Arzt ist Arzt und die Unterschiede zwischen den Disziplinen eher gering – mit dieser Vorstellung startete ich in den klinischen Studienteil. Umso überraschender waren für mich die Erfahrungen, die ich in meinen ersten beiden Famulaturen in der Inneren und der Psychiatrie machte.
Tag 1 in der Inneren Medizin Die Klinik ist ganz in meiner Nähe, das war auch ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl meiner ersten Famulaturstelle. Ich erwarte noch nicht allzu viel, will Blut abnehmen, lernen und erleben, wie die Abläufe in einer normalen Klinik auf einer normalen Station der Inneren sind, bevor ich in Bereiche gehe, die mich näher interessieren. Alles, was ich sonst noch mitnehmen kann, betrachte ich als Bonus. Angetreten wird hier um acht Uhr morgens. Leider muss ich schnell feststellen, dass ich mich überflüssigerweise so früh aus den Federn gequält habe, denn die Sekretärin des Chefs schickt mich zunächst einmal quer über das Klinikgelände zur Wäscheausgabe, die ihre Pforten leider erst ein knappes Stündchen später öffnet. Die Wartezeit verbringe ich im Gespräch mit ebenfalls wartenden Pflegeschülern, bevor ich mich dann im frischen, aber doch erwartungsgemäß schlecht sitzenden Arztgewand auf die mir zugewiesene Station begebe. Im Arztzimmer, in das ich nach schüchternem Klopfen eintrete, herrscht Aufruhr. Zwei junge Assistenzärztinnen springen von Computer zu Patientenakten, von Telefon zum Kaffeebecher, dazwischen huschen Pflegerinnen umher. Auf meine vorsichtigen Begrüßungsworte reagiert erst im zweiten Versuch jemand, eine Pflegekraft packt mich und stellt mich der Ärztin vor. Viel Zeit für Nettigkeiten bleibt nicht, gleich die zweite oder dritte Frage an mich lautet: „Kannst du Blut abnehmen?“ Als ich das mit dem Verweis auf meinen bisherigen Mangel an praktischer Erfahrung verneine, ist die Antwort: „Oh... Und das auf der Nephrologie? Naja, das kriegen wir schon irgendwie hin.“ Warum die Nephrologie beim Blutabnehmen eine Sonderrolle einnimmt, werde ich später noch früh genug erfahren. Für diesen Tag ist das blutige Geschäft allerdings schon erledigt, ich hänge mich so gut es geht an die Ärztinnen, darf bei der Visite die Kurve halten und versuche auch sonst, so wenig wie möglich im Weg zu stehen. Tag 1 in der Psychiatrie In meine zweite Famulatur starte ich naturgemäß bereits mit etwas mehr Selbstbewusstsein. Immerhin, so denke ich mir, kann ich diesmal von Beginn an schon etwas beitragen und helfen und bin vielleicht nicht bei jedem Schritt auf Hilfe angewiesen. Ich bin zur Morgenbesprechung der Ärzte aller drei Psychiatriestationen geladen, die ganz gemütlich erst um 8.30 Uhr beginnt. In meinen Kittel gekleidet, den man hier selbst mitbringt, finde ich mich am Konferenztisch zwischen Ober- und Assistenzärzten wieder – Hierarchie wird hier scheinbar nicht allzu groß geschrieben. Nach den Berichten der am Wochenende diensthabenden Ärzte folgt eine kleine Überraschung: der Chefarzt erteilt mir das Wort, ich darf mich kurz vorstellen und werde mit freundlichem Applaus begrüßt. Nachdem ich der Privatstation zugeteilt wurde, bin ich gleich dabei, als der Chef die Privatpatienten visitiert. Hier wird dabei nicht von Zimmer zu Zimmer gepilgert, die Ärzte versammeln sich stattdessen im Gemeinschaftsraum und bitten die Patienten nacheinander hinein. Gleich nach dem ersten Patienten wendet sich der Professor an mich. Ich fühle mich in der passiven Beobachterrolle bis dahin sehr wohl und bin dementsprechend erschrocken, als er fragt: „Nun, Herr Helbich, wie lautet Ihre Diagnose?“ Mit der richtigen Mischung aus Raten und dem Zusammenkratzen meines Vorlesungswissens vermeide ich es gerade noch, mit einem allzu schlechten Eindruck zu starten. Ich werde einer jungen Assistenzärztin zugeteilt, die sich nach der Visite erstmal kurz Zeit nimmt, die wir nutzen, um uns kennenzulernen. Der Rest des Tages verläuft recht geruhsam, aber dennoch für mich unterhaltsam mit Patientengesprächen und einer Kennenlernrunde auf der Station, bei der mir auch das Pflegeteam vorgestellt wird, das hier, abgesehen vom Namensschild, in Zivil gekleidet ist und einen auffallend entspannten Eindruck macht. Tag 2 auf der Inneren Die ersten Minuten des Tages drücke ich mich im Stationszimmer herum. Allein mit den Blutabnahmen zu starten, traue ich mir nicht zu. Und die Ärztinnen machen nicht den Eindruck, als hätten sie große Lust, mir dabei zu helfen oder mir gar etwas beizubringen. Meine Rettung betritt allerdings kurze Zeit später den Raum: ein PJ-Student, von dessen Existenz mir bisher niemand erzählt hatte, begrüßt mich und ich tausche die ersten entspannten Worte in dieser Famulatur aus, bevor wir uns auf die morgendliche Runde begeben. Das Blutabnehmen auf der Nephrologie kann etwas heikel sein, da viele Patienten ohnehin einen schlechten Venenstatus und die meisten zudem auch noch einen arteriovenösen Shunt für die Dialyse am Arm haben, den man nicht punktieren darf (beziehungsweise deren wenige gute Venen für die eventuelle zukünftige Anlage eines solchen Shunts geschont werden sollten). Trotzdem gehe ich in dieser Beziehung meine ersten Schritte und bin am Ende dieses Tages deutlich besserer Stimmung als am Tag zuvor. Das Vorhandensein einer Bezugsperson in Person des PJ-Studenten macht einen großen Unterschied. Am Nachmittag lerne ich schließlich noch den Chefarzt beziehungsweise Ärztlichen Direktor respektive Ordinarius kennen; sämtliche dieser Bezeichnungen hat der Prof. Dr. erfolgreich auf seinem Kittel untergebracht, womit er seinen ersten Eindruck auf mich, einen Mediziner der neuen Generation, natürlich erst einmal ein bisschen sabotiert. Ich muss aber nach einem kurzen Gespräch, unter anderem über die Funktionsweise der Niere und einige medikamentöse Neuerscheinungen zugeben, dass der ältere Herr ein eigentlich sehr netter Kerl ist und im Gegensatz zu seinen Untergebenen auch ein angenehm ruhiges und souveränes Auftreten an den Tag legt. Tag 2 auf der Psychiatrie Der Tag startet nach der Morgenbesprechung mit einer bösen Überraschung: der Oberarzt ist erkrankt zu Hause geblieben. Und da ein weiterer Kollege sich im Urlaub befindet, ist die mir zugeteilte Ärztin ganz allein für die Station zuständig. Doch was ich nach meinen bisherigen Erfahrungen für den Startschuss in einen mehr als stressigen Tag halte, an dem man froh sein muss, zwischendurch kurz zum Essen oder Trinken zu kommen, entpuppt sich als ein nicht übermäßig großes Problem. Wir setzen uns sogar zunächst einmal hin und trinken gemütlich einen Tee mit den Psychologinnen. Denn, wie mir auf überraschte Nachfrage erklärt wird, die Patienten bleiben in der Psychiatrie im Gegensatz zu vielen somatischen Stationen über Zeiträume von mehreren Wochen bis Monaten. Und entsprechend lang angelegt sind auch die Therapien. Ein Tag mehr oder weniger, früher oder später, das macht hier oft keinen so großen Unterschied. Die lange Verweildauer der Patienten ist demzufolge auch der Grund für die geringe Anzahl an Aufnahmen und Entlassungen im Vergleich zu den Stationen der meisten anderen Fachbereiche, was den Verwaltungsaufwand und Papierkram für die Ärzte deutlich reduziert. Nach dem Mittagessen darf ich in einer Psychoedukationsgruppe für depressive Patienten teilnehmen, in der gedankliche Manöver für den Umgang mit Depressionen erlernt werden sollen. Auch wenn die postprandiale Müdigkeit in Verbindung mit der durch die Mittagssonne bedingten Hitze im Dachgeschoss nicht nur mir zu schaffen macht und die Gruppe im Verlauf der Stunde geistig etwas erlahmt, ist es für mich ein interessantes erstes Mal in einer solchen Therapiegruppe. Nach mehreren Wochen auf der Inneren Mittlerweile habe ich mich einigermaßen eingelebt. Das Blutabnehmen läuft immer besser, ich darf Aufnahmen selbst machen und fühle mich nicht mehr ganz so fehl am Platz. Das liegt allerdings noch immer auch am PJ-Studenten, der mich unter seine Fittiche nimmt und mir vieles erklärt und zeigt. Was diese Famulatur ohne ihn wert wäre, ahne ich an seinen lernfreien Tagen, an denen ich mehr oder weniger alleine unterwegs bin und nur wenig mitnehmen kann. Einen großen Vorwurf kann ich den Ärztinnen deshalb allerdings auch nicht machen, denn die haben einfach keine Zeit – mehrere Aufnahmen und Entlassungen pro Tag und ein für meine Begriffe einfach zu großer Patienten-Arzt-Schlüssel lassen nicht viele Möglichkeiten, sich um einen Famulanten zu kümmern. Die Stimmung ist entsprechend ausbaufähig. Mehr als einmal werde ich als Antwort auf Fragen ungeduldig angeraunzt, sodass ich irgendwann mit komplikationslos ablaufenden Tagen schon zufrieden bin, selbst wenn ich dann wenig mitnehme. Leider werde ich an einem Tag Zeuge einer Episode, die für mich den absoluten Tiefpunkt des Praktikums darstellt, als ein hochpotentes Immunsuppressivum für eine Patientin bestellt wird. Der PJ-Student ist mit dieser Patientin und ihrer Krankheitsgeschichte vertraut und stellt den Nutzen dieses Medikamentes dem Ärzteteam gegenüber vorsichtig in Frage. Es wird ihm zwar sofort recht gegeben, das ändert aber nichts an der Ansetzung des Medikaments mit der Begründung, es sei ja nun schon bestellt, jetzt solle es auch gegeben werden. Der Student widerspricht hartnäckig, sodass die Sache am Ende gut für die Patientin ausgeht. Trotzdem bin ich ziemlich schockiert und hoffe, dass ich hier Beobachter eines Ausrutschers und nicht einer Szene des medizinischen Alltags geworden bin. Weitere solcher Episoden folgen glücklicherweise nicht, und auch wenn die Stimmung nicht mehr viel besser wird, habe ich am Ende der Famulatur meine Ziele größtenteils erreicht: das Blutabnehmen klappt nun mehr recht als schlecht, und einen Eindruck von der ärztlichen Arbeit auf einer Station der Inneren Medizin habe ich auch gewonnen. Ob ich später aber einmal selbst so arbeiten will, in dieser Frage bin ich weitaus mehr verunsichert als zuvor. Nach mehreren Wochen auf der Psychiatrie Die Abläufe auf der Station habe ich inzwischen soweit intus, dass ich nicht mehr bei jedem Schritt jemanden fragen muss. Was noch wichtiger ist: Ich kenne die Patienten mit der Zeit immer besser, und auch sie haben sich größtenteils an mich gewöhnt. Es bleibt genug Zeit, sich zwischendurch mit dem einen oder anderen zu unterhalten oder auch einmal spazieren zu gehen. Ich lerne teilweise auch Familienmitglieder und Freunde der Patienten kennen, werde von Eltern um Rat gefragt und habe am Ende oft das Gefühl, wirklich zum Stationsteam dazuzugehören und meinen Beitrag zur Besserung der Patienten leisten zu können. Ein persönliches Highlight ist für mich, als sogar meine Ärztin Zeit findet, mit den Patienten eine Runde Schach zu spielen. Ich erinnere mich an meine Famulatur in der Nephrologie zurück und denke mir, wie unvorstellbar derartiges dort gewesen wäre. Auch in der täglichen Arbeit wird mir viel beigebracht. Die Ärzte nehmen sich immer wieder sehr viel Zeit, um meine Aufnahmen zu besprechen oder mir Krankheitsbilder zu erklären. Die ganze Famulatur ist ein sehr großer Kontrast zu meiner vorherigen, und am Ende fällt mir die Trennung von „meinen“ Patienten, die ich teilweise über die vollen vier Wochen kennengelernt habe, sehr schwer. Dennoch gehe ich sehr zufrieden, denn die Arbeitsweise auf der Station hat meiner Vorstellung des ärztlichen Berufes deutlich mehr entsprochen, als das noch auf der Nephrologie der Fall war. Auch wenn mir klar ist, dass ich nur jeweils eine Station mit einem Stationsteam aus der großen Welt der Inneren Medizin und Psychiatrie gesehen habe, sind die Erkenntnisse, die ich gewinnen konnte, für mich wichtig. Dazu gehören so allgemeine Weisheiten wie die Bedeutung der Persönlichkeiten für die Stimmung auf der Station, und wie diese wiederum die Arbeitsweise beeinflussen kann. Aber auch die Tatsache, dass eine psychiatrische Station trotz allem mehr klinische Medizin beinhaltet, als ich gedacht hätte. Umgekehrt könnte etwas Psychiatrie, und damit meine ich in erster Linie Gespräche mit den Patienten, in der Inneren Medizin nicht schaden – wenn denn Zeit dafür wäre. Das vielleicht Wichtigste: Egal wie angenehm es abläuft, lernen kann man dabei auf jeden Fall immer eine Menge, wenn man sich etwas Mühe gibt.