Kinder, die viel Zeit vor Bildschirmen verbringen, bekommen nicht nur emotionale Schwierigkeiten, sondern werden auch mit größerer Wahrscheinlichkeit übergewichtig. So könnte man das Ergebnis zweier aktueller Studien interpretieren. Aber ist es wirklich so einfach?
Beginnen wir mit der Frage nach dem Übergewicht. Forscher um Stacey Tiberio, von Oregon Social Learning Center in Eugene, werten für ihre Studie im Fachblatt JAMA Daten von 112 Müttern, 103 Vätern und ihren 213 Kindern aus. Die Teilnehmer hatten zuvor Fragebögen ausgefüllt. Sie wurden interviewt, außerdem hat man die Kinder medizinisch untersucht als sie fünf, sieben und neun Jahre alt waren. All das spielte sich zwischen 1998 und 2012 ab. Bei der Analyse der Daten zeigte sich vor allem der Einfluss der Mütter: Überwachten sie den Fernsehkonsum ihrer Kinder, wogen diese mit sieben Jahren durchschnittlich weniger als solche, deren Fernsehzeiten kaum kontrolliert wurden. Außerdem schwankte das Gewicht bei ihren Kindern weniger stark. „Diese Studie zeigt, wie wichtig das Verhalten der Eltern für die Entwicklung eines gesunden Gewichts ihrer Kinder ist“, sagt Esther van Sluijs von der Universität Cambridge. Weitere Studien müssen nun jedoch klären, wie es zu dem Ergebnis kam. Denn vielleicht sind diese Mütter nicht beim Fernsehkonsum strenger, sondern auch, wenn es um Süßigkeiten oder Fastfood geht.
Sicher ist jedoch: Es gibt sie die Verbindung zwischen Fernsehen und Gewicht. Immer wieder haben Forscher gezeigt: Sitzen kleine Kinder mehr als eine Stunde pro Tag vor dem Bildschirm, steigt ihr Risiko, dick zu werden. Auch später zeigt sich noch ein Einfluss. Von den 11- bis 17-jährigen Jungen, die für die KIGGS-Studie der Robert-Koch-Instituts untersucht wurden, schauten einige weniger als eine Stunde am Tag Fernsehen. Von ihnen waren 5,3 Prozent adipös. In der Gruppe, die drei und mehr Stunden vor dem Fernseher verbrachte, waren es schon 11,5 Prozent. Nicht viel anders fiel das Ergebnis bei den Mädchen aus. Das Problem scheint vor allem die gestohlene Zeit zu sein. Mehrere Stunden pro Tag sitzen Kinder heute vor Bildschirmen verschiedenster Art. Das ist Zeit, in der sie sich nicht bewegen. Auf Dauer wirkt sich das auf den Körper aus.
In einer kanadischen Studie aus dem Jahr 2012 wurden die Eltern über die Fernsehgewohnheiten ihrer zwei- bis vierjährigen Kinder befragt. Anschließend nahmen die Forscher den Taillenumfang der Kleinkinder und testeten ihre körperliche Fitness. Dazu gehörte auch, aus dem Stand nach vorn zu springen. In den folgenden Monaten wurden die Eltern und Kinder von den Wissenschaftlern begleitet. Fernsehkonsum korrespondierte direkt mit der Fähigkeit des Kindes, weit zu springen. Mit jeder wöchentlichen Stunde Fernsehen nahm die Sprungstrecke leicht ab. Je länger die Kinder vor dem Fernseher saßen, desto größer war zudem ihr Hüftumfang zum Ende der vierten Klasse, berichteten die Forscher der Universität Montreal. Kommt zum Bewegungsmangel noch eine schlechte, unausgewogene Ernährung wird ein Teufelskreislauf in Gang gesetzt. Denn wer erst einmal zu dick ist, bewegt sich noch weniger und nimmt weiter zu. Auch hier spielt der Fernseher eine Rolle. Denn es gibt nicht nur Hinweise dafür, dass man unnötig viele Kalorien zu sich nimmt, wenn man beim Essen fernsieht. Auch die Vorlieben für bestimmte Lebensmittel entwickeln sich schon im Kindes- und Jugendalter. Bei Kindern unter 12 Jahren konnte man nachweisen, dass Reklame darauf Einfluss hat. Sieht ein Kind eine Stunde Fernsehen bei einem Privatsender, sind davon sicher zehn Minuten Werbung. Schon Zweijährige können Mc Donald’s und Burger King auseinanderhalten. Im Alter von zehn Jahren kennt ein Kind heute 300 bis 400 Markennamen.
Aber hat Fernsehen auch Einfluss auf die Psyche? In einer ebenfalls in JAMA erschienenen Studie untersuchten Forscher den Einfluss von Fernsehen auf das emotionale Wohlbefinden. Trina Hinkley von der Deakin Universität in Melbourne und ihre Kollegen werteten für die Untersuchung Daten von mehr als 3600 Kindern aus. Danach scheinen Kinder, die im Alter von zwei bis sechs Jahren viel fernsehen oder vor dem Computer sitzen, nach zwei Jahren mehr emotionale Schwächen zu zeigen.
Das klingt alarmierend, ganz so eindeutig sind die Ergebnisse der Forscher jedoch nicht. So waren die Unterschiede zwischen den Gruppen nur sehr klein und könnten auch zufällig entstanden sein. Andere Faktoren wie das Selbstbewusstsein, der Kontakt zu Gleichaltrigen oder das Leben in anderen sozialen Gefügen als der Familie schienen dagegen überhaupt nicht verändert zu sein. Selbst wenn sich die Ergebnisse bestätigen sollten, gibt es noch viele weitere Einflüsse, die zu solchen Daten führen könnten. Dazu zählt die Erziehung, die Familienstruktur oder auch die Wohnsituation. All das sollte in weiteren Studien untersucht werden, um den Einfluss des Fernsehens wirklich beurteilen zu können. „Es braucht ganz offensichtlich noch viel mehr Forschung auf diesem Gebiet, wenn man wirklich verstehen will, was da vor sich geht“, sagte Sonia Livingstone, Professor für soziale Psychologie an der London School of Economics.