Der Traum vom Arztberuf scheint ohne Spitzenabi oder lange Wartezeiten nicht realisierbar. An der privaten Nürnberg Medical School kann man nun gegen entsprechende Bezahlung ein Studium beginnen - ganz ohne NC. Vertreter der Medizinfakultäten sind in Aufruhr. Zu Recht?
Die große Beliebtheit der Medizinstudienplätze bringt ein Problem mit sich. Es gibt zu wenige für zu viele Bewerber und das, obwohl gleichzeitig von vielerorts Ärztemangel die Rede ist. Ein Grund sind auch die hohen Kosten der Ausbildung, sodass deutsche Universitäten pro Jahr nur etwa 10.000 Bewerber aufnehmen können. Wer den nötigen Schnitt nicht hat, muss sich auf viele Wartejahre und große Hürden einstellen oder den Wunsch vom Arztberuf aufgeben. Doch in Nürnberg gibt es ab kommendem August einen neuen Weg zum Medizinstudium. Die Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg (PMU), die an ihrem österreichischen Stammsitz bereits seit 2003 Ärzte ausbildet, bietet in Kooperation mit dem Städtischen Klinikum Nürnberg einen Studiengang nach österreichischem Recht an. Das Besondere ist, dass man komplett in Deutschland studieren kann und die Abiturnote keine Rolle spielt. Möglich ist das Ausbildungsangebot aufgrund der im EU-Recht verankerten Niederlassungsfreiheit. Die Aufsicht für den Studiengang liegt in Österreich und die Qualitätssicherungsagentur in Wien hat bereits letztes Jahr dem Kooperationsprojekt zugestimmt. Interessierte Bewerber müssen allerdings den gewissen finanziellen Background mitbringen und einige zehntausend Euro investieren können. 50 Plätze gibt es diesen Sommer, später sollen es einmal 250 werden.
Um an der Medical School Nürnberg zugelassen zu werden, ist es notwendig, einen Fünf-Stunden-Test in Biologie, Chemie, Physik und Englisch in Salzburg zu absolvieren und ein Auswahlgespräch zu führen, bei dem auf Persönlichkeit, Motivation und soziales Engagement Wert gelegt wird. Dass das Studium nicht billig ist, zeigen bereits die 130 € Bearbeitungsgebühr für das Anmeldeformular. Meldet man sich erst kurz vor Bewerbungsschluss an, sind es sogar 240 €. 13.500 € kostet dann ein Studienjahr, insgesamt investiert man stattliche 67.500 € in seinen Studiengang. Im internationalen Vergleich lächerlich wenig, für Deutschland jedoch eine enorme Summe. Dafür schließen die Nürnberger Studenten das Studium dann mit einem „Dr. med. univ.“ ab, der nach EU-Recht in Deutschland anerkannt wird. Und zwar schon nach 5 statt der üblichen 6 Jahre Studium, was die PMU mit Verkürzung der Semesterferien erreichen will. Dieser Turbostudiengang soll außerdem von Anfang an einen hohen Praxisbezug haben und durch die geringe Studentenzahl das Lernen in Kleingruppen ermöglichen. Ein Lehrender soll demnach durchschnittlich weniger als zehn Studenten betreuen und jeder Student darf sich einen Mentor wünschen. Die PMU wirbt zudem damit, im Gegensatz zu öffentlichen Universitäten zahlreiche Inhalte zu behandeln, die in der traditionellen Medizinerausbildung bisher kaum eine Rolle spielten, aber den Erfordernissen der modernen Zeit entsprächen. Damit sind Fächer wie Ernährungsmedizin, Gesundheitsökonomie, Wachstum und Entwicklung, Professionalität in der Medizin, Geschlechtsspezifische medizinische Aspekte (Gender-Medizin) oder Kommunikative und soziale Kompetenzen gemeint. Ein weiterer Unterschied ist, dass auf englische Sprachkenntnisse besonderer Wert gelegt wird. So findet der Unterricht teilweise auf Englisch statt, um die Studierenden auf die amerikanische Zulassungsprüfung USMLE vorzubereiten, die sie verpflichtend ablegen müssen. Wer nicht aus reichem Hause stammt, für den bietet das Klinikum Nürnberg auch zinsgünstige Darlehen oder sogar den kompletten Erlass der Studiengebühren an, wenn sich die Studierenden nach ihrem Abschluss für einen bestimmten Zeitraum an das Krankenhaus binden, erklärt der Vorstand des Klinikums, Dr. Alfred Estelmann. Auch Stipendien werden nach sozialen Kriterien und Leistung vergeben. Klingt eigentlich nach einer Win-win-Situation für alle Beteiligten. Das Klinikum Nürnberg erhofft sich durch das private Studium junge Menschen, die eine „emotionale Bindung an die praktische ärztliche Tätigkeit“ haben und auch nach dem Abschluss am Klinikum bleiben. Studenten mit ungenügendem Abiturschnitt können über das gebührenfinanzierte Studium doch noch Ärzte werden. Und die private Hochschule verdient Geld.
Ganz und gar nicht begeistert zeigt sich allerdings der Medizinische Fakultätentag (MFT). Der Verband, der die staatlichen Medizinuniversitäten und Forschungseinrichtungen in Deutschland vertritt, spricht von einem „wissenschaftlichen Discounter“, der sich in Nürnberg gerade „deutsches Hochschulterrain“ erschließt. Vor allem geht die Sorge um, mit dem Vorstoß könnten hiesige rechtliche und Qualitätsstandards unterlaufen werden. In einer gemeinsamen Erklärung des MFT und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ist mit Blick auf das „Akademische Franchising“ von einer „Ärzteausbildung light“ die Rede. Unter Franchising im Hochschulbereich versteht man, dass der akademische Grad zwar von der Hochschule verliehen wird, Studienprogramme jedoch durch Partnerorganisationen durchgeführt werden. „Mit der Begründung, etwas für den ärztlichen Nachwuchs zu tun, gehen Krankenhäuser in verschiedenen Bundesländern dazu über, ein Medizinstudium „light“ anzubieten. Sie arbeiten dafür mit ausländischen Bildungsanbietern zusammen, die sich neue Märkte erschließen wollen“, erklärt Professor Heyo Kroemer, Präsident des MFT. Der Generalsekretär der MFT Volker Hildebrandt kritisiert ein solches Vorgehen scharf: „Wer in Deutschland an einer nichtstaatlichen Franchising-Ausbildung teilnimmt, soll nach Vorstellungen von ausländischen Anbietern das bei uns geltende Zulassungs-, Ausbildungs- und Prüfungsrecht sowie die staatliche Qualitätssicherung umgehen können. Wir lehnen den PMU-Studiengang in Nürnberg daher rundweg ab.“
Im Unterschied zu öffentlichen Universitäten, an denen Studiengebühren abgeschafft wurden, sind beim privaten Franchising erhebliche Studiengebühren fällig. Dennoch werden Ausbildungsabschnitte meist in andere Einrichtungen ausgelagert, wie das beispielsweise bei der Asklepios Medical School der Semmelweis Universität in Hamburg der Fall ist, die ihre Vorklinik nach Ungarn verlegt hat. Ärztevertreter kritisieren, dass auf diese Weise eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis nicht möglich sei. Die klinische Lehre übernähmen im besten Fall außerplanmäßige Professoren oder Honorarprofessoren ohne die für Lehre und Forschung notwendigen Ressourcen. Letzteres sei auch bei der Nürnberg Medical School der Fall. Doch das Medizinstudium solle mehr sein als lediglich Unterricht am Krankenbett. Der Verzicht auf anerkannte und im internationalen Wettbewerb berufene Universitätsprofessoren sowie fehlende Infrastrukturen für Lehre und Forschung gefährden, nach Meinung der deutschen Ärztelobby, die Qualität der Ausbildung und der späteren Patientenversorgung. An der Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg wird daher kein gutes Haar gelassen. Hauptkritikpunkt ist, dass das städtische Klinikum Nürnberg kein Uniklinikum ist und somit keine deutsche Universität die Finger im Spiel hat. Der Medizinische Fakultätentag sieht darin nicht nur deutsches, sondern auch europäisches Recht verletzt, denn nach der Bundesärzteordnung müsse ein Medizinstudium an einer wissenschaftlichen Hochschule stattfinden und laut einer EU-Richtlinie solle die ärztliche Grundausbildung „an einer Universität oder unter Aufsicht einer Universität stattfinden“. Volker Hildebrandt, MFT-Generalsekretär, vertritt deshalb die Meinung, dass „die Aufsicht durch die private Universität aus Salzburg nicht ausreichend ist“. Ein weiterer Dorn im Auge der Ärztevertreter ist die Tatsache, dass die theoretischen Fertigkeiten in Biologie, Physik und Chemie an der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm in Nürnberg vermittelt werden sollen, die bis 2013 eine Fachhochschule war. Damit werde in der privaten Nürnberger Ärzteausbildung das „gesamte Studium quasi auf FH-Ebene absolviert“, bemängelt der Fakultätentag.
Auch Jürgen Schüttler, Dekan der medizinischen Fakultät an der Universität Erlangen-Nürnberg, äußert sich entsetzt: „Dreh- und Angelpunkt der Ärzteausbildung in Deutschland ist, dass sie forschungsbasiert ist, dass die Studenten ganz nah am wissenschaftlichen Fortschritt ausgebildet werden.“ Das könnten nur Unikliniken mit ihrer Grundlagenforschung leisten. Am Städtischen Klinikum in Nürnberg gebe es „allenfalls klinische Studien“. Schüttler hält es für unerträglich, „dass auf deutschem Boden eine Ausbildung stattfindet, die sich außerhalb der Kontrolle der deutschen Behörden bewegt“. Tatsächlich waren deutsche Behörden bei dem ganzen Unterfangen bislang nur Zaungast. Möglich machen dies der europäische Binnenmarkt und die im EU-Recht verankerte Niederlassungsfreiheit. Über die Bewilligung des PMU-Projekts in Nürnberg hat die Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung Austria (AQ Austria) entschieden. Von der heißt es, die Akkreditierung sei regelkonform abgelaufen. Das bayerische Wissenschaftsministerium hält sich vornehm zurück. Es sei wichtig, deutlich zu machen, dass das „Sitzland der Hochschule“ (Österreich) die „Verantwortung für die Erfüllung von Qualitätsstandards trägt“. Deshalb untersuche man erst gar nicht, ob der Studiengang gleichwertig mit der Ärzteausbildung an deutschen Universitäten sei.
Doch ist die Aufregung der deutschen Universitäten nicht etwa künstlich? Wollen sie nicht einfach nur Konkurrenz vermeiden? Schüttler verneint vehement: „Wir stellen uns gerne dem Wettbewerb“. Die PMU jedoch wehrt sich gegen den Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit. Auf deren Website heißt es, dass das Studium nicht der reinen Wissensvermittlung dienen solle, sondern ein Umfeld zu einer „ersprießlichen, interaktiven theoretisch-praktischen Ausbildung“ biete. Für die zukünftigen Ärzte solle eine Sensibilisierung für „das Neue, das noch nicht Machbare, für das Unkonventionelle und Querdenkerische, für das Kreative und Zukünftige“ – für Wissenschaft und Forschung also – erfolgen. Deswegen sähe die PMU auch im vierten Studienjahr ein viermonatiges Forschungstrimester vor, in dem die Studenten wissenschaftlich an laufenden Forschungsprojekten des Klinikums mitarbeiten. Zudem gäbe es am Klinikum Nürnberg neben freiberuflichen Ärzten, die Kurse geben, Professoren, die in die Unterrichtung der Studenten mit eingebunden würden. Auch sei die Grundlagenforschung möglich und erwünscht. Das letzte Wort ist in dem Streit zwischen Fakultätentag und PMU wohl noch nicht gesprochen. Die Ärztevertreter prüfen rechtliche Schritte und berufen sich auf ein Rechtsgutachten, in dem unter anderem bemängelt wird, dass das Klinikum Nürnberg eine öffentliche Einrichtung sei und damit auch deutsches Recht zu achten habe. Vom Grundsatz her wird aber auch in dem Gutachten die Rechtmäßigkeit des Franchisesystems nicht angezweifelt, weil die EU-Mitgliedstaaten die Studienabschlüsse für Ärzte wechselseitig anerkennen. Für den Fall einer juristischen Auseinandersetzung wäre sowieso mit einem jahrelangen Verfahren zu rechnen. Bis es zu einer Entscheidung kommt, könnten womöglich längst Fakten geschaffen sein. Man will schließlich nicht kommenden Nürnberger Absolventen in fünf Jahren mitteilen, dass ihr Studium umsonst war. Und wo gewöhnlich viel Geld im Spiel ist, haben politische Aufseher sowieso gerne mal das Nachsehen. Großer Gönner der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität ist Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz, der sich schon an der Gründung beteiligte und 2012 mal eben 70 Millionen Euro in ein neues Forschungszentrum für Querschnittslähmung investierte, um die Grundlagenforschung sicherzustellen. Die Salzburger Uni kann so finanziell gestärkt ihr Geschäftsmodell in Nürnberg locker durchziehen.
Doch was denken Medizinstudenten über das umstrittene Konzept der PMU? Annette Mohner, Medizinstudentin im sechsten Semester in München, kann nicht verstehen, warum ein solcher Studiengang in Deutschland erlaubt wird: „Es ist eine absolute Frechheit, dass hier ein Studienplatz vom Geldbeutel der Eltern abhängig gemacht wird. Der Numerus Clausus mag zwar nicht die beste Möglichkeit sein, über die Vergabe der Studienplätze zu entscheiden, aber ich denke doch, dass ein halbwegs disziplinierter und engagierter Schüler ein 1,x-Abitur schafft und dann die Möglichkeiten hat, durch den TMS nachzubessern. [...] Es ist eigentlich ein gerechter Wettbewerb. Es ist aber nicht fair, dass jemand aus armen Verhältnissen sieben Jahre warten muss und sich der Sohn aus reichem Hause den Studienplatz sofort erkaufen kann.“ Auch Jan B.*, der im achten Semester an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, pflichtet Annette bei: „Ich sehe private Unis kritisch, da ich Geld für ein schlechteres Selektionskriterium halte, als den Numerus Clausus. Das bedeutet nicht, dass Studenten, die ohne eigene Leistung, aber mit dem Geld der Eltern ins Studium kommen, grundsätzlich schlechtere Ärzte werden. Ich halte es jedoch für wahrscheinlich, dass bei einer Zulassung der Studenten nach monetären Kriterien diese nach dem Studium einen schlechteren Ausbildungsstand haben werden. Es wird oft argumentiert, dass die Qualität der Ausbildung bei der neuen privaten Uni gesichert sei, da die Studierenden ebenfalls staatlich geprüft würden. Diese Argumentation halte ich jedoch für irreführend: Die Staatsexamina alleine sichern nicht die Qualität der Ausbildung. An meiner Universität haben die Klausuren, die von der Universität selbst erstellt werden, oftmals viel höhere Durchfallquoten, als die Staatsexamina. An der privaten Universität werden diese Klausuren aber von Professoren gestellt, die von den Studierenden, bzw. von deren Eltern, für das Stellen der Prüfungen bezahlt werden. Ich befürchte, dass die Prüfungen daher einfacher sein werden. Von anderen privaten Studiengängen sind mir Fälle bekannt, in denen Professoren indirekt von den Eltern wieder auf gewünschten Kurs gebracht wurden, sofern zu viele Studierende mit gut zahlenden Eltern durch eine Prüfung gefallen sind. Ich finde, so eine Praxis darf man bei einem Studiengang wie Medizin nicht riskieren. Ich bin der Meinung, dass die medizinische Ausbildung in Deutschland nach aktuellem Stand nicht ohne Qualitätsverlust privatisiert werden kann. Die Privatisierung versucht Kosten einzusparen, sowie Kunden zufriedenzustellen. Die Universitätsmedizin ist aber kein Fast Food-Unternehmen und sollte das Augenmerk nicht auf Ökonomie, sondern auf eine bestmögliche Ausbildung der Medizinstudenten setzen.“
Der Medizinstudent Simon Oggerer aus Regensburg sieht das jedoch ganz anders: „Wieso regen sich die Leute so auf? Es gibt viele Privatuniversitäten wie beispielsweise Witten-Herdecke oder die Unis im Ausland und da funktioniert das Ganze doch auch wunderbar. Ich habe noch nicht gehört, dass Ärzte von dort schlechter ausgebildet wären, es scheint also zu funktionieren. So lange die Qualität der Ausbildung gewahrt bleibt, also nicht der Patient am Ende einen Nachteil hat, sehe ich da überhaupt kein Problem. Auch an einer Uni, für die man Geld bezahlt – was übrigens beispielsweise in den USA Gang und Gäbe ist - gibt es Klausuren und Prüfungen jeglicher Art. Und sicherlich auch mit einem gewissen Schwierigkeitsgrad, sodass man auch dort fleißig sein und lernen muss. Ich finde es gut, dass in Nürnberg wieder ein paar mehr Studienplätze geschaffen werden, die sind in Medizin ja Mangelware. Und ganz ehrlich: eine schlechte Abiturnote sagt nicht aus, dass jemand später ein schlechter Arzt wird. Umgekehrt bin ich der Meinung, dass 1,0-Kandidaten manchmal auch relativ lebensfremd sind und nicht zwingend einen guten Arzt abgeben. Außerdem steht nirgends, dass nur reiche Studenten dort hingehen dürfen. Man muss für die Leistungen der Privatuniversität Gebühren bezahlen, ja, aber diese können auch über ein Stipendium finanziert werden oder man bezinst sein späteres Einkommen. Ich finde, man darf nicht den Anspruch erheben, von einer privaten Universität Bildungsgerechtigkeit zu verlangen, sie ist ein Wirtschaftsunternehmen und handelt logischerweise auch wie eines.“ * Der Name des Interviewten wurden von Seiten der Redaktion geändert.