Neue Operationsverfahren, Leitlinien und Arzneistoffe: In der Versorgung von Patienten mit Herz-Gefäß-Erkrankungen hat sich viel getan. Dr. Nikolaus Trautmann zeigt, welche Trümpfe Kardiologen jetzt in der Tasche haben. Er arbeitet als Kardiologe im Hamburger Albertinen-Krankenhaus.
Dr. Nikolaus Trautmann - Facharzt Klinik für Kardiologie, Albertinen Krankenhaus Deutschlands Kardiologen haben beachtliche Erfolge vorzuweisen: Laut Herzbericht 2013 sank die Mortalität bei angeborenen Fehlbildungen, Herzinsuffizienzen, Herzrhythmusstörungen, ischämischen Herzkrankheiten und Herzklappenkrankheiten vom Jahr 2000 bis 2011 um insgesamt 15,8 Prozent. Dieser Trend hält an, wie einige Innovationen der letzten Zeit beweisen. „Die konventionelle Klappenchirurgie hat sich seit Jahren etabliert“, erzählt Dr. Nikolaus Trautmann. „Wir haben in der Klinik aber immer wieder die Situation, dass Klappen nicht mehr funktionieren, wir aufgrund hoher Risiken aber nicht operieren können.“ Für schwerkranke Menschen mit Aortenklappeninsuffizienz oder –stenose gibt es jetzt neue Hoffnung: Bei der Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) werden Klappen nicht am offenen Herzen eingesetzt, sondern zusammengefaltet via Herzkatheter an ihr Ziel gebracht. Laut Herzbericht ist die Zahl an TAVIs von 7.231 (2011) auf 9.341 (2012) gestiegen. In 2013 waren es schätzungsweise 12.000. Eine ältere Studie verglich das innovative Verfahren mit konservativen OPs. Die Mortalität lag bei 31 versus 51 Prozent. Jetzt überprüfen Kardiologen beide Methoden im Rahmen ihrer PARTNER-II-Studie. Sie haben 2.000 Patienten mittleren Risikos rekrutiert. Ergebnisse liegen bis 2015 vor – und könnten TAVI-Indikationen erweitern. „Für Patienten ohne entsprechende Risiken würde ich trotzdem die konventionelle Methode empfehlen“, sagt Trautmann. „Eingenähte Klappen sitzen besser und sind mit einem geringeren Schlaganfallrisiko verbunden.“
Auch an Risikopatienten mit hochgradiger Mitralklappeninsuffizienz haben sich Kardiologen bislang nicht gern herangewagt. Trautmann berichtet von neuen Clippingverfahren: Über einen Katheter wird der rechte Vorhof des Herzens erreicht. Durch die Vorhofscheidewand geht es weiter in den linken Vorhof. Jetzt platziert der Operateur eine Klammer in der Mitralklappe und fixiert beide Segel. Die Klappe öffnet sich daraufhin nicht mehr in Form eines Kreises, sondern wie eine Acht. Ersten Studiendaten zufolge profitierten schwerkranke Patienten deutlich vom Verfahren. Ihre Mortalität lag 30 Tage postoperativ bei knapp drei Prozent, verglichen mit zwölf Prozent bei Eingriffen am offenen Herzen.
Bei Patienten mit mechanischen Herzklappen, mit Vorhofflimmern oder nach Thrombosen verschreiben Ärzte Antikoagulantien, um die Emboliegefahr zu verringern. „Bisher gab es in Deutschland nur ein einziges orales Medikament, nämlich Marcumar®, so Trautmann. Zahlreiche Parameter vom Vitamin-K-Gehalt der Nahrung bis hin zur Cytochrom-P450-Aktivität beeinflussten den Gerinnungsstatus – und häufige Kontrollen sind verpflichtend. „Für uns ist es erfreulich, dass wir jetzt direkte orale Antikoagulantien (DOAKs) haben, die nicht über die Vitamin-K-Schiebe wirken“, sagt der Kardiologe. „Alle momentan erhältlichen Präparate sind in großen Studien mit Marcumar® verglichen und für viele Indikationen als mindestens gleichwertig eingestuft worden, außer bei mechanischen Herzklappen.“ Trautmann zufolge haben innovative Pharmaka auch Nachteile: „Inwieweit macht es Sinn, Patienten, die gut mit Marcumar® zu Rande kommen, umzustellen?“ Darüber hinaus fehlen Labortests, um nachzuweisen, wie stark Pharmaka der neuen Generation wirken. Ein Antidot ist ebenfalls nicht verfügbar – kritisch vor allem bei Patienten, die relativ schnell operiert werden müssen. Ärzte haben zwar Präparate mit allen Gerinnungsfaktoren parat, können aber nicht mehr so präzise wie bei Marcumar® gegensteuern.
Aus pharmakologischer Sicht sind neben Blutgerinnungsstörungen auch Hypercholesterinämien ein zentrales Thema. Patienten erhalten entweder konstante Dosen ihres jeweiligen Arzneistoffs („Fire and Forget“) oder werden bis zum Erreichen des Zielwerts titriert („Treat to Target“). Lange Zeit sprach sich das National Cholesterol Education Program Adult Treatment Panel III (NCEP-ATP-III) für feste LDL-Cholesterin-Zielwerte aus. „In den USA geht der Trend jetzt wieder zurück zur ursprünglichen Strategie, Risikopatienten mit einer festen Dosis zu versorgen, ohne dass LDL-Cholesterin-Zielwerte ständig kontrolliert und angepasst werden“, erklärt Trautmann. Entsprechende Leitlinien des American College of Cardiology beziehungsweise der American Heart Association sorgen für kontroverse Diskussionen. Die Autoren haben bei randomisierten kontrollierten Studien zur „Treat-to-Target-Strategie“ keine Evidenz nachgewiesen, sehr wohl aber bei Arbeiten zur „Fire-and-Forget“-Lipidsenkung. Damit rücken hochdosierte Statine noch stärker in den Vordergrund. Sowohl die European Atherosclerosis Society (EAS) als auch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie haben dazu Kommentare veröffentlicht. Kollegen ist bewusst, dass es keine Studien gibt, in denen Statine nach Zielwerten titriert wurden. Dennoch hätten andere Präparate therapeutisches Potenzial. Trautmann: „Für eine Bewertung ist es noch zu früh. Allerdings zeigen unterschiedliche Empfehlungen, dass die bestehende Datenlage Raum für Interpretationen lässt.“
Ähnliche Gedanken gelten auch bei der Behandlung von Bluthochdruck: „Man ist in vielen Bereichen mit den Zielwerten nicht mehr so streng wie früher“, so Trautmann. „Patienten zu streng einzustellen, hat möglicherweise auch Nachteile.“ Die europäischen Fachgesellschaften für Hypertonie und Kardiologie haben in ihrer neuen Leitlinie zur arteriellen Hypertonie einen systolischen Zielwert von 140 mmHg für fast alle Patienten formuliert. Wer im Grenzbereich liegt, kommt häufig ohne Therapie aus. Problematischer sind multimorbide, behandlungspflichtige Patienten. Bei ihnen sinkt die Compliance, je mehr Präparate sie nehmen, je geringer der Leidensdruck ist und je länger behandelt wird. Mit der UMPIRE-Studie haben Forscher nachgewiesen, dass fixe Kombinationen (ASS, ein Statin und zwei Antihypertensiva) im Vergleich zu Einzelpräparaten die Therapietreue erhöhen. Auch hier ist noch Raum für weitere Innovationen, um die Versorgung zu verbessern. --- Empfehlung der Redaktion: Lesen Sie hier auch das Interview mit Dr. Martin Weihrauch zu aktuellen Entwicklungen in der Onkologie