KOMMENTAR | Auf ihrem Parteitag haben die Grünen der Homöopathie eine klare Absage erteilt – gegen den Trend, gegen alte Sympathien und zugunsten der Wissenschaft. Es war höchste Zeit, dieses Kapitel zu schließen.
Danke, Grüne! Ihr habt euch auf eurem Parteitag in Hannover Ende November für eine „evidenzbasierte Gesundheitspolitik“ ausgesprochen und entsprechend gefordert, dass homöopathische und anthroposophische Leistungen nicht mehr von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden sollen. Das ist ein mutiger Schritt, denn damit verprellt ihr vermutlich jene Grünen-Wähler, die Naturschutz und Naturverklärung anhängen – inklusive allem, was nach Natur aussieht, obwohl es damit gar nichts zu tun hat, wie die Homöopathie. Die Kostenerstattung durch die Kassen, wenngleich nur freiwillig und nicht verpflichtend, suggeriere eine Wirksamkeit der Mittel, die nicht belegt sei, heißt es im Antrag. Diese „Irreführung von Patient:innen muss beendet werden“.
Der Schritt war überfällig. Viel zu lange schon profitiert die Homöopathie von Privilegien im Arzneimittelgesetz und Sozialgesetzbuch, die sie in den Rang einer ernstzunehmenden Heilslehre heben. Allen voran ist hier der Wirksamkeitsnachweis zu nennen, den homöopathische und anthroposophische Mittel nur im sogenannten Binnenkonsens und nicht über klinische Studien erbringen müssen. Was bedeutet, dass die Community selbst festlegen darf, welche Homöopathika „wirksam“ sind.
Hahnemann war zumindest in einer Hinsicht ein großer Arzt: Er lehnte die brachialen Methoden seiner Kollegen entschieden ab. Der Erfolg war ihm gewiss. Denn wenn Patienten Globuli schluckten, stand das der natürlichen Heilung nicht im Weg, ganz anders, als wenn sie beispielsweise zur Ader gelassen worden wären. Die Homöopathie ist, wenn man so will, die ultrakonsequente Befolgung des ärztlichen Prinzips, den Patienten nicht zu schaden.
Allerdings: Das gilt für damals. Heute wissen wir unendlich viel mehr darüber, wie Krankheiten entstehen. Heute ist es fahrlässig, einer Heilslehre zu vertrauen, die all die medizinischen Erkenntnisse standhaft ignoriert. Und im Unterschied zu damals verfügen wir heute über eine Methodik, die die Medizin auf ein solides wissenschaftliches Fundament stellt. Wirksamkeit, Nutzen und Schaden lassen sich objektiv überprüfen. Wir können damit Glauben von Wissen unterscheiden. Diese Trennung haben die Grünen jetzt auch mit der Abkehr von der Homöopathie vollzogen.
Apropos Wissenschaft: In der homöopathischen Gemeinschaft ist es seit einiger Zeit üblich, kritischen Stimmen mit klinischen Studien zu begegnen, die angeblich die Wirksamkeit von Homöopathika belegen. Eingedenk des geistartigen Wirkprinzips der Homöopathie sei ein Vergleich erlaubt: Wenn jemand die Existenz von Engeln mit dem Foto eines solchen Himmelsgeschöpfs belegen möchte, dann ist die einzige rationale – weil wissensbasierte Schlussfolgerung – dass das Foto eine Fehlinterpretation oder eine Fälschung sein muss. Das Foto für authentisch zu halten, setzt voraus, dass man an Engel glaubt. Genauso verhält es sich mit den Homöopathie-Studien: Man muss an geistartige Wirkkräfte glauben, um den Studien überhaupt irgendeine Aussagekraft zuzubilligen. Rational ist das nicht, allein schon deshalb, weil kein Verfahren der Welt ein homöopathisches Verum von einem Placebo unterscheiden kann. Wie also will man die beiden in Studien miteinander vergleichen, wenn kein Mensch garantieren kann, dass nicht ein Schlingel Verum und Placebo vertauscht hat?
Die Studien werden trotzdem gemacht. Die Methodik der evidenzbasierten Medizin lässt sie zu, weil sie Hintergrundwissen nicht mit einbezieht. Sie stellt sich vielmehr blind und tut so, als wäre die Wirksamkeit eines wirkstofffreien Zuckerkügelchens genauso plausibel wie die Wirksamkeit eines Präparates, das die ganze präklinische Phase erfolgreich bewältigt hat.
Es lohnt also nicht – oder ist, besser gesagt, sogar hochgradig irreführend – sich mit den Ergebnissen klinischer Studien zu Homöopathika überhaupt zu befassen. Tut man es doch, stößt man, mehr oder weniger zwangsläufig, auch auf Ungereimtheiten. So zog im November das Fachjournal The Oncologist eine 2020 veröffentlichte Studie des Wiener Mediziners Michael Frass zurück, in der er belegt haben will, dass Krebspatienten dank Homöopathika nicht nur besser, sondern auch länger leben.
Peinlich für den Wissenschaftsbetrieb ist nicht nur der Umstand, dass Frass an der Uniklinik Wien als langjähriger Leiter der Intensivstation der Inneren Medizin eine hohe akademische Funktion innehatte. Peinlich ist auch, dass nicht etwa die Redakteure von The Oncologist die groben Unplausibilitäten bis hin zum Fälschungsverdacht in dem Paper aufgedeckt hatten, sondern das Informationsnetzwerk Homöopathie und die Initiative für wissenschaftliche Medizin. Das Journal hatte sogar die Stirn, den Fall zunächst mit einer bloßen „Besorgnisäußerung“ aussitzen zu wollen. Das eigentliche Grundübel besteht aber darin, dass auch renommierte Verlage und Journale solche Paper überhaupt annehmen und sich nicht vorher die Frage stellen, ob sie wirklich Fotos von Engeln veröffentlichen wollen.
Der jetzige Schritt der Grünen ist nicht der erste und er darf auch nicht der letzte sein, um Glaubenslehren aus unserem evidenzbasierten Gesundheitswesen hinauszudrängen. Dass inzwischen fast alle Landesärztekammern keine Zusatzbezeichnung Homöopathie mehr verleihen, war ein ebenso wichtiger und – wie die Frass-Kritik – auf eine private Initiative zurückgehender Schritt. Auch hatte schon Karl Lauterbach in seiner Zeit als Gesundheitsminister versucht, den Kassen die Homöopathie als Satzungsleistung zu verbieten.
Damit homöopathische Leistungen nicht mehr von den gesetzlichen Kassen bezahlt werden dürfen, muss Paragraph 11 Abs. 6 im Sozialgesetzbuch V geändert werden. Weitere Schritte wären: Streichen der seit knapp 50 Jahren bestehenden Sonderregeln für Homöopathie im Arzneimittelgesetz, wie es auch der Antrag der Grünen auf ihrem Parteitag perspektivisch fordert. Dann fiele vermutlich das potemkinsche Homöopathie-Gebäude in sich zusammen. Da Deutschland Glaubensfreiheit garantiert, sollen sich Anhänger der Homöopathie weiterhin mit ihren Präparaten versorgen können – allerdings auf eigene Kosten und an einem adäquaten Ort, nämlich im Supermarkt und nicht in der Apotheke.
Bildquelle: Midjourney