Jahr für Jahr erkranken mehr Patienten in Deutschland an Syphilis. Arzneimittel der ersten Wahl sind nur schlecht verfügbar – und Fachgesellschaften raten zu Ausweichtherapien. Gleichzeitig sollten Initiativen zur Prävention deutlich ausgeweitet werden.
Viele Menschen lieben riskant: Laut Umfragen der britischen Online-Apotheke UK Medix hatten 39 Prozent aller 1.231 Interviewten ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einem Partner, der an sexuell übertragbaren Erkrankungen (STD) litt. Zwar lebt UK Medix von Medikamenten zur Behandlung entsprechender Krankheiten. Zahlen aus Deutschland bestätigen aber die grundlegende Problematik – speziell bei Syphilis.
Syphilis ist laut Infektionsschutzgesetz nicht namentlich meldepflichtig. Dem Berliner Robert Koch-Institut (RKI) liegen vergleichsweise gute Zahlen zur Situation in Deutschland vor. Während zwischen 2004 und 2008 relativ konstant 3.000 bis 3.500 Neuerkrankungen pro Jahr auftraten, waren es in 2009 lediglich 2.742 Fälle. Bald darauf stieg die Zahl an Infektionen mit Treponema pallidum rapide an: um 10,6 Prozent (2010), 22,0 Prozent (2011) beziehungsweise 19,1 Prozent (2012), jeweils am Vorjahresniveau gemessen. Zuletzt infizierten sich 4.110 Männer und 296 Frauen neu.
Entsprechende Fälle sind keineswegs über alle Bundesländer gleichmäßig verteilt. RKI-Epidemiologen fanden hohe Inzidenzen in Stadtstaaten wie Berlin (20,9 Fälle pro 100.000 Einwohner), Hamburg (14,2) und Bremen (6,4). Darüber hinaus waren Großstädte besonders betroffen: Köln (28,4), München (22,9), Essen (19,4), Frankfurt am Main (18,5), Münster (16,8), Düsseldorf (15,2), Mannheim (14,9) und Offenbach (13,9). Zwischen 2011 und 2012 stiegen Neuinfektionen in Essen (plus 113,5 Prozent), Leipzig (plus 51,3 Prozent) und München (plus 35,2 Prozent) exorbitant. Dahinter stecken Swingerclubs oder Sexpartys, wie sie in Großstädten häufiger angeboten werden. Bei Sexarbeiterinnen und -arbeitern ist die Zahl an Infektionen auf gleichbleibend niedrigem Niveau – von einzelnen Ausnahmen abgesehen, die wahrscheinlich Zahlen aus Nordrhein-Westfalen erklären.
Darüber hinaus bestehen laut RKI große Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Während Ärzte bei Frauen lediglich 0,7 Infektionen pro 100.000 Einwohner meldeten, waren es bei Männern 10,2 – also 14-mal mehr. Besonders oft infizierten sich Männer zwischen 30 und 39 (21,7), gefolgt von 40- bis 49-Jährigen (20,7) und 25- bis 29-Jährigen (19,3 Prozent): ein klarer Unterschied zu anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen, die in jüngeren Jahren häufiger auftreten. Zum Vergleich: Das Maximum bei Frauen lag zwischen 25 und 29 Jahren (2,2), gefolgt von den Altersgruppen 30 bis 39 (1,7) sowie 20 bis 24 (1,7). Als Erklärung bei Männern führen Forscher ungeschützte sexuelle Kontakte an. Hier hat sich die Zahl an Reinfektionen innerhalb des letzten Jahrzehnts nahezu verdoppelt.
Darüber hinaus erhielten RKI-Mitarbeiter 3.138 Daten zum Infektionsland selbst. Wenig überraschend: 93,2 Prozent aller Betroffenen steckten sich in Deutschland an. Dann folgten Spanien (34 Fälle), Thailand (18), die Tschechische Republik (12), Bulgarien (12), Griechenland (9), Kuba und Brasilien (jeweils 6). Auch hier ist ungeschützter Geschlechtsverkehr als Ursache zu nennen – manche Länder sind beliebte Destinationen von Sextouristen.
Zur Krankheit selbst: Ärzte kennen bei Syphilis mehrere Stadien. Nach einer Infektion entstehen lokale Geschwüre, die im Primärstadium kaum Beschwerden bereiten. Kurz darauf schwellen benachbarte Lymphknoten an. Das Sekundärstadium ist ebenfalls mit untypischen Symptomen wie Kopf- und Gliederschmerzen, erhöhter Temperatur oder Nachtschweiß vergesellschaftet. Exantheme der Haut und Schleimhautläsionen kommen hinzu. Nach drei- bis fünfjähriger Latenz treten beim Tertiärstadium unterschiedliche Beschwerden auf, da zunehmend innere Organe befallen werden. Auf der Haut bilden sich Geschwüre. Als Spätform ist Neurolues (Neurosyphilis) mit zerebrospinaler Beteiligung zu nennen. Auch zu diesen vier Stadien liegen Daten vor, und zwar bei rund drei von vier Meldungen an das RKI. Insgesamt betrafen 36,7 Prozent aller Diagnosen Primär- und 28,2 Prozent Sekundärstadien. Weitere 32,5 Prozent bezogen sich auf Stadien der Früh- beziehungsweise Spätlatenz. Ärzte diagnostizieren die Erkrankung über Antikörper gegen Treponema pallidum, ab der Sekundärphase auch über Lumbalpunktionen. Als therapeutischer Goldstandard gilt heute das Depotpenicillin Benzathin-Benzylpenicillin – je nach Stadium einmalig oder öfter intramuskulär injiziert. Allerdings sind entsprechende Präparate momentan nur eingeschränkt verfügbar. Deshalb raten Kollegen der Deutschen STI-Gesellschaft zu Ceftriaxon als Ausweichtherapie. Doxycyclin bleibt eine Alternative dritter Wahl. Aus der Forschung gibt es ebenfalls Neuigkeiten: Studien bescheinigen dem innovativen, noch nicht erhältlichen Solithromycin gute Eigenschaften bei Syphilis.
Nicht immer ist Syphilis das einzige Problem. Ärzte diagnostizieren bei Männern mit positiver Serologie HIV deutlich früher und häufiger, so das Ergebnis einer Untersuchung. Patienten sollte deshalb immer ein HIV-Test angeboten werden, falls Treponema pallidum zu finden ist. Gleichzeitig raten die Autoren, niedrigschwellige Screening-Angebote auf unterschiedliche STD wie Syphilis auszuweiten.