Ohne Firmengelder wären viele klinische Studien nicht denkbar. Ein kleiner Zuschuss eines Sponsors erleichtert dem Arzt den Besuch von Kongress oder Fortbildung. Aber wo fängt die Abhängigkeit an? Leitlinien für den Umgang mit „Partnern“ sollen bei der Orientierung helfen.
Was einige Ärzte freut, ist für andere ein Anstoß des Ärgers. Das Ärztliche Berufsgericht Niedersachsen hat im letzten Jahr die den Beschluss der dortigen Ärztekammer umgeworfen. Einige Monate zuvor hatte sie ihren Mitgliedern untersagt, sich auf Kosten externer Sponsoren zu Fortbildungen einladen zu lassen. Das ist nun wieder möglich.
Darf ein Arzt Verbindungen zur Industrie oder zu Lobbyistengruppen haben? Und wenn ja, wie sehr können die guten Kontakte das Verhalten zu seinen Patienten beeinflussen? Das oft gebrauchte Wort „Interessenkonflikt“ birgt Konfliktpotential. Denn an sich ist eine Zusammenarbeit mit kommerzieller Forschung auch für den Patienten nicht unbedingt schädlich. Klinische Tests in Praxen oder Krankenhäusern sind Voraussetzung dafür, dass sich ein neuer Wirkstoff um die Zulassung bewerben kann. Ebenso nützen gemeinsame Expertenrunden bei der Einführung neuer Geräte oder Behandlungstechniken. Wenn aber Marketinginteressen und das Streben des Arztes nach dem Besten für seinen Patienten auseinandergehen, fängt die schädliche Einflussnahme an. Ärgerlich wird es, wenn die „Zusammenarbeit“ im Geheimen geschieht und bei Veröffentlichungen oder in Gremien nicht mehr sichtbar ist.
Schätzungen zufolge sind mehr als 80 Prozent der Ärzte irgendwie mit der Pharmaindustrie „verbandelt“. Ob die guten Kontakte und gegenseitige Hilfeleistungen heute noch Verschreibungsverhalten oder gar Leitlinien beeinflussen, darüber gibt es widersprüchliche Untersuchungen. Fest steht aber, dass dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Gabapentin und Efalizumab sind Beispiele, bei denen manipulierte Daten und unausgewogene Information zu einseitigen Empfehlungen in den Behandlungsleitlinien geführt haben. Untersuchungen bestätigen, dass in den entsprechenden Kommissionen etliche Mitglieder mit Interessenkonflikten sitzen. Mehr Informationen dazu liefert auch der DocCheck-Artikel: Augen auf beim Leitlinien-Kauf.
Was also tun, wenn der Experte für diese oder jene Krankheit heftig von der Industrie umworben wird? In den USA macht der Gesetzgeber seit 2012 mit dem „Physician Payments Sunshine Act“ derlei Verbindungen öffentlich. Ebenso verlangen inzwischen die meisten Fachzeitschriften entsprechende Erklärungen von den Autoren ihrer Artikel. Reicht das oder tritt dabei wieder der Gewohnheitseffekt beim Leser ein, dem die Hinweise am Ende des Papers nach einiger Zeit kaum mehr auffallen? Schon vor einiger Zeit hat das amerikanische Institute of Medicine Handlungsempfehlungen für den Weg zwischen nützlicher Zusammenarbeit und Lobbyismus herausgegeben. Vor etwas mehr als einem Jahr erschien in „Endocrine Practice“ ein „Code of Conduct“ der Association of Clinical Researchers and Educators zu den Grenzen, die der Arzt den Angeboten zur finanziellen und immateriellen Unterstützung setzen sollte.
Bei Studien, die einen großen Teil ihrer Mittel aus Firmengeldern beziehen, muss dabei die Rolle des Arztes vor Beginn der Untersuchungen klar definiert sein. Er sollte im Leitungsgremium für die Studie vertreten sein und auch über die Verteilung der ausgeschütteten Geldmittel mitentscheiden. Neben den Auslagen für das Studienprotokoll fließen sie entsprechend an Mitarbeiter, um damit ihren sonst nicht vergüteten Mehraufwand zu honorieren. Schließlich sollte die Datenanalyse und -auswertung nicht ganz aus dem Einflussbereich des Arztes abwandern. Ihm kommt auch am Ende die leitende Rolle bei der Veröffentlichung der Studie in der Fachzeitschrift zu.
Wer Firmen berät oder auch auf Firmenveranstaltungen zu seinem Forschungsgebiet spricht, sollte darauf achten, nicht in die Rolle des Pressesprechers für seinen Auftraggeber zu rutschen, sondern sich auf die Inhalte des Gemeinschaftsprojekts beschränken. Dann sei, so die Empfehlungen, auch eine Beratung zum gegenseitigen Nutzen nicht zu beanstanden, sondern könne die Wissenschaft weiterbringen. Beim Honorar sollte jedoch auch an die Institution gedacht werden, die den Arzt oder Wissenschaftler für die externe Tätigkeit freistellt. Besonders bei industriegesponsorten Fortbildungsveranstaltungen können Unternehmen leicht für die eigene Sache werben. Deswegen sollten die Inhalte der Vorträge und Präsentationen nicht vom Sponsor (mit-)bestimmt werden. Nicht die Information über Arzneimittel, sondern eine verbesserte Fürsorge für den Patienten muss dabei das Hauptziel der Veranstaltung sein.
Ob Experten aus der Klinik neue Produkte aus der Industrie präsentieren sollten, stellen die Handlungsempfehlungen in Frage. Nur allzu oft haben Mitarbeiter der Firma diese Präsentationen erstellt. An eigene Bedürfnisse und persönliche Interessen lassen sie sich nur begrenzt anpassen. Der Weg in die Abhängigkeit ist dabei nicht mehr weit. Mündet schließlich die Zusammenarbeit in eine gemeinsame Veröffentlichung, die auf die Arbeit von „Ghostwritern“ zurückgeht, dann ist diese Grenze deutlich überschritten. Honorare für eine reine Autorschaft sollten der Vergangenheit angehören. Umgekehrt kann es nicht sein, dass der Sponsor massgeblichen Einfluss darauf hat, welche Teile der Studie zu welchem Zeitpunkt veröffentlicht werden und damit unliebsame Ergebnisse länger als notwendig zurückgehalten werden.
Vielfach haben Pharmaunternehmen bereits auf das Misstrauen der Öffentlichkeit reagiert. In Deutschland gibt es etwa seit einigen Jahren den Zusammenschluss von Firmen zum „Verein freiwillige Selbstkontrolle für Arzneimittelindustrie (FSA)“. Entsprechend einem Beschluss will er alle geldwerten Zuwendungen an einzelne Ärzte mit deren Zustimmung auflisten. Spätestens 2016 soll eine entsprechende Datenbank für Interessierte offen stehen und alle Gelder auch im Zusammenhang mit Fortbildungsveranstaltungen oder Spenden transparent machen. Jedoch ist es immer noch nicht strafbar, so urteilte der Bundesgerichtshof vor eineinhalb Jahren, dass Ärzte für das Verschreiben bestimmter Wirkstoffe Zuwendungen erhalten. Ein Umstand, der nach Ansicht vieler Experten das Bemühen um Unabhängigkeit von kommerziellen Einflüssen untergräbt. Auch von Seiten der Ärzte gibt es verschiedene Initiativen, die sich gegen den allzu intensiven Flirt mit potenten Geldgebern wehren. Mit dem Motto „Mein Essen zahl ich selbst“ kämpft „MEZIS“ gegen lukrative Versuchungen und ebenso gegen allzu aufdringliche Besuche von Pharmareferenten. Mit Musterpackungen oder Einladungen zum Essen suchen sich die Marketingabteilungen der Industrie inzwischen schon Ärzte in spe heraus. In den USA, so berichtete Eric Campbell von der Harvard University auf einer Tagung in Hannover im letzten Jahr, umwerben sie Studenten mit verlockenden Angeboten wie Essenseinladungen oder Büchern, die den klammen Geldbeutel während der Ausbildung entlasten.
Als einzige bedeutende Pharmafirma hat sich bisher GlaxoSmithKline zu einem Zahlungsverzicht bei der Werbung um den Rezeptblock durchringen können. Ob andere große Firmen bei dieser Initiative mitmachen, bezweifelt der amerikanische Gesundheits-Blogger William Heisel. Zu sehr wären höhere Umsätze von diesen Investitionen abhängig. Immerhin werden auch bei uns schon Vorschläge diskutiert, die etwa eine Dokumention von Interessenkonflikten für Patienten im Wartezimmer des Arztes oder der Klinik einführen möchten. Eine andere Möglichkeit wäre die Umleitung der Sponsorengelder in einen großen Topf, aus dem dann Fortbildungen, aber auch Studien bezahlt werden könnten. Interessenkonflikte zu haben, ist kein Makel. Wo aber Kontakte zu Geldgebern gleich in die Nähe zu Bestechlichkeit und Korruption gerückt werden, dort tut sich auch die Forderung nach Transparenz in der Fachzeitschrift, dem Leitlinienkomitee und gegenüber dem Patienten schwer. Guidelines und Regeln können helfen, dass sich unterschwellige Sympathie für finanzielle Unterstützung nicht im Verhalten gegenüber dem Patienten niederschlägt. Am wichtigsten wäre aber, wenn sich alle Beteiligten der Risiken, aber auch der Chancen einer Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen ohne die kleinen Geschenke bewusst werden.