Die Zecke wurde einst zum gefährlichsten Tier gekürt, die Übertragung von Borreliose und FSME gehört zu ihrem Standardrepertoire. Der diesjährige milde Winter galt als extrem zeckenfreundlich - was hilft also gegen die kleinen Plagegeister?
Die ersten Fälle der Frühsommer-Meningoencephalitis (FSME) traten dieses Jahr bereits im Januar auf, berichteten Forscher auf dem 2. Süddeutschen Zeckenkongress an der Universität Hohenheim im März 2014. Die zunehmend milden Winter haben zur Folge, dass Zecken nicht nur im Sommer, sondern zunehmend ganzjährig aktiv sind. Der Winter 2013/14 war extrem zeckenfreundlich. Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl der FSME-Erkrankungen mit 420 Erkrankungen ein erneutes Hoch. Zecken sind extrem zäh: sie können zwei Jahre lang hungern, auch eine Nacht im Gefrierfach bei minus acht Grad können sie überleben. Vollwaschgang bei 60 Grad? Kein Problem. Erst bei minus 20 Grad ist Schluss. Es gibt kaum vergleichbare Organismen, die so viele Parasiten und Erreger übertragen können. „In diesem Winter haben wir auf unseren über ganz Deutschland verteilten Zeckenstationen fast durchgehend Aktivität gemessen“, berichtet Dr. Olaf Kahl, Geschäftsführer der Informationsplattform Zeckenwetter.de. So ist es wenig verwunderlich, dass das Robert-Koch-Institut im Januar und Februar bereits fünf FSME-Erkrankungen gemeldet hat.
Das Robert-Koch-Institut warnte vor einem „Neuzugang“ in der Zeckenfamilie: die Auwaldzecke (Dermacentor (D.) reticulatus). Der Name suggeriert zwar heile Bergwelt, doch der kleine Plagegeist ist die Zicke unter den Zecken und hat es in sich. Sie ist ursprünglich nach Deutschland importiert worden, jetzt hier dauerhaft heimisch geworden und breitet sich weiter aus. Wirtstiere sind Kleinnager, Hasen, Wildschweine, aber auch Hunde. Die adulte weibliche Auwaldzecke ist mit 3-5 mm etwa dreimal so groß wie ein Weibchen von Ixodes ricinus, vollgesogene Weibchen erreichen eine Länge bis ca. 20 mm. Neben Borreliose und FSME kann die Auwaldzecke Francisella tularensis, Coxiella burnetii, Rickettsien der Fleckfieber-Gruppe aber auch das in Sibirien endemische Virus des Hämorrhagischen Omsk-Fiebers übertragen. Die Schafzecke (Dermacentor marginatus) ist unter anderem Überträger von Rickettsien. Diese Kokken befallen Endothelzellen von kleinen Blutgefäßen verschiedener Organe und verursachen dadurch eine Vaskulitis. Schwere Verläufe können auch zu einer Enzephalitis sowie zu ausgeprägten Hautschädigungen mit Nekrosen führen. Die Taubenzecke (Argas reflexus) ist in Südeuropa beheimatet und wurde wahrscheinlich durch Zugvögel nach Nord- und Mitteleuropa verschleppt. In unseren Breiten kann sie allerdings nur in Gebäuden überleben. Der Stich einer Taubenzecke kann beim Menschen allergische Reaktionen vom Soforttyp hervorrufen. Diese treten als generalisierte Urtikaria (Nesselausschlag), Quincke-Ödem (schmerzende Schwellung im Unterhautgewebe) oder als Urtikaria-Angioödem-Syndrom, zum Teil mit Diarrhöen, auf. Urtikaria oder Ödem erscheinen aber, egal wo Argas reflexus gestochen hat, am ausgeprägtesten an Kopf und Hals. Folge sind dann vielfach Atemnot, Kreislaufbeschwerden, Herzrhythmusstörungen und anaphylaktischer Schock. Diese und andere Zeckenarten übertragen viele Infektionen. Am bedeutsamsten sind Borreliose und die FSME.
Der Mutter eines Patienten ist es zu verdanken, dass die Lyme-Borreliose ernst genommen wird und behandelbar ist. 1975 hat Polly Marray Daten über die Symptome der Erkrankung gesammelt, die für eine wissenschaftliche Studie verwendet wurden. Der Mikrobiologe Willy Burgdorfer entdeckte fünf Jahre später die Penicillinresistenz des nach ihm benannten Erregers (Borrelia burgdorferi). Polly stammt aus dem Städtchen Lyme, die der Erkrankung den Namen gab. Bei der Borreliose tragen zwischen 3 und 30 % der Zecken den Erreger in sich. Die Zahl der Borreliose-Erkrankten wird in Deutschland auf ca. 100.000 geschätzt. In einigen Bundesländern wurde eine Borreliose-Meldepflicht eingeführt.
Im 1. Stadium kommt es zur lokalen Hautinfektion im Bereich des Zeckenstiches. Allgemeininfektionen mit akuten Organmanifestationen wie Myokarditis, periphere Neuritis, intermittierende Lyme-Arthritis folgen im 2. Stadium. Schließlich treten chronische Organschäden am Herzen und an den Gelenken auf. Borrelieninfektionen heilen oft selber spontan ab. Die Erreger können jedoch auch in verschiedenen Geweben überdauern und selbst nach Jahren einen erneuten Krankheitsschub auslösen oder zu einer chronischen Entzündung führen. Wenn die Zecke nur kurz gesaugt hat, besteht kein Grund zur Panik oder Überreaktion. Erst wenn der Blutsauger mehr als zehn Stunden aktiv war, können Erreger über den Stichkanal übertragen werden. Das Erythema migrans an der Stichstelle ist die häufigste Manifestation einer Lyme-Borreliose. Die Hautveränderung tritt 7 bis 10 Tage nach einem Zeckenstich auf und breitet sich innerhalb von Tagen bis Wochen aus. Die meist schmerzlose Veränderung ist oft kreisrund, sich ausbreitend oder bildet eine erythematöse Scheibe. Gelegentlich treten Fieber und andere Allgemeinsymptome auf. Das Borrelien-Lymphozytom tritt vor allem bei Kindern und Jugendlichen meistens am Ohrläppchen oder an den Mamillen als rötlich-livide Schwellung auf. Eine frühe disseminierte Lyme-Borreliose ist gekennzeichnet durch multiple Erytheme, schwerere Allgemeinsymptome oder Befall von anderen Organen als der Haut. Zu ihnen zählt auch die kardiale Lyme-Borreliose. Möglich sind Überleitungsstörungen und akute Neuroborreliosen mit Hirnhautentzündung und Paresen. Die in Europa seltene Lyme-Arthritis gehört zur Spätmanifestation. Einige Monate nach einem Erythema migrans treten Synovitiden von Kniegelenken auf.
Das unabhängige wissenschaftliche Institute of Medicine (IOM) äußert sich besorgt über „die weite Verbreitung von falschen Vorstellungen und Missverständnissen“ in Bezug auf die Infektion mit Borrelia burgdorferi. Besonders problematisch finden Experten um Dr. John Halperin vom Overlook Medical Center in Summit, dass manche Ärzte zur klinischen Diagnose auch andere Symptome als das Erythema migrans heranziehen und die Serologie wegen „fehlender Aussagekraft“ außer Acht lassen. In einem Review im American Journal of Medicine 2013 haben die US-Mediziner die häufigsten Irrtümer in Bezug auf die Borreliose sowie die entsprechende evidenzbasierte Datenlage zusammengestellt:
Das Aktionsbündnis gegen zeckenübertragene Infektionen Deutschland e. V. (OnLyme-Aktion.org) rief in Berlin am Brandenburger Tor zu einer Protestkundgebung auf. Die Patienten beklagen eine überaus schlechte Versorgungslage, mangelnde Forschungsanstrengungen und eine fehlende wirksame Therapie – insbesondere im Spätstadium. „Mit dem Motto: (Be)Handelt endlich! appellieren wir an die Verantwortlichen, diese weitverbreitete Multi-Organ-Infektion aus gesundheitspolitischen, sozialpolitischen, wirtschaftspolitischen und medizinischen Gründen nicht länger zu vernachlässigen“, sagt Susanne Lutz, eine Sprecherin des Aktionsbündnisses.
Eine generelle Antibiotikaprophylaxe nach einer Zeckenattacke ist nicht sinnvoll. Lediglich Patienten, die grippeähnliche Symptome entwickeln, wenn der Zeckenstich erst nach mehr als ein bis zwei Tagen entdeckt wurde oder Schwangere sollten vorbeugend therapiert werden. Ein Impfstoff gegen die Lyme-Borreliose ist in Deutschland nicht verfügbar. In Leitlinien werden übereinstimmend Doxycyclin und Amoxicillin für 14 bis 21 Tage oral empfohlen. Das hochpreisigere Cefuroxim-Axetil (2-mal täglich 500 mg) war in randomisierten einfachblinden Studien ähnlich wirksam. Geringer wirksam ist Erythromycin. In einer großen Doppelblindstudie war Azithromycin weniger gut wirksam als Amoxicillin. Außerdem waren Spätmanifestationen der Borreliose unter Azithromycin signifikant häufiger. Makrolide gelten bei der Lyme-Borreliose höchstens als Mittel der dritten Wahl. Bei der disseminierten Form der Borreliose führt die Gabe von Ceftriaxon oder Doxi zu einem 85 % Behandlungserfolg.
Für das Jahr 2013 wurden bundesweit etwa 400 Meldungen für die von Zecken übertragene FSME gemeldet, mehr als doppelt so viel wie im Jahr davor. Im Gegensatz zur Lyme-Borreliose kommt die Frühsommer-Meningoenzephalitis nur in bestimmten Gebieten vor. Obwohl ein Süd-Nord-Gefälle besteht, lassen sich Risikogebiete nicht befriedigend definieren. Der Erreger ist ein RNS-Flavivirus, der einen zweiphasigen Verlauf der Erkrankung auslöst. Ein bis zwei Wochen nach der Infektion kommt es zu mittelschwerem Fieber ohne Anzeichen einer ZNS-Beteiligung. Nach einer zwei- bis zehntägigen Remission klagen etwa ein Drittel der Patienten unter einer zweiten, ausgeprägteren Fieberphase mit Zeichen einer Meningitis bzw. Meningoenzephalitis. Erst wenn sicher ist, dass der Patient sich in einem Endemiegebiet aufgehalten hat und in den drei vorangegangenen Wochen von einer Zecke gebissen worden ist, ist eine sichere Diagnosestellung möglich. Außerdem müssen spezifische FSME-Antikörper und ein entzündlicher Liquorbefund vorhanden sein. Eine kausale Therapie ist nicht möglich. Analgetika und Corticosteroide lindern systemisch die Beschwerden. Der frühzeitige Einsatz von Immunglobulinen ist durch klinische Studien nicht hinreichend belegt. Eine Immunprophylaxe ist mit einem FSME-Impfstoff möglich. Zur aktiven Immunisierung wird der Impfstoff zweimal im Abstand von 14 Tagen bis 3 Monaten gegeben. Nach 9 bis 12 Monaten erfolgt eine Boosterimpfung und eine Auffrischimpfung nach etwa 3 Jahren. Auch eine Schnellimmunisierung ist machbar: 2 bis 3 Teilimpfungen an den Tagen 0, 14 bzw. 0, 7, 21, gefolgt von einer Boosterimpfung nach 9 bis 18 Monaten. Alle Personen, die sich aufgrund des Berufes oder aufgrund von Freizeitaktivitäten häufig in der Natur aufhalten oder Urlaubsreisen in Hochrisikoregionen antreten, sollten immunisiert werden, so die Empfehlung der STIKO und des RKI. Wer mehr als ein Jahr vor FSME geschützt sein will, sollte sich nach neun bis zwölf Monaten eine dritte Impfung verabreichen lassen. Deren Schutzwirkung hält mindestens drei Jahre. Nach vollständiger Impfung kann bei 99 % der Geimpften mit einem vollständigen Schutz vor FSME gerechnet werden . Eine postexpositionelle passive Immunisierung mit einem FSME-Immunglobulin sollte gut abgewogen werden. Sie darf nur spätestens vier Tagen nach Betreten des Infektionsgebietes, nicht vier Tage nach Zeckenstich, erfolgen. Eine spätere Anwendung kann zu schwereren Verläufen führen. Mit der passiven Immunisierung erreicht man eine Schutzrate von 50 bis 60%.
Mit Klebstoff betäuben, gegen den Uhrzeigersinn drehen oder mit einer Zigarette thermisch nerven, all diese Tipps sind für die Tonne.