Einfache Blut- und Urintests erleichtern die Diagnose von Krebserkrankungen und werden immer öfter angewendet. Jetzt konnten Wissenschaftler zeigen, dass ein neuartiger Bluttest sicher Mundhöhlen-, Prostata- und Brustkrebs nachweist.
Tumormarker, die Ärzte im Blut oder Urin von Krebspatienten nachweisen, können dabei helfen, die Erkrankung frühzeitig zu erkennen oder nach der Behandlung mögliche Rezidive nachzuweisen. Doch nicht für jede Krebsart sind bisher solche Markermoleküle bekannt, mit deren Hilfe man diese sicher identifizieren könnte. Auch sind manche dieser Blut- und Urintests wenig spezifisch: Es kommt immer wieder zu falsch-positiven Ergebnisse, die Patienten verunsichern, obwohl keine Krebserkrankung vorliegt. Nun konnten Wissenschaftler zeigen, dass mit einem neuartigen Bluttest der Nachweis von Mundhöhlen-, Brust- und Prostatakarzinomen möglich ist. Wie die Forscher um Privatdozent Martin Grimm und Professor Arnulf Stenzl im Fachjournal BMC Cancer mitteilen, erkennt der Test die Tumormarker Apo10 und TKTL1. Bei den Markern handelt es sich um Proteine oder Proteinbruchstücke, die von Immunzellen aus dem Tumorgewebe ins Blut transportiert werden. Sie kommen in größeren Mengen nur in Krebszellen vor und eignen sich deshalb besonders gut zum spezifischen Nachweis von Tumoren. Apo10 ist ein Bestandteil der DNaseX – ein Enzym, das eine wichtige Rolle bei der Apoptose spielt. Dieser Prozess gestattet es einem Organismus, nicht mehr benötigte oder beschädigte Zellen zu eliminieren. „Vermutlich wird in Krebszellen die Funktion der DNaseX blockiert, so dass es zu einer Anhäufung dieses Proteins kommt“, erklärt Grimm, der Assistenzarzt in der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum Tübingen ist.
TKTL1 verändert dagegen den Stoffwechsel in Krebszellen: Statt aerob mittels oxidativer Phosphorylierung decken die Zellen ihren Energiebedarf anaerob durch Vergärung. Als Endprodukt entsteht dabei Milchsäure, die einen Abbau der extrazellulären Matrix verursacht und dadurch Tumorzellen ermöglicht, invasiv zu wachsen und zu metastasieren. „Die Hemmung der Apoptose und das Umschalten des Stoffwechsels sind zwei wesentliche Meilensteine bei der Tumorprogression“, sagt Grimm. „Beide Prozesse gehen einher mit einer erhöhten Malignität der Erkrankung und einer schlechteren Prognose für die Patienten.“ In einer Versuchsreihe untersuchte sein Team retrospektiv Tumorgewebeproben von 161 Patienten, die an einem Mundhöhlenkarzinom litten und deren Tumor chirurgisch entfernt worden war. In den Gewebeproben von 22 Patienten konnten die Forscher keinen der beiden Marker identifizieren, in 78 Proben einen von beiden Markern und in den restlichen 61 Proben beide Marker. „Interessanterweise war in den Fällen, in denen wir nur einen Marker nachweisen konnten, fast immer Apo10 und nicht TKTL1 positiv“, sagt Grimm. „Das könnte ein Hinweis sein, dass in Tumorzellen zuerst Apo10 und erst danach TKTL1 aktiviert wird.“
Auch in Tumoren können einzelne Zellen beispielsweise durch Sauerstoffmangel zugrunde gehen: Die Folge ist eine Entzündungsreaktion, die spezielle Immunzellen anlockt. Die Makrophagen erkennen die abgestorbenen Tumorzellen, verleiben sich deren Bestandteile ein und wandern wieder in die Blutgefäße. Dieses Phänomen haben sich Grimm und seine Kollegen zunutze gemacht. Die Forscher entnehmen Patienten eine kleine Blutprobe und isolieren daraus die weißen Blutkörperchen. Anhand spezieller Oberflächenmerkmale können sie die Makrophagen inmitten der Vielzahl unterschiedlicher Leukozyten aufspüren. Dafür nutzen die Forscher die Durchflusszytometrie – eine Messverfahren, das die Analyse einzelner Zellen erlaubt, die in hohem Tempo an einem Lichtstrahl vorbeifließen. Die Tumormarker Apo10 und TKTL1 werden in den Makrophagen von spezifischen Antikörpern erkannt. Diese sind mit Fluoreszenzfarbstoffen markiert, die durch Laserlicht zum Leuchten angeregt werden und sich so detektieren lassen. Um die Empfindlichkeit des neuen Verfahrens zu bestimmen, analysierten Grimm und seine Kollegen das Blut von 50 Patienten mit Mundhöhlenkrebs, 48 Patienten mit Brustkrebs und 115 Patienten mit Prostatakrebs. Als Kontrolle diente das Blut von 74 gesunden Testpersonen. Bei nur drei Krebspatienten ließ sich keiner der beiden Marker nachweisen. Durch die Kombination beider Tumormarker erreichte der Test in der Probandengruppe eine Sensitivität von 95,8 Prozent und eine Spezifität von 97,3 Prozent. „Das sind sehr gute Werte, die sich im einzelnen bei den getesteten Krebsarten kaum unterschieden“, sagt Grimm. „Das neue Verfahren eignet sich besonders gut zur Bestätigung von Krebsdiagnosen und zur Kontrolle des Therapieerfolgs.“ Bei Mundhöhlenkrebs, so der Mediziner, gebe es nun zum ersten Mal einen Bluttest, der eine frühere und einfachere Diagnose von Rezidiven ermöglichen könnte.
Aber auch bei Krebsarten wie dem Prostatakarzinom, für die es schon Bluttests gibt, könnte die Bestimmung von Apo10 und TKTL1 vorteilhaft sein: „Bei der Verlaufskontrolle nach erfolgter Therapie wird geschaut, ob der PSA-Wert im Blut ansteigt. Es gibt aber immer wieder Fälle, bei denen dieser Wert ohne ersichtlichen Grund schwankt“, sagt Professor Arnulf Stenzl, Ärztlicher Direktor der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Tübingen. „Bevor dann voreilig weitere therapeutische Schritte ergriffen würden, könnte der neue Test sicherstellen, ob die Krankheit erneut ausgebrochen ist oder nicht.“ Ob sich das Verfahren mit den Tumormarkern Apo10 und TKTL1 auch für ein Screening von potenziellen Krebspatienten eignet, muss noch geklärt werden: „Wir wissen noch nicht, ob es nicht vielleicht auch andere entzündliche Krankheiten gibt, bei denen die Werte der beiden Marker erhöht sein könnten“, sagt Grimm.