Bislang blieben bei kariösen Läsionen nur Füllungen aus Kunststoff, Zement oder Amalgam. Wissenschaftler aktivieren jetzt mit unterschiedlichen Arzneistoffen Stammzellen in der Zahnpulpa von Mäusen. Nach wenigen Wochen waren die beschädigten Zähne wieder intakt.
Laut WHO sind 95 Prozent aller Menschen von Karies betroffen. Zahnärzte haben zwar modernste Füllmaterialien entwickelt, aber gerade nach großen Läsionen verlieren Zähne an Stabilität, müssen kurzfristig überkront und langfristig durch ein Implantat ersetzt werden. Der Wunsch, Karies im biologischen Sinne zu heilen, ist so alt wie die Zahnmedizin selbst. Im Experiment ist es Forschern nun gelungen, Regenerationsprozesse mit bekannten Wirkstoffen anzustoßen.
Beim letzten Treffen der British Society for Oral and Dental Research Anfang September stellte Ikhlas El Karim von der Queen’s University Belfast neue Ergebnisse vor (Abstract 031, Seite 73). Sie kombinierte Methoden aus der Bioinformatik und der Molekularbiologie, um herauszufinden, wie sich Differenzierungsvorgänge dentaler Stammzellen steuern lassen. Per Computer simulierte El Karim den Effekt verschiedener Moleküle auf die Genexpression. Geeignete Wirkstoffkandidaten unterzog sie anschließend toxikologischen Tests. Ihr Ergebnis überrascht: Acetylsalicylsäure (ASS) erwies sich als geeigneter Kandidat, um Stammzellen so zu differenzieren, dass sie Zahnläsionen reparieren könnten.
Während El Karims Erkenntnisse noch sehr theoretisch sind, hat Vitor C. M. Neves vom Kings College in London schon deutlich mehr Resultate vorzuweisen. Sein Team experimentierte mit Tideglusib. Der Wirkstoff wurde eigentlich entwickelt, um Morbus Alzheimer zu therapieren. Er wirkt als potenter Inhibitor des Enzyms Glykogensynthase-Kinase 3. GSK-3, so die wissenschaftliche Abkürzung, überträgt Phosphat-Reste selektiv auf die Serin- und Threonin-Seitenketten diverser Proteine. Dazu gehören auch die Tau-Proteine bei Morbus Alzheimer. Seit Anfang 2017 werden klinische Studien der Phase IIa und IIb durchgeführt.
Aus frühen In-vitro-Studien war bekannt, dass der GSK-3-Hemmer Proteine in anderen Organsystemen ebenfalls beeinflusst. Dazu gehören auch Stammzellen in der Pulpa von Zähnen. Neves bohrte Mäusen kleine Löcher in ihre Zähne, um kariöse Läsionen zu simulieren. In die Kavitäten steckte er resorbierbare Schwämme aus Kollagen. Sie enthielten gelöstes Tideglusib. Wie der Forscher berichtet, verschlossen sich die Kavitäten innerhalb von sechs Wochen. Die Zähne waren danach intakt. „Die Einfachheit unseres Ansatzes für die natürliche Behandlung von großen Zahn-Hohlräumen macht es als klinisches Dentalprodukt ideal, da es zum einen den Schutz der Pulpa bietet und das benötigte Dentin wiederherstellt“, schreibt Coautor Paul Sharpe. Bevor Neves und Sharpe an klinische Tests denken, wollen sie Experimente mit Ratten wagen. Deren Zähne sind im Gegensatz zu Zähnen von Mäusen wesentlich größer.