Neurowissenschaftler konnten einen Zusammenhang zwischen räumlicher Lage und Tonlage beweisen. Sie zeigten: Geräusche, die von einer räumlich erhöhten Quelle ausgehen, befinden sich meist in einer höheren Tonlage. Geräusche, die von unten kommen, klingen eher tief.
Warum benutzen Menschen, wenn sie eine Tonlage beschreiben, meist die räumlichen Begriffe „hoch“ beziehungsweise „tief“? Und warum werden hohe Noten stets oben auf den Notenlinien verzeichnet? Ein Team von Neurowissenschaftlern der Universität Bielefeld, des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen und des Bernstein Zentrums für Computational Neuroscience Tübingen hat eine Erklärung dafür gefunden. Deren Untersuchung zeigt: Die räumliche Lage hängt tatsächlich mit der Tonhöhe zusammen. Geräusche, die von einer räumlich erhöhten Quelle ausgehen, befinden sich meist in einer höheren Tonlage. Geräusche, die von unten kommen, klingen eher tief und dumpf.
Das Forschungsteam hat drei Ansätze kombiniert, um den Zusammenhang zwischen Schallfrequenz und räumlicher Lage zu untersuchen: Zunächst nahmen die Forscher eine große Anzahl natürlicher Umgebungsgeräusche auf und analysierten diese. Dabei fanden sie heraus, dass hoch frequentere Töne tatsächlich häufiger von einer höheren Raumposition ausgehen. Dann analysierten die Wissenschaftler, wie das menschliche Außenohr Geräusche filtert. „Dabei zeigte sich, dass Geräusche aufgrund der asymmetrisch gebogenen Form der Ohrmuschel gefiltert werden und zwar derart, dass hohe Töne eine höhere Intensität aufweisen, wenn sie von oben kommen“, erklärt Professor Dr. Marc Ernst, Leiter der Forschungsgruppe Kognitive Neurowissenschaften der Fakultät für Biologie. Der dritte Teil der Studie war ein Verhaltensexperiment. Die Forscher baten die Versuchspersonen, Geräusche mit unterschiedlicher Tonhöhe im Raum zu lokalisieren. Das Ergebnis: Die Testpersonen ordneten hochfrequente Töne in den meisten Fällen einer erhöhten räumlichen Position zu. „Auffällig ist, dass die Ergebnisse der drei Analysen in hohem Maße übereinstimmen“, sagt Marc Ernst. „Es scheint also einen universellen Zusammenhang zwischen der Position eines Objekts und seiner Tonhöhe zu geben.“
Dr. Cesare Parise, der Erstautor der Studie, leitet von den Ergebnissen ab, dass sich das menschliche Hören im Lauf der Evolution an die statistischen Gegebenheiten der Umwelt angepasst hat. „ Die Befunde deuten in einer faszinierenden Weise darauf hin, dass sich das menschliche Ohr durch die Evolution möglicherweise genau derart geformt hat, um die akustischen Eigenschaften der Umwelt widerzuspiegeln“, sagt Parise. Seiner Einschätzung nach lassen sich die Ergebnisse für die Entwicklung neuartiger Audiotechnologien für die Raumwahrnehmung nutzen. Dazu gehören Ohrprothesen und Hörgeräte, die optimiert sind, hohe Geräusche von hoch gelagerten Tonquellen und tiefe Geräusche von unten wahrzunehmen. Auch für virtuelle Welten und Computerspiele, in denen Geräusche künstlich erzeugt werden, könne das neue Wissen genutzt werden. Auch für die Konstruktion von Geräten, die Sonifikation verwenden, seien die Erkenntnisse hilfreich. Sonifikation ist eine Methode, die nichtsprachlichen Klang nutzt, um Informationen zu übertragen.
Neben der Verknüpfung von Tonlage und räumlicher Höhe gibt es in der menschlichen Wahrnehmung weitere scheinbar willkürliche Zuordnungen von Sinnesempfindungen: Beispielsweise werden gelb-rote Farben mit warmen Temperaturen assoziiert oder saure Speisen als scharf empfunden. Die aktuelle Studie legt nahe, dass viele der scheinbar willkürlichen Zuordnungen möglicherweise statistische Gesetzmäßigkeiten widerspiegeln, die in der natürlichen Umwelt zu finden sind. Originalpublikation: Natural auditory scene statistics shapes human spatial hearing Cesare Parise et al.; PNAS, doi: 10.1073/pnas.1322705111; 2014