Egoistische Menschen neigen dazu, unter Zeitdruck eher an sich selbst zu denken. Hingegen behalten sozial orientierte Menschen diese Neigung auch bei, wenn ihnen nur wenig Zeit für eine Entscheidung zur Verfügung steht. Ist man in Stresssituationen also eher man selbst?
Wenn wir nur wenig Zeit haben, uns zu entscheiden, kommen unsere charakterlichen Tendenzen eher zum Vorschein: Wer sowieso etwas egoistisch ist, wird in Krisenzeiten noch eher eine Entscheidung zum Wohle seiner Selbst treffen. Wer in Entscheidungsprozessen ohnehin viel an andere denkt, wird dies unter Zeitdruck ebenfalls tun. Dies geht aus einer Studie hervor, die untersucht hat, in welcher Form sich Zeitdruck auf unsere Entscheidungen auswirkt. Wenn wir eine Entscheidung treffen, die nicht nur uns selbst betrifft, müssen wir immer abwägen, ob wir die Entscheidung eher zu unseren Gunsten oder zu Gunsten unserer Mitmenschen treffen. Schon lange versuchen Forscher herauszufinden, welcher kognitive Prozess sozialen Entscheidungen zugrunde liegt.
Dafür versuchen sie, verschiedene Fragen zu beantworten, zum Beispiel: Gibt es unterschiedliche Entscheidungsprozesse, einen schnell-intuitven Prozess und einen, der langsam und abwägend von statten geht? Weisen die Menschen ganz grundsätzlich schon eine egoistische oder eine pro-soziale Neigung auf? Und wenn es einen intuitiven Entscheidungsprozess gibt, bestärkt dieser eher Egoismus oder Pro-Sozialität? Ian Krajbich von der Ohio State University hat zusammen mit Fadong Chen von der Zhejiang University in China versucht, Antworten auf einige dieser Fragen zu finden. 102 Probanden (56 davon Frauen) aus Deutschland und den USA haben zu diesem Zweck an 200 Runden eines Spiels teilgenommen, das häufig im Kontext psychologischer oder wirtschaftlicher Experimente verwendet wird und zu den sogenannten Vertrauenspielen (dictator games) gehört. Das Spiel wurde an einem Computer durchgeführt. Der Ablauf: In jeder Runde wird dem Teilnehmer ein bestimmter Betrag zur Verfügung gestellt. Ihm wird erklärt, dass er einen Partner hat, der ebenfalls eine Summe erhält, allerdings ist diese niedriger. Der Teilnehmer bekommt nun die Möglichkeit, das Geld umzuverteilen, sodass sich die Ungleichheit zwischen ihm und seinem Partner verringert. In anderen Worten: Der Spieler kann immer wieder entscheiden, dem Partner eine höhere Summe zukommen zu lassen, indem er auf einen Teil seines Geldes verzichtetet. Quelle: Nature Communications
Die verschiedenen Runden fanden einmal ohne Zeitdruck und einmal unter Zeitdruck statt: In einigen Fällen hatten Probanden zwei Sekunden Zeit, zu entscheiden, ob sie ihr Geld teilen wollten. In anderen Fällen sollten die Probanden sich zehn Sekunden Zeit nehmen, bevor sie eine Entscheidung trafen. Und in einem dritten Szenario gab es keinerlei zeitliche Vorgabe. Den Ergebnissen zufolge entscheiden wir uns unter Zeitdruck gerne so, wie wir es bereits in ähnlichen Situationen in der Vergangenheit getan haben, sagt Krajbich. Menschen haben eine gewisse Tendenz, sich egoistisch oder pro-sozial zu verhalten, sagt Krajbich. Wenn sie sich gehetzt fühlen, neigen sie dazu, dieser Tendenz nachzugeben. Wenn Menschen aber mehr Zeit für eine Entscheidung haben, sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie sich gegen ihre Neigung entscheiden, da sie mehr Zeit haben, die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu beurteilen, so Krajbich weiter. Zeitdruck verstärke somit die ohnehin vorhandene innere Bereitschaft, eine Entscheidung auf bestimmte Weise zu fällen. Diese Studienergebnisse könnten erklären, warum bisherige Untersuchungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen: Einige Veröffentlichungen hatten nahe gelegt, dass Zeitdruck die Menschen egoistischer handeln lässt. Andere Studie suggerierten, dass Menschen sich unter Zeitdruck sozialer verhielten. Der Entscheidungsprozess hänge somit vom Ausgangspunkt und der eigenen Entscheidungstendenz ab, beurteilt Krajbich die neuen Ergebnisse.