Ein neuer Test soll ME/CFS-Patienten anhand der Form ihrer Chromosomen erkennen. Warum das funktionieren könnte und woran noch gearbeitet werden muss.
Das Krankheitsbild der ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic-Fatigue-Syndrom) rückte im Nachgang der Corona-Pandemie verstärkt in den Fokus. Die Krankheitsausprägung ist heterogen, die möglichen Symptome sind vielfältig. Deshalb bereitet die Diagnosestellung Schwierigkeiten und das Krankheitsbild bleibt schwer fassbar. Auch die möglichen Ursachen der Erkrankung werden in Wissenschaft und Medizin kontrovers diskutiert. Ein spezifischer Biomarker für ME/CFS würde dabei helfen, die Krankheit zu diagnostizieren und sie greifbarer zu machen.
In einer aktuellen Studie wurde ein neu entwickelter Test untersucht, der epigenetische Veränderungen bei ME/CFS detektieren und somit die Diagnosestellung unterstützen soll. Die DNA jeder Zelle wird durch epigenetische Veränderungen beeinflusst. Bestimmte Moleküle werden an die DNA oder die Proteine, um die die DNA gewickelt ist, angeheftet. Dadurch wird gesteuert, wie aktiv einzelne Gene sind, ohne dass sich die eigentliche genetische Information verändert. Diese epigenetischen Markierungen wirken wie Schalter, die Gene an- oder ausschalten können. Da die Aktivität vieler Gene entzündliche oder metabolische Prozesse steuert, können solche Veränderungen direkte Auswirkungen auf die Krankheitsentwicklung haben. Epigenetische Veränderungen kommen bei vielen Erkrankungen wie Krebs oder Autoimmunerkrankungen vor. Auch bei ME/CFS gab es in früheren Studien Hinweise auf entsprechende Veränderungen.
Durch die epigenetischen Markierungen verändert sich auch die räumliche Struktur der DNA – sowie die der Chromosomen, in denen sie verpackt ist. Mithilfe des sogenannten „EpiSwitch“-Tests kann die räumliche Konfiguration der Chromosomen, also die Faltung der DNA an unterschiedlichen Stellen des Genoms, analysiert werden.
Für die ME/CFS-Studie wurden Blutproben von 47 schwer an ME/CFS erkrankten Patienten sowie von 61 Kontrollpersonen verwendet. In einem ersten Schritt wurde ein „Training-Set“ aus 28 ME/CFS-Proben und 20 Kontrollproben gebildet, um Chromosomen-Konformationen zu ermitteln, die sich zwischen beiden Gruppen am stärksten unterscheiden. Dabei wurde die 3D-Struktur der gesamten DNA untersucht (sog. „Whole-Genome-3D-DNA-Screening“) und 200 Marker identifiziert, die sich in ihrer Konfiguration besonders stark unterschieden. Der Test beruht somit nicht auf einem einzelnen Wert, sondern auf einem komplexen epigenetischen Muster. Im zweiten Schritt wurde dieses 200-Marker-Modell auf ein "Test-Set" mit den übrigen 19 ME/CFS-Proben und 41 Kontrollproben angewendet, um die Genauigkeit des neu entwickelten Tests zu prüfen.
Mit dem 200-Marker-Modell konnten 22 von 24 ME/CFS-Patienten korrekt identifiziert werden. Von den gesunden Kontrollproben wurde lediglich eine von 45 fälschlicherweise als ME/CFS klassifiziert. Die Sensitivität betrug 92 Prozent, die Spezifität 98 Prozent.
Der neu entwickelte Test scheint also gut zu funktionieren – allerdings war die Stichprobe sehr klein. Um eine endgültige Aussage treffen zu können, müssen die Ergebnisse an einer größeren Stichprobe unabhängig überprüft werden. Interessant wäre auch, ob der Test ME/CFS von anderen chronischen Erkrankungen unterscheiden kann. In der vorliegenden Studie erfolgte lediglich ein Vergleich mit gesunden Kontrollpersonen. In die Analyse wurden schwer betroffene ME/CFS-Patienten eingeschlossen. Ob der Test auch dabei helfen kann, leichter betroffene Patienten korrekt zu identifizieren, ist weiterhin unklar.
Die Methode des neu entwickelten Biomarker-Tests klingt innovativ und auf den ersten Blick fast ein bisschen nach Science-Fiction: Die 3D-Form aller Chromosomen wird analysiert und aus bestimmten Veränderungen wird abgelesen, ob ein Mensch an ME/CFS erkrankt ist oder nicht. Doch die in der Studie beschriebenen Methoden sind sehr speziell und komplex – es ist daher schwierig einzuschätzen, ob der Test das erreichen kann, was er erreichen soll. Bevor zu große Hoffnungen in den Test gesetzt werden, sollte er unabhängig überprüft werden.
Die Herstellerfirma des EpiSwitch-Tests, Oxford BioDynamics, finanzierte neben der aktuellen Studie zu ME/CFS auch Untersuchungen des Tests bei anderen Erkrankungen. So konnten mittels EpiSwitch-basierter Tests charakteristische epigenetische Veränderungen bei ALS, rheumatoider Arthritis oder bestimmten Krebsformen identifiziert werden. Ein EpiSwitch-Test, der in Kombination mit dem PSA-Wert das individuelle Risiko für ein Prostata-Karzinom vorhersagen soll, wird bereits in den USA und Großbritannien vertrieben. Auch hier fehlen jedoch unabhängige Überprüfungen des Tests.
Solange für ME/CFS kein Biomarker etabliert ist, liegt der Fokus bei der Diagnosestellung auf der Anamnese und der körperlichen Untersuchung. Dabei ist es wichtig, nach behandelbaren Differentialdiagnosen und individuell zur Symptomatik beitragenden Faktoren zu suchen, um Betroffene bestmöglich zu unterstützen.
Quelle:
Hunter et al.: Development and validation of blood-based diagnostic biomarkers for Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) using EpiSwitch® 3-dimensional genomic regulatory immuno-genetic profiling. Journal of Translational Medicine, 2025. doi: 10.1186/s12967-025-07203-w
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