrit wachsen, der für Röntgenlicht nahezu durchsichtig ist. Um die Zellen während der Untersuchung am Leben zu erhalten, wurden sie in der Messkammer über feine, nur 0,5 Millimeter breite Kanäle mit Nährstoffen versorgt und gleichzeitig ihre Stoffwechselprodukte abgepumpt. "Die biologischen Zellen befinden sich somit in einer Probenumgebung, die ihrer natürlichen Umgebung sehr nahe kommt", erläutert Erstautorin Dr. Britta Weinhausen aus der Gruppe von Köster.
Die Experimente wurden am sogenannten Nanofokus-Setup (GINIX) der Messstation P10 durchgeführt. Mit dem hellen Röntgenstrahl der Forschungslichtquelle PETRA III rasterten die Wissenschaftler die Zellen ab, um Information über ihre innere Nanostruktur zu gewinnen. "Um die lebenden Zellen nicht zu schnell zu beschädigen, haben wir jede Aufnahme nur 0,05 Sekunden belichtet", erläutert Ko-Autor Dr. Michael Sprung von DESY. "Dank der hohen Brillanz von PETRA III in Verbindung mit dem darauf abgestimmten GINIX-Aufbau lassen sich dabei noch Nanometer-kleine Strukturen messen." Zellen im Röntgenlicht. In jedem Bildpunkt ist ein komplettes Röntgenstreubild zusammengefasst. Die Farbe gibt Auskunft darüber, wie stark die Röntgenstrahlung an der jeweiligen Stelle gestreut wird. © Bild: Britta Weinhausen/Universität Göttingen Mit Hilfe dieser sogenannten Nanodiffraktion untersuchten die Forscher lebende Zellen und chemisch fixierte Zellen und verglichen anhand der Röntgenstreubilder die innere Struktur der Zellen. Ergebnis: Auf der Größenskala von 30 bis 50 Nanometern (millionstel Millimetern) kommt es durch die chemische Fixierung zu merklichen Unterschieden in der Zellstruktur.
"Durch die immer höheren Auflösungen der verschiedenen Untersuchungsmethoden wird es immer wichtiger zu wissen, ob sich die innere Struktur verändert, wenn wir die Proben präparieren", erläutert Köster. Mit der neuen Untersuchungstechnik wird es künftig möglich, unveränderte lebende Zellen mit hoher Auflösung zu untersuchen. Zwar haben andere Methoden eine noch höhere Auflösung als die Röntgenstreuung, erfordern jedoch eine chemische Fixierung oder aufwendige und invasive Präparation der Zellen. Mit weniger energiereicher, sogenannter weicher Röntgenstrahlung sind bereits Untersuchungen an lebenden Zellen gemacht worden, allerdings ermöglicht erst die Analyse von Streubildern, die mit harter Röntgenstrahlung aufgenommen wurden, Strukturgrößen bis hinunter zu zwölf Nanometern zu untersuchen. Originalpublikation: Scanning X-Ray Nanodiffraction on Living Eukaryotic Cells in Microfluidic Environments Sarah Köster et al.; Physical Review Letters, doi: 10.1103/PhysRevLett.112.088102; 2014