Bei Patienten mit Hydrozephalus ist der Druck im Gehirn zu hoch. Ärzte setzen daher ein Shunt-System in den Kopf der Betroffenen ein, das den Druck reguliert. Ein implantierbarer Sensor erlaubt es nun, den Hirndruck dauerhaft zu messen und den Shunt individuell anzupassen.
Die Hirnflüssigkeit ernährt und schützt das Gehirn vor mechanischer Schädigung. Ihre Produktion und Resorption halten sich normalerweise im Gleichgewicht. Als Folge einer Fehlbildung des Gehirns oder einer Hirnhautentzündung kann jedoch der Abfluss von Liquor gestört sein, und es zu einer Erweiterung der liquorgefüllten Hirnkammern kommen, die als Hydrozephalus bezeichnet wird. Die Flüssigkeitszunahme im Gehirn der Betroffenen führt zu einem Druckanstieg und verursacht Kopfschmerzen, Erbrechen oder Schwindel. Nimmt der Druck weiter zu, kann der Patient das Bewusstsein verlieren und schließlich sogar sterben. Abhilfe schafft in den meisten Fällen ein Shunt-System, das Ärzte in den Kopf des Patienten einsetzen. Es besteht fast immer aus einem Ventil zur Regulierung des Hirninnendrucks und eines Schlauchs, der die überschüssige Flüssigkeit in den Bauchraum ableitet. „Leider setzen die meisten Kliniken aus Kostengründen Shunts mit nicht verstellbaren Ventilen ein“, sagt Privatdozent Christoph A. Tschan, leitender Oberarzt und Leiter der Kinderneurochirurgie an der Klinik für Neurochirurgie der Universität des Saarlands. „Es kommt zu lagebedingten Über- oder Unterdrainagen, je nachdem ob der Patient steht oder liegt.“ Empfindliche Patienten, so der Mediziner, litten dann an Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Schwindel oder Übelkeit.
Um Hydrozephalus-Patienten vor solchen Problemen zu verschonen, implantiert Tschan seinen Patienten ein Shunt-System mit zwei verstellbaren Ventilen: Ein Differenzialdruckventil zur Grundeinstellung kombiniert mit einem Gravitationsventil, das nur im Stehen der Schwerkraft entgegen wirkt. „Mit dieser Kombination ist es besser möglich, den Hirnwasserabfluss individuell anzupassen, um möglichst eine Drucksituation im Kopf zu schaffen, die dem natürlichen Druck entspricht“, sagt Tschan. „In den vergangenen drei Jahren konnten wir 340 Patienten mit dieser Ventilkombination erfolgreich behandeln und vor einer Fehldrainage schützen.“ Ein optimales Einstellen des Drucks war allerdings nicht möglich, da bislang genaue Hirndruckmessdaten fehlten: Ärzte konnten nur anhand persönlicher Erfahrung, klinischer Symptome oder bildgebender Verfahren schätzen, in welche Richtung sie die Ventile verstellen mussten, um den Hirninnendruck des Patienten richtig einzustellen. Zwar gibt es seit einigen Jahren implantierbare Sonden, die den Hirndruck messen, doch für einen routinemäßigen Einsatz eignen sie sich nicht, da sie nach kurzer Zeit wieder entfernt werden müssen. Mithilfe des implantierten Überwachungssensors können Mediziner den Hirndruck messen. Sie müssen lediglich ein Handlesegerät an den Kopf des Patienten halten.© Patrick J. Lynch / Fraunhofer IMS
Jetzt soll ein neuartiger Sensor mit Zulassung zur Langzeitimplantation es möglich machen, dass Ärzte den Hirninnendruck ohne aufwändige Untersuchung in wenigen Sekunden jederzeit erfassen können. Dieser Sensor ist in das Shunt-System integriert und wird dauerhaft unter die Kopfhaut der Patienten verpflanzt. Entwickelt haben ihn Forscher des Fraunhofer-Instituts für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme IMS in Duisburg. Wie jedes andere Implantat auch muss der Sensor bioverträglich sein, der Körper darf ihn nicht abstoßen. Daher verkapselten die Forscher ihn vollständig in eine dünne Hülle aus Titan. „Wir können den Sensor trotzdem von außen durch die Metallumhüllung mit Energie versorgen, den Hirninnendruck durch das Gehäuse messen und die aufgenommenen Daten durch das Metall zu einem Lesegerät nach außen funken“, erklärt Michael Görtz, Leiter der Drucksensorik am IMS. Auch das Handlesegerät haben die Forscher entworfen, samt der Elektronik, über die es mit dem Sensor kommunizieren kann. Klagt der Patient über Beschwerden, braucht der Arzt lediglich das Handlesegerät von außen an den Kopf des Patienten zu halten. Görtz: „Das Gerät sendet magnetische Funkwellen und versorgt den Sensor im Shunt darüber mit Energie – der Sensor wird aktiviert, misst Temperatur und Druck in der Hirnflüssigkeit und sendet diese Daten zurück zum Handlesegerät.“ Ist der Druck außerhalb des gewünschten Bereichs, kann der Arzt das Shunt-System von außen entsprechend einstellen und es individuell an den Patienten anpassen.
Über das Bohrloch im Schädel, durch das der Neurochirurg das Shunt-System in den Kopf der Patienten einsetzt, besteht ein Zugang zu den Hirnkammern. Das Bohrloch verschließt der Neurochirurg mit einer kunststoffumhüllten Kammer. Darin befindet sich der Sensor, der nach dem Einsetzen von der Hirnflüssigkeit umspült wird. In den vergangenen zwei Jahren wurde das Sensorreservoir, das mit allen Shunt-Systemen kombinierbar ist, in zehn Kliniken bei rund 50 Patienten getestet. Die Forscher rechnen damit, dass das Sensorreservoir Ende des Jahres auf den Markt kommen könnte.