Rückenschmerzen stellen Orthopäden auf die Probe, wollen sie doch möglichst schnell eine Lösung des gesundheitlichen Problems erzielen. Nicht immer profitieren Schmerzgeplagte von der maximal möglichen Diagnostik, wie neue Studien zeigen.
Deutschlands prominenteste Rückenschmerz-Patientin wird zurzeit in der Berliner Charité behandelt: Julia Timoschenko, ehemalige Regierungschefin der Ukraine. Bundesweit geht es etwa 20 Prozent aller Menschen nicht besser. Sie leiden an chronischen Rückenschmerzen, haben Befragungen mehrerer Krankenkassen gezeigt. Die Beschwerden gelten nach Atemwegsinfektionen als zweithäufigste Ursache für Arztbesuche. Laut BKK-Dachverband lässt sich jeder vierte AU-Tag auf Muskel-und Skeletterkrankungen zurückführen. Im DAK-Gesundheitsreport 2014 werden entsprechende Leiden sogar an zweiter Stelle aufgeführt. Dahinter verbirgt sich vielleicht ein Bandscheibenprolaps, eine Lendenwirbelfraktur oder sogar ein Tumor.
Bei Rückenschmerzen unklarer Genese folgt im Zweifelsfall ein lumbales MRT. Zwar raten Leitlinien davon ab, dieses Verfahren routinemäßig einzusetzen. Zahlen großer Versicherungen zeigen jedoch, dass amerikanische Patienten mit Rückenschmerzen immer häufiger in die Röhre geschoben werden. Ivan K. Ip von der Harvard Medical School, Boston, kritisiert in einem Fachbeitrag diese Tendenz auch unter dem Blickwinkel knapper Ressourcen. Er schlägt vor, Ärzte sollten vor MRTs eine Software als Entscheidungshilfe verwenden. Auf Basis von rund 1.200 Überweisungen inklusive Symptomatik hat Ip jetzt ein Tool präsentiert, das mit einem sogenannten Flaggenmodell arbeitet, wie auch vom Robert-Koch-Institut empfohlen. Begleitsymptome, Vorerkrankungen und psychosoziale Risikofaktoren führen zu elektronischen Warnhinweisen, sprich roten Flaggen (Red Flags), die ein MRT rechtfertigen. Dazu gehören Traumata, rasches Ermüden, Gewichtsverlust, Fieber, Schüttelfrost, starke Schmerzen, Lähmungserscheinungen, andere Erkrankungen jenseits der Orthopädie, aber auch Tumore in der Vorgeschichte. Ansonsten rät die Software, auf MRTs zu verzichten. Nach Implementierung virtuellen Entscheidungshilfen an einem Krankenhaus sank die Zahl an MRTs bei Rückenschmerzpatienten rasch von 5,3 auf 3,7 Prozent, das sind ganze 30 Prozent. Aus Zahlen der Gesundheitsversorgung errechnete Ip bei anderen Häusern Schwankungen zwischen 5,3 und 5,6 Prozent – ohne große Tendenz zur Veränderung.
Das Prinzip, Warnhinweise als Rechtfertigung für diagnostische Maßnahmen einzusetzen, ist bei Ärzten und Wissenschaftlern recht umstritten. Zum Hintergrund: Rund 80 Prozent aller Patienten mit Rückenschmerz haben zumindest eine Red Flag, was internationalen Leitlinien zufolge weiterführende Untersuchungen rechtfertigen würde. Aron Downie von der University of Sydney hat zusammen mit Kollegen jetzt 14 Studien untersucht, um zu bewerten, welche Relevanz rote Flaggen hinsichtlich maligner Erkrankungen oder Frakturen tatsächlich haben. Viele Warnungen erwiesen sich als ungeeignet für die Praxis. Sein Fazit: Mit höherer Wahrscheinlichkeit lassen sich Wirbelkörperfrakturen über das Alter (9 Prozent), die Medikation – vor allem langfristige Kortikoidgaben (33 Prozent), Traumata (11 Prozent) sowie Kontusionen beziehungsweise Abrasionen (62 Prozent) voraussagen. Um abzuschätzen, ob maligne Vorgänge hinter Rückenschmerzen stecken, eigneten sich nur Malignome in der Vergangenheit des Betroffenen (7 Prozent). Wissenschaftler der Cochrane Collaboration raten deshalb zu wenigen, gezielten Fragen: Wie alt ist ein Patient, hat er regelmäßig Steroide eingenommen oder gab es traumatische Ereignisse wie einen Sturz beziehungsweise einen Unfall in der Vorgeschichte?
Nach Ausschluss schwerwiegender Erkrankungen greifen Orthopäden oft zur Spritze und injizieren Steroide beziehungsweise Lokalanästhetika in den Epiduralraum. Sie versuchen unter anderem, eine Chronifizierung von Schmerzen zu verhindern, etwa nach einem Bandscheibenprolaps. Bislang war die Datenlage jedoch äußerst widersprüchlich: Manche Studien kamen zu dem Resultat, dass sich Beschwerden nach epiduralen Injektionen besserten – während andere Publikationen keinen Mehrwert fanden. Jetzt haben Wissenschaftler um Laxmaiah Manchikanti, Kentucky, 23 Veröffentlichungen mittlerer bis hoher methodischer Qualität neu ausgewertet. Wählten Ärzte einen kaudalen Zugang, profitierten Patienten vier von fünf Studien zufolge von der Arzneimittelgabe. Interlaminäre Injektionen führten in sieben von neun Studien zum Erfolg, und transforaminale Injektionen bei sieben von neun Arbeiten. Besonders gut schnitten Arzneimittelgaben unter fluoroskopischer Überwachung ab. Manchikanti bewertete sowohl kurzfristige als auch langfristige Effekte. Als Kriterium galt, Schmerzen bei jedem zweiten Patienten um 50 Prozent oder mehr zu lindern. Er spricht vom qualitativen Erfolg dieser Methode, betont aber, dass sich entsprechende Effekte auf dieser Datenbasis nicht quantifizieren lassen.