Stationsapotheker überprüfen bei Patienten im Krankenhaus, welche Medikamente sie erhalten und ob die Dosis optimal ist. Sie beraten Ärzte und nehmen an der Visite teil. In Deutschland gibt es sie bisher selten. Niedersachsen erwägt nun, sie in allen Kliniken verpflichtend einzuführen.
Ein Apotheker, der im Krankenhaus arbeitet, hat viele Augaben: Er überprüft die Medikation der Patienten bei Aufnahme, Entlassung und vor der Operationen überprüft. Er nimmt an der Visite teil, er kümmert sich um eine optimale Medikation und ist für Fragen der Patienten zum Medikament ansprechbar. In vielen Ländern ist der Stationsapotheker bereits Standard. Insbesondere in den englischsprachigen Ländern wie Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland und den USA . Gleichzeitig werden Apotheker dort nach ihrem Studium umfassend im Bereich klinische Pharmazie ausgebildet und können sich nach den ersten Berufsjahren in verschiedenen Fachbereichen spezialisieren. Deutschland ist dagegen bei der Anstellung von Apothekern in Krankenhäusern das Schlusslicht in Europa. Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) arbeiten zur Zeit nur etwa 2.000 der insgesamt 50.000 berufstätigen Apotheker in Deutschland in Krankenhäusern. Das bedeutet: Auf 100 Krankenhausbetten kommen in Deutschland laut ADKA nur 0,4 Apotheker. In Großbritannien sind es 4,4 Apotheker.
Doch können Apotheker tatsächlich einen Zusatznutzen im Klinikalltag bringen? Oder sind sie nur ein zusätzlicher Luxus, der unnötige Kosten verursacht? „Internationale Studien sowie Forschungsarbeiten des Instituts für Patientensicherheit der Universität Bonn haben gezeigt, dass es gerade an Schnittstellen, wo Informationen weitergegeben werden, häufig zu Fehlern kommt“, berichtet Andreas Fischer, Abteilungsleiter Stationsapotheker am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden. „Das betrifft vor allem die Aufnahme und Entlassung sowie einen Wechsel der Station. Außerdem hat sich gezeigt, dass die Arzneimittelsicherheit ein weiterer Risikoschwerpunkt ist.“ Untersuchungen aus den USA, Großbritannien und Spanien zeigen, dass Stationsapotheker dazu beitragen können, Fehlerquellen bei der Arzneimitteltherapie zu verringern, die Qualität der Versorgung zu verbessern und die Patientensicherheit zu erhöhen.
Stationsapotheker betreuen die Patienten von der Aufnahme bis zur Entlassung pharmazeutisch: Zu ihren Aufgaben gehört, die eingenommenen Arzneimittel bei Aufnahme zu erfassen und die Indikationsstellung und Dosierung zu prüfen, die Arzneimitteltherapie während des Krankenhausaufenthalts und das Absetzen von Medikamenten vor Operationen zu überwachen und die Medikation bei Entlassung zu managen. Weiterhin stellen sie unter Berücksichtigung der Vitalwerte und der Leber- und Nierenfunktion eine geeignete Medikation zusammen und achten darauf, Wechselwirkungen zwischen Medikamenten zu vermeiden. Dabei ist der Apotheker in die Abläufe der Klinik eingebunden, arbeitet eng mit Ärzten verschiedener Fachrichtungen zusammen und berät die Ärzte, um so eine möglichst optimale Behandlung zu gewährleisten. So arbeitet er bei der Gabe von Antibiotika mit Infektiologen oder bei Patienten mit psychiatrischen Vorerkrankungen mit Psychiatern zusammen. Gleichzeitig steht er den Patienten im persönlichen Gespräch zur Erklärung und Beratung zur Verfügung. Daneben übernehmen Apotheker im Krankenhaus auch Aufgaben bei der Arzneimittelherstellung, der Versorgung der Stationen mit Arzneimitteln und als Ansprechpartner für Fragen zur Arzneimitteltherapie. Apotheker und Arzt gemeinsam am Krankenbett: Stationsapothekerin Wencke Walter und Oberarzt Tilo Meyner vom Universitätsklinikum Dresden bei der morgendlichen Visite. © Universitätsklinikum Dresden „Ein typischer Fall, bei dem ein Stationsapotheker Risiken reduzieren kann, ist die genaue Erfassung der Medikation bei Aufnahme, die auch gelegentliche Medikamente und Nahrungsergänzungmittel umfasst“, berichtet Fischer. „Denn diese werden von den Patienten häufig nicht angegeben oder sind nicht in den Medikationsplänen aufgeführt.“ So kann zum Beispiel die mehrmalige Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS) vor einerOperation das Blutungsrisiko erhöhen, die Einnahme von Magnesium oder Calcium kann die Aufnahme bestimmter Antibiotika hemmen. Auch Doppelverordnungen, zum Beispiel von Schmerzmitteln, können so auffallen.
Doch in Deutschland werden Stationsapotheker bisher nur an einigen Kliniken eingesetzt – zum Beispiel an einigen Universitätskliniken, aber auch an kleineren Krankenhäusern und Privatkliniken. Die Versorgungsdichte ist sehr unterschiedlich: An manchen Kliniken hätten Apotheker nur die Möglichkeit, die Patienten im eingeschränkten Rahmen zu betreuen, so Fischer. Zum Beispiel gebe es drei oder vier Apotheker, die sich um die Krankenhausapotheke kümmern und etwa einmal pro Woche zur Visite auf Station kommen würden. Am Universitätsklinikum in Dresden gibt es dagegen seit über 10 Jahren ein Projekt, das in Deutschland Ausnahmecharakter hat: Hier arbeiten inzwischen 19 Apotheker, die mehr als die Hälfte der Stationen betreuen. Zugleich wurde ein Unit-Dose-System zur effizienten Bereitstellung der Arzneimittel eingeführt. Auch an den Universitätskliniken in Hamburg und Heidelberg arbeiten bereits viele Apotheker bei der Betreuung der Patienten im Stationsalltag mit. Holger Knoth, Leiter der Klinikapotheke und Andreas Fischer, Abteilungsleiter Stationsapotheker am Universitätsklinikum Dresden. © Uniklinik Dresden „Gerade Chirurgen und Orthopäden, die viel im OP sind, empfinden Stationsapotheker als Entlastung“, berichtet Fischer von seinen Erfahrungen. „Manche Ärzte sind am Anfang skeptisch, aber sie wissen das zusätzliche Augenpaar bald zu schätzen.“ So seien immer mehr Patienten multimorbid und müssten viele Medikamente einnehmen, gleichzeitig stehe immer weniger Zeit pro Patient zur Verfügung. „Generell sind die Ärzte in Fragen der Medikation in ihrem Fachbereich natürlich sehr kompetent“, sagtFischer. „Aber durch die Beteiligung eines Apothekers wird weniger übersehen und die medikamentöse Behandlung kann noch sicherer gestaltet werden. Und bei etwa 10 bis 20 Prozent der Patienten gibt es sehr spezielle Fragestellungen oder Probleme mit der Medikation, bei denen das Fachwissen eines Stationsapothekers gefragt ist.“ Denn während sich Ärzte vor allem in der Medikation ihres Fachbereichs sehr gut auskennen würden, habe der Apotheker einen fächerübergreifenden Gesamtblick auf die Medikation.
Für neuen Diskussionsstoff sorgt nun ein Gesetzentwurf in Niedersachsen: Nach Patientenmorden in Krankenhäusern in Delmenhorst und Oldenburg hat die Landesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, in allen Krankenhäusern verpflichtend Stationsapotheker einzuführen, um so den Medikamentengebrauch besser zu kontrollieren. Danach sollen auf die etwa 40.000 Krankenhausbetten in Niedersachsen 134,5 Stationsapotheker kommen – ein Stationsapotheker würde dann etwa 300 Betten betreuen. Als Voraussetzung sollen Stationsapotheker eine Weiterbildung zum „Fachapotheker für klinische Pharmazie“ durchlaufen oder zumindest begonnen haben. Im Moment liegt der Gesetzentwurf wegen der vorgezogenen Neuwahlen am 15. Oktober allerdings auf Eis. Während die Apothekerkammern und -verbände den Vorschlag begrüßen, kritisiert die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft (NKG) den Gesetzentwurf. Sie stellt zwar nicht in Frage, dass Krankenhausapotheker die Versorgungsqualität verbessern können, kritisiert aber, dass im Moment gar nicht genug qualifizierte Apotheker zur Verfügung stehen würden. Außerdem sei ihre Finanzierung unklar und könnte möglicherweise zu Lasten anderer Stellen im Krankenhaus gehen. Es sei bisher nicht klar, ob von den Krankenkassen zusätzliche Gelder zur Verfügung gestellt werden sollen oder ob die Kliniken die Stellen aus ihrem eigenen Budget finanzieren müssten.
„Stationsapotheker achten bei der Arzneimitteltherapie auch auf die Wirtschaftlichkeit und können so zu Kosteneinsparungen beitragen“, sagt Fischer. „Trotzdem ist die anfängliche Einsparung bei den Arzneimitteln natürlich nicht mit den laufenden Personalkosten gleichzusetzen.“ Hier sei es nicht immer einfach, nachzuweisen, dass ein konkreter finanzieller Nutzen gegeben sei. „Dieser zeigt sich möglicherweise erst später im ambulanten Bereich, ist aber für die Klinik nicht direkt spürbar“, so der Apotheker. Das Argument, dass nicht genügend qualifizierte Apotheker zur Verfügung stehen, hält Fischer nur für eingeschränkt gültig. „Im Moment ist es tatsächlich teilweise problematisch, gut ausgebildete Apotheker für die Tätigkeiten im Krankenhaus zu finden. Aber Umfragen haben gezeigt, dass viele Pharmaziestudenten großes Interesse an einer solchen Tätigkeit haben. Wichtig ist, dass sie eine fundierte Ausbildung im Fach klinische Pharmazie haben, das in Deutschland bereits seit 10 Jahren ein Prüfungsfach ist. Anschließend können sie durch Fort- und Weiterbildung in der Praxis die fachlichen Fähigkeiten erwerben, die für die Tätigkeit als Stationsapotheker notwendig sind.“ Dabei sei es gleichzeitig wichtig, Qualitätsstandards für die Ausbildung zum Stationsapotheker zu entwickeln und die Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu verbessern. „Bis genügend hoch qualifizierte Stationsapotheker zur Verfügung stehen, wird es sicher noch eine Weile dauern“, so Fischer. „Doch das ist in ein paar Jahren durchaus erreichbar.“
Wie könnte nun die Zukunft des Stations- und Krankenhausapothekers in Deutschland aussehen? Die ADKA und der deutsche Apothekertag – ein wichtiges berufspolitisches Forum der Apotheker – fordern jetzt, Stationsapotheker verpflichtend in Kliniken in ganz Deutschland einzuführen. „Der Hochrisikoprozess der Arzneimitteltherapie im Krankenhaus bedarf als Fachmann den Krankenhausapotheker auf Station“, so die ADKA. Bisher würden dafür noch die Strukturen in der Fläche fehlen, sagt Holger Knoth, Leiter der Klinikapotheke am Universitätsklinikum Dresden. „Ziel der Berufspolitik sollte es sein, die Kosten- und Entscheidungsträger dafür zu sensibilisieren, dass Stationsapotheker zu einer erhöhten Arzneimitteltherapiesicherheit beitragen können.“ In Großbritannien und anderen angelsächsischen Ländern seien Stationsapotheker schon in den Klinikalltag integriert und hätten umfassende Aufgaben und Befugnisse, berichtet Fischer, der selbst 15 Jahre in Großbritannien tätig war. „Hier in Deutschland muss das Konzept erst einmal etabliert werden. Ich denke aber, dass sich auch hier immer mehr tun wird und auch an kleineren Kliniken mehr Stationsapotheker eingestellt werden“, so der Experte. „Die Frage ist, wie schnell wir es schaffen, dieses Konzept zu etablieren.“