Österreichs Ärzte planen, Medikamente flächendeckend abzugeben – nicht nur in Ausnahmefällen. Jetzt zog die zuständige Kammer ein Konzept aus ihrer Schublade und erntete damit nicht nur Zustimmung. Apotheker machen pharmazeutische und ökonomische Bedenken geltend.
Im südlichen Nachbarland haben Mediziner schon lange die Möglichkeit, eine ärztliche Hausapotheke zu führen und Präparate direkt an Patienten zu dispensieren. Aufsichtsbehörden erteilen entsprechende Konzessionen aber nur, falls sich im Umkreis von sechs Kilometern der Gemeinde keine öffentliche Apotheke befindet. Zurzeit erhalten Patienten etwa zehn Prozent ihrer verschriebenen Präparate auf diesem Weg, es gibt etwa 1.300 öffentliche und 900 hausärztliche Apotheken.
Jetzt fordert Christoph Reisner, Präsident der Ärztekammer Niederösterreichs, alle niedergelassenen Ärzte sollten Medikamente abgeben. Im gleichen Atemzug präsentierte er ein fertiges Konzept, das sich an Schweizer Gegebenheiten orientiert. Eidgenössische Mediziner haben in 17 der 19 deutschsprachigen Kantone uneingeschränkte Möglichkeiten, Präparate an Patienten abzugeben. Für Österreich will Reisner je nach Fachrichtung einer Praxis eine Liste mit 20 bis 40 typischen Präparaten zu erstellen. Der Standesvertreter präsentierte auch ein Modell, wie man Ärzte für die Medikamentenabgabe entlohnen könnte. Er fordert dienstleistungsbezogene Honorare für Service und Logistik, lehnt umsatzbezogene Modelle jedoch ab. „Damit könnte man die Apothekenspanne ersparen und das System verbilligen“, so Reisner.
Mit ihrem Vorstoß wollen Ärzte erreichen, dass an Wochenenden und bei Nachtdiensten alle Menschen gleichermaßen versorgt werden. Momentan erhalten nur Patienten, die eine Praxis mit ärztlicher Hausapotheke aufsuchen, ihre Präparate direkt. Apotheker teilen diese Argumentation nicht, sondern befürchten eine Aushöhlung des bestehenden Systems. „Die flächendeckende Versorgung mit Apotheken wäre damit in Österreich gefährdet“, befürchtet Martin Hochstöger, Präsident der Apothekerkammer Tirol. „Wieso Mediziner jetzt die Aufgaben der Apotheker übernehmen und Medikamente in den Ordinationen verkaufen wollen, ist aus gesundheitspolitischer Sicht nicht nachvollziehbar.“
Bleibt abzuwarten, ob auch in Deutschland Diskussionen um das ärztliche Dispensierrecht neu angestoßen werden. Zuletzt hatten Ärzte Lockerungen erreicht, um Palliativpatienten besser zu versorgen. Kollegen kritisieren nicht nur die Abkehr vom Vier-Augen-Prinzip Arzt plus Apotheker. Sie verweisen zudem auf eine Studie der Universität Bern. Gaben Mediziner Medikamente selbst ab, erhöhten sich Kosten durch Pharmaka um 30 und durch Behandlungen generell um 20 Prozent. Das Prinzip, Verordnung und Abgabe zu trennen, hat sich eben nicht nur unter pharmazeutischen, sondern auch unter gesundheitsökonomischen Aspekten bewährt.