Ein Berliner Start-up will es wissen: Mit ihrer App bietet goderma erste Einschätzungen zu Hauterkrankungen per Handykamera an. Berufsverbänden und Fachgesellschaften gefällt das nicht. Doch ist die ärztliche Berufsordnung in diesem Punkt zeitgemäß?
Ein Hautausschlag im Badeurlaub oder rote Pusteln während der Trekkingtour? Dank goderma ist der nächste Hautarzt nie weiter entfernt als das eigene Smartphone – vorausgesetzt, Patienten befinden sich nicht gerade in einem Funkloch. Auch im Jahrzehnt überfüllter Praxen und langer Wartezeiten soll die neue App einen Beitrag leisten, um Versorgungslücken zu schließen. Das funktioniert so: Patienten nehmen via Handykamera Bilder ihrer Läsion auf und füllen eine Fragebogen aus. Anschließend begutachten Fachärzte die Daten und geben Handlungsempfehlungen. Ihr Rat kann lauten, ein OTC-Präparat in der nächsten Apotheke zu erwerben – oder umgehend einen niedergelassenen Kollegen aufzusuchen.
Hinter goderma stecken Simon Bolz und Dr. Simon Lorenz. Bolz kennt das Thema nur zu gut aus eigener Erfahrung. Während des Italienurlaubs hatte seine Tochter plötzlich einen Hautausschlag. Doch anstatt nach Kliniken Ausschau zu halten und gegen Sprachbarrieren anzukämpfen, entschied er sich, Handyfotos nach Deutschland zu mailen. Eine befreundete Dermatologin erkannte, dass es sich nur um eine Sonnenallergie handelt. Nach 24 Stunden war der Spuk dank rezeptfreier Präparate vorbei. Bolz und Lorenz wollten mehr aus diesem Schlüsselerlebnis machen. Ihr Konzept: User laden Fotos und Informationen hoch, Kostenpunkt 29 Euro. Auf Basis anonymisierter Daten geben Hautärzte innerhalb von 48 Stunden Handlungsempfehlungen – wohlgemerkt keine Diagnosen. Die Gründer-Community reagierte begeistert auf goderma. Als eine der besten App-Ideen im Gesundheitsbereich erhielten Bolz und Lorenz den Hauptpreis bei Grants4Apps 2013. Sie wurden auch in hub:raum, das Förderzentrum der Deutschen Telekom für Start-ups, aufgenommen. Ein erster Platz bei der Tech Open Air Pitchclinic folgte. http://www.youtube.com/watch?v=S_UVRxCOPwg
Nicht ohne Grund: Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass dermatologische Telemedizin mit einer Handykamera durchaus funktioniert, etwa beim Hautkrebs-Screening. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Apps setzen Bolz und Lorenz jedoch auf Technik in Kombination mit medizinischem Expertenwissen. Alle Fotos und Fakten zur Erkrankung werden von Hautärzten begutachtet. Kollegen, die mit goderma zusammenarbeiten, haben mindestens drei Jahre Erfahrung in einer niedergelassenen Praxis. Und im Zuge der Qualitätssicherung überprüfen Experten des Klinikums Rechts der Isar, München, stichprobenartig jede zehnte Antwort. Hier ist unter anderem Professor Dr. Dr. Johannes Ring, Direktor der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein, mit von der Partie. Unterstützt wird er von Prof. Dr. Bernadette Eberlein, München, Prof. Dr. Andreas Blum, Tübingen, Dr. Kerstin Graf, Berlin, und Dr. Andreas Weller, Schwäbisch Gmünd.
Nicht alle Kollegen teilen die Begeisterung für goderma. „Berufsrechtlich ist das nicht zulässig, weil es ein Fernbehandlungsverbot für Ärzte gibt“, so Sascha Rudat, Sprecher der Ärztekammer Berlin. Als mögliche Problemfelder sieht er die Qualität der Fotos und die Datensicherheit. Andererseits erhalten Kollegen bereits heute Fotos von Patienten per E-Mail, was ähnlich kritisch zu bewerten wäre. Doch welchen Vorteil bringt goderma? Rudat: „Wenn der Rat lautet: Suchen Sie einen Hautarzt auf – was bringt das dann?“ Jetzt will die Berliner Ärztekammer nachsehen, mit welchen Kollegen goderma kooperiert. Auch Fachgesellschaften äußern sich skeptisch. „Das ist ein mutiges Vorhaben, aber medizinisches und juristisches Neuland“, lautet die Einschätzung von Dr. Klaus Strömer. Er ist Präsident des Berufsverbands der Deutschen Dermatologen. Strömer weiter: „Ich kann einen Patienten nicht nach der Vorgeschichte fragen.“ Wolfgang Loos von der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin ergänzt: „Wir sehen viele Gesundheits-Apps kritisch, weil keine medizinische Expertise dahintersteht.“ Aber solange Ärzte involviert seien, sei das nicht anzufechten.
Bleibt zu klären, ob Einschränkungen der Musterberufsordnung für Ärzte nicht bald gelockert werden sollten. In § 7 (Behandlungsgrundsätze und Verhaltensregeln) heißt es dazu: „Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt.“ Ob diese Passagen zeitgemäß sind, müssen Standesvertreter dringend diskutieren. Bereits heute arbeiten viele Kliniken mit telemedizinischen Anwendungen, um beispielsweise Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes mellitus zu überwachen. Von entsprechenden Vorteilen sollten Patienten auch außerhalb der Klinik profitieren.