Am 27.2 gab das Bundeskartellamt die Übernahme von 40 Rhön-Kliniken durch Fresenius frei. Damit wächst die Anzahl der Krankenhäuser in der Helios-Gruppe um fast 50 %. Über den Deal und dessen Auswirkungen haben wir nun mit zwei Gesundheitsökonomen gesprochen.
Im zweiten Anlauf kam es nun zur Übernahme: Fresenius kaufte für 3,2 Milliarden große Teile der Rhönkliniken und gliedert diese in seine Helios-Gruppe ein. Bereits im Juni 2012 hatte der nach eigenen Angaben größte private Klinikbetreiber Europas versucht, sich Rhön einzuverleiben. Nun ist der Deal vollzogen. Die Fresenius-Gruppe setzt sich aus zwei großen Teilen zusammen: Einerseits der Medizinproduktehersteller für Dialyse, Generika und Infusionslösung und andererseits der Krankenhausbetreiber. Nach der Übernahme von 40 Kliniken und 13 medizinischen Versorgungszentren besitzt Fresenius nun 117 Kliniken mit rund 70.000 Beschäftigten. Diese sollen einen Umsatz von 5,5 Milliarden Euro im Jahr generieren. Wir sprachen über die Übernahme und deren Auswirkungen mit Prof. Dr. Jürgen Wasem, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie und Prof. Dr. Günter Neubauer, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik. DocCheck: „Warum wollte Fresenius unbedingt die Rhönkliniken kaufen?“ Prof. Wasem: „Es gibt dafür mehrere Gründe: Zum einen wird Fresenius durch den Deal der mit Abstand größte Klinikbetreiber in Europa. Damit einher geht natürlich eine starke Stellung auf dem Markt, welche man geschickt beim Einkauf nutzen kann. Der zweite spezifische Grund ist, das Rhön und Fresenius von der Idee getragen sind, ein flächendeckendes Netzwerk von Kliniken und Zulieferbetrieben aufzubauen. Dieses Netzwerk soll dann über eine spezielle Zusatzversicherung für Patienten attraktiv werden.“ Prof. Neubauer: „Gleichzeitig sollte man sich aber auch fragen: Warum wollte Rhön an Fresenius verkaufen? Die Initiative ging ursprünglich von Herrn Münch, dem Gründer der Rhönkliniken aus.“ DocCheck: „Was lief beim ersten Versuch von Fresenius schief?“ Prof. Wasem: „Eine Minderheit von Aktionären, vor allem Braun und Asklepios, die sich kurzfristig in den Konzern eingekauft hatten, konnte aufgrund der Strukturen bei Rhön einen vollständigen Aufkauf verhindern. Daher ist man nun einen anderen Weg gegangen: Fresenius kaufte nur gerade so viele Kliniken, sodass die Aktionäre kein Veto einlegen konnten. Dies war eine sehr geschickte Ausnutzung der gesetzlichen Regelungen.“ DocCheck: „Nur 40 Kliniken wurden übernommen. Hat sich Fresenius hier die Rosinen rausgepickt?“ Prof. Neubauer: „Eher Nein. Man kann davon ausgehen, dass man auch nach dem Deal ein überlebensfähiges Konstrukt bei Rhön zurücklassen muss. Die Devise bei Rhön soll sein, dass man vor allem die Maximalversorgung konzentriert. Die Aktionäre dürfen bei dem Verkauf aber natürlich nicht fast enteignet werden. Daher hat man sich bei Rhön die Teile behalten, die den Verbleib auf dem Krankenhausmarkt sichern. Zudem konnte man, wie es jetzt geschehen ist, davon ausgehen, dass das Kartellamt nicht den Kauf sämtlicher Krankenhäuser gestattet.“ Prof. Wasem: „Mir erscheint es schon so, dass sich Fresenius eher die wirtschaftlich stärkeren Häuser – also die Rosinen – ausgewählt hat.“ DocCheck: „Wird Fresenius in Zukunft doch noch den Rest der Rhöngruppe übernehmen?“ Prof. Neubauer: “Sicher werden die beiden Konzerne in Zukunft über Kooperationsvereinbarungen zusammenarbeiten. Es bleibt abzuwarten, ob diese Zusammenarbeit die beiden Teile von Rhön sukzessive wieder zueinander bringt.“ Prof. Wasem: „Es gibt natürlich schon noch einige Flecken auf der Landkarte, die Fresenius über den Kauf weiterer Rhönkliniken abdecken könnte. Für einen so breit aufgestellten Betreiber macht es natürlich immer Sinn sein Kliniknetz zu erweitern.“ DocCheck: „Fresenius hat über 11 Milliarden Schulden. Der Aufkauf von Rhön schlägt mit 3,2 Milliarden Euro zu Buche. War der Kauf eine kluge Entscheidung?“ Prof. Neubauer: „Fresenius ist als Konzern generell mit Schulden gewachsen. Trotzdem hat sich das Unternehmen prächtig entwickelt. Der Preis von 3 Milliarden für Rhön ist im Vergleich zu dem Aufkauf der Heliosgruppe von 3,5 Milliarden übrigens bestimmt nicht überteuert. Unternehmen wie Fresenius haben schon immer strategisch gedacht. Sie wollen das Krankenhausgeschäft mit dem Medizinproduktehersteller verbinden. Daraus können sich sehr viele Synergien entwickeln. Von daher glaube ich, dass sich der Kauf für Fresenius mittelfristig auszahlen wird.“ DocCheck: „Wie bewerten Sie die Entscheidung des Kartellamtes?“ Prof. Wasem: „Das Kartellamt hat eine lange Spruchpraxis, wie es die Verhältnisse auf dem Krankenhausmarkt beurteilt. Es untersagt Fusionen dann, wenn darauf eine marktbeherrschende Stellung entsteht. Das ist bei diesem Deal nicht der Fall. Zum einen sind die Landkarten beider Kliniknetze weit von einer Deckungsgleicheit entfernt. Zum anderen ist der Anteil von Fresenius am Gesamtmarkt immer noch weit von einer marktbeherrschenden Position entfernt. Aus meiner Sicht hat das Kartellamt richtig geurteilt.“ Prof. Neubauer: „Das sehe ich ähnlich. Ergänzend hierzu tritt vielleicht folgender positiver Effekt ein: Mittelfristig könnte der Konzern als Vorbild für andere dienen, wie es möglich ist, auch in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage erfolgreich zu sein.“ DocCheck: „Wie verändert sich denn aus Ihrer Sicht der Krankenhausmarkt in Deutschland?“ Prof. Wasem: „Durch die Übernahme gelingt Fresenius ein qualitatives Novum: Ein flächendeckendes Krankenhausnetz aus einer Hand. Damit wird im Zuge der im Koalitionsvertrag angekündigten Möglichkeit der Selektiv-Verträge der Krankenkassen mit einzelnen Krankenhäusern Fresenius zu einem sehr attraktivem Partner. Wenn es Fresenius dann noch über medizinische Versorgungszentren gelingt, den ambulanten Bereich abzudecken und einen Großteil der Medizinprodukte zu stellen, wird aus Fresenius ein äußerst spannender Akteur im deutschen Gesundheitssystem.“ DocCheck: „Welche Auswirkungen wird die Übernahme auf die Beschäftigten haben?“ Prof. Neubauer: „Die großen Konzerne haben natürlich alle Haustarife mit den Gewerkschaften ausgehandelt. So besteht für sie zwar eine gewisse Flexibilität. Dass es hier gravierende Unterschiede zwischen Rhön und Fresenius gibt, glaube ich aber nicht. Eine sehr positive Auswirkung für die Ärzte in einem so großen Verbund ist die breite Palette an Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Sie können quasi von Ihrer Facharztweiterbildung bis hin zum Chefarzt im selben Konzern bleiben. Von einem massiven Stellenabbau ist nicht auszugehen. Allerdings ist im Bereich der patientenfernen Dienste Rationalisierung mit Personalabbau zu erwarten.“ DocCheck: „Welche Auswirkungen hat die Übernahme auf die Patienten?“ Prof. Wasem: „Für die Patienten bestehen Chancen und Risiken. Vor allem in der Frage: Wie funktioniert so ein Netzwerk? Es besteht das Risiko, dass die Helioskliniken sich gegenseitig Patienten zuschieben, obwohl diese eventuell in anderen Häusern besser versorgt wären. Die Chance ist natürlich gleichzeitig, wenn Fresenius durch interne Zentrenbildung Schwerpunkte schafft. Das kann zu einer Qualitätsverbesserung führen. Eine Gefahr aufgrund eines drohenden Effizienzdrucks besteht in meinen Augen nicht.“ Prof. Neubauer: „Effizienzdruck hat ja nicht nur eine negative, sondern auch eine positive Beziehung. Es gibt in Deutschland kein Krankenhausunternehmen, welches so wirkungsvoll Qualitätssicherung betreibt wie Helios. Zudem kann sich kein Haus spürbar schlechte Qualität leisten, um dabei effizient zu sein.“ DocCheck: „Müssen die medizinischen Zulieferer demnächst mit Preiseinbrüchen rechnen?“ Prof. Wasem: „Sicher kann Fresenius durch die größere Marktmacht bei den Lieferanten niedrigere Preise hervorrufen. Wie stark dieser Effekt allerdings sein wird, ist schwer vorherzusagen. Sowohl Rhön als auch Fresenius haben einen zentralisierten Einkauf, daher glaube ich nicht an allzu große Einsparungen. Mehr Potenzial hat Fresenius dadurch, sich selbst mit Medizinprodukten zu beliefern. Wie sich das auswirkt, ist spannend zu beobachten.“ DocCheck: „Vom speziellen Fresenius zum Allgemeinen: Haben wir in Deutschland insgesamt zu viele Krankenhäuser?“ Prof. Wasem: „Ja, es gibt Überkapazitäten in den deutschen Krankenhäusern. Diese werden auch abgebaut, allerdings nicht so schnell, wie der sinkende Bedarf. Das ist ein maßgeblicher Grund, warum es vielen Krankenhäusern wirtschaftlich schlecht geht. Ein weiteres Problem der öffentlichen Häuser ist, dass der Staat seinen Investitionsverpflichtungen nicht nachkommt. Mittlerweile beziehen die Krankenhäuser nur noch 50 % ihrer Investitionskosten aus den Steuereinahmen der Länder – die restlichen werden aus den DRG-Mitteln finanziert. Aus diesem Versagen der Investionskostenfinanzierung entsteht die wirtschaftliche Schieflage vieler deutscher Krankenhäuser. Daher sollte diese dringend reformiert werden – um nicht eine weitere Privatisierung voranzutreiben.“ DocCheck: „Wird es demnächst nur noch wenige große Player auf dem deutschen Krankenhausmarkt geben?“ Prof. Neubauer: „Es ist ein Trend im deutschen Krankenhausmarkt, dass es immer weiter zur Verdrängung und Konzentrierung der Akteure kommt. Das sieht man sowohl bei privaten, als auch bei gemeinnützigen – insbesondere den kirchlichen – Trägern. Viele schließen sich zu Verbünden zusammen. Es entsteht eine Allianz der kommunalen Großkrankenhäuser. Diese Allianz könnte sich zu einer Art Gegenmacht gegen Marktführer wie Fresenius formieren. Es sieht so aus, als ob wirtschaftlich unabhängige, kleine Krankenhäuser nur noch als Fachkrankenhäuser überleben. Hier könnte die Politik gegensteuern. Selbiges wäre aber aus meiner Sicht nicht klug, da die Patienten offenbar lieber einen längeren Anfahrtsweg, als eine eingeschränkte Versorgung in Kauf nehmen. Anpassungssubventionen könnten vielleicht sinnvoll sein. Auf Dauer wird man sich aber darauf einstellen müssen, dass die Häuser in der Peripherie nicht wirtschaftlich und qualitativ überleben können.“