Nach wie vor kommen drei von zehn Kindern per Sectio caesarea auf die Welt. Ärzte versuchen, die biologischen Nachteile durch Mikrobentransfers zu kompensieren. Das Verfahren ist nicht frei von Risiken, da auch pathogene Keime übertragen werden können.
Die anhaltende Diskussion um Sinn oder Unsinn von Kaiserschnitten ohne medizinische Indikation trägt langsam Früchte. Vor wenigen Tagen hat das Statistische Bundesamt (DESTATIS) neue Zahlen vorgestellt. Demnach ging der Anteil aller Frauen, die per Kaiserschnitt entbunden haben, von 32,2 Prozent (2015) auf 30,5 Prozent (2016) leicht zurück. Schnittentbindungen haben nach aktuellem Stand der Forschung nicht nur für die Mutter, sondern auch für das Kind etliche Nachteile.
Beispielsweise sind per Kaiserschnitt entbundene Kinder anfälliger für Infektionen, insbesondere der Atemorgane. Zu diesem Ergebnis kommt die Techniker Krankenkasse im Geburtenreport 2017. Basis waren Daten von 38.857 Müttern und ihren Kindern. Zusammenhänge mit dem Allergierisiko sind ebenfalls wahrscheinlich. Interessante Daten gibt es auch aus den USA: Ohne vaginale Geburt waren Kinder mehr als doppelt so häufig adipös, berichten Ärzte aus dem Children’s Hospital Boston. Eine vor wenigen Tagen veröffentlichte tierexperimentelle Studie bestätigt diese Resultate. Der Gewichtsunterschied lag bei bis zu 70 Prozent.
Erstautorin Maria Dominguez-Bello von der New York University erklärt dies mit Unterschieden im Darmmikrobiom. Bei vaginalen Geburten gelangen unweigerlich Bakterien in den Körper des Fötus. Die Tatsache ist wissenschaftlich länger bekannt. Manche Ärzte schlagen deshalb vor, nach Kaiserschnittgeburten einen vaginale Mikrobentransfer durchzuführen. Dabei werden sterilen Kompresse in der Vagina platziert, vor der OP aber entfernt und bei Raumtemperatur steril gelagert. Nach der Entbindung wird das Kind mit der Kompresse eingerieben.
Das Interesse am Verfahren ist groß: Mehr als 90 Prozent aller Gynäkologen sprechen mit ihren Patientinnen darüber, sollte ein Kaiserschnitt anstehen. „Ich verstehe wirklich, es ist ein faszinierender Gedanke, dass man die Natur imitieren kann, aber das basiert auf theoretischen Überlegungen, und wir haben derzeit keine Beweise“, sagt Tine D. Clausen von der Uni Kopenhagen. Sie verweist nicht nur auf die schlechte Datenlage beim Mikrobentransfer. Vielmehr warnt die Expertin vor klaren Risiken für das Baby. Dazu gehört zum Beispiel die Übertragung von B-Streptokokken und E. coli. Clausen will nicht ausschließen, dass sexuell übertragbare Erkrankungen (STD) so den Weg zum Neugeborenen finden. Viele Frauen gehören nicht zu Risikogruppen und wissen nichts von der eigenen Erkrankung.
Die Wissenschaftlerin fordert deshalb, Schnittentbindungen kritisch zu hinterfragen. Viele vorher geplanten OPs werden auf Wunsch der Eltern durchgeführt. Sogenannte relative Indikationen kommen mit hinzu. Das heißt, die werdende Mutter leidet an Geburtsangst oder an Depressionen. Übergewicht oder chronische Darmerkrankungen sind hier ebenfalls zu nennen. In vielen Fällen sei die vaginale Geburt trotzdem möglich, konstatiert Clausen.