Weniger Kalorien, süßer Geschmack – Süßstoffe galten lange als gesündere Zuckeralternative. Jetzt zeigt sich: Sie können die Entwicklung einer nicht-alkoholischen Fettleber sogar stärker beschleunigen als der verteufelte Zucker.
Das ohnehin angeschlagene Renommee der künstlichen Süßstoffe muss einen weiteren Wirkungstreffer verkraften. Eine gerade vorgestellte Studie bescheinigt dem kalorienarmen Zuckerersatz eine stärkere Unterstützung der Fettleberentwicklung als dem energiereichen Original. Vom einstigen Hoffnungsträger für süßen Genuss ohne Reue haben sich künstliche Süßstoffe zum potenziellen Verstärker eines stattlichen Potpourris gesundheitlicher Risiken gewandelt.
Im Laufe der letzten Jahre hat eine Reihe von Studien Assoziationen zwischen regelmäßigem Süßstoffkonsum und erhöhten Risiken für die Diabetesgenese (hier und hier), die kardiovaskuläre Gesundheit (hier und hier) und sogar für Krebserkrankungen (hier und hier) aufgedeckt. Dabei stehen insbesondere durch Süßstoffe angestoßene Veränderungen in der Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms im Verdacht, Ausgangspunkt der verschiedenen Pathogenesen zu sein (hier und hier). Nachweise von Kausalzusammenhängen stehen jedoch aus und die Gesamtstudienlage ist alles andere als konsistent.
Das Negativwirkungsspektrum der Verdachtsfälle weitet sich unterdessen aus. Eine Anfang Oktober in Berlin im Rahmen der United European Gastroenterology (UEG) Woche 2025 vorgestellte, bislang noch nicht in einem Fachmagazin veröffentlichte Studie von Gastrologen des Universitätsklinikums der Soochow Universität in Suzhou (CHN) hat in einer vergleichenden Datenbankanalyse die Fettleberinzidenzen regelmäßiger Süßstoffkonsumenten mit denen zuckersüßender Personen verglichen.
Die bis vor wenigen Jahren „Nicht-alkoholische-Fettleber (NAFL)“ genannte, heute unter der internationalen Bezeichnung „Metabolic dysfunction-associated steatotic liver disease (MASLD)“ geführte Lebererkrankung hat sich zu einer globalen Volkskrankheit entwickelt. Die enge Korrelation zu den mittlerweile weltweit, teils dramatisch ansteigenden Adipositas- und Typ-2-Diabetes-Prävalenzen lässt an der zumindest mitursächlichen Bedeutung von Lebensstilfaktoren – insbesondere von Ernährungsweise und körperlichen Aktivitätsroutinen – kaum Zweifel zu. Doch allgemeine Ernährungsgrundsätze und ein positiver oder negativer Wirkungsnachweis für einzelne Nahrungsbestandteile sind zwei Paar Schuhe. Für künstliche Süßstoffe hat sich die chinesische Arbeitsgruppe dieser Aufgabe in Form einer systematischen Datenbankanalyse gestellt.
„Weltweit haben etwa 38 % der Erwachsenen und 3–10 % der Kinder eine MASLD. Diese Zahlen steigen auf etwa 70 % bzw. 40 % bei Erwachsenen und Kindern mit Fettleibigkeit und/oder Diabetes.“(Quelle: Deutsches Zentrum für Diabetesforschung)
Einbezogen wurden die median über 10,3 Jahre nachbeobachteten Gesundheits- und Lebensstildaten von knapp 124.000, originär lebergesunden Personen, die in der renommierten UK Biobank gelistet sind. Die Informationen zum individuellen Zucker- und Süßstoffkonsum wurden über wiederholte, von den Probanden selbst geführte 24h-Ernährungsprotokolle gesammelt. Für die Analyse lag der Fokus auf dem Konsum von Getränken, die entweder in die Kategorie „zuckergesüßt“ oder die Kategorie „zuckerfrei/-arm, mit Süßstoff gesüßt“ eingeteilt wurden.
Die Quantifizierung der durch die Getränke aufgenommenen Zucker- bzw. Süßstoffmenge erfolgte eher grob über die Anzahl der täglich konsumierten Portionen, wobei ein Trinkvolumen von 250ml (z. B. ein großes Glas oder eine typische Energydrink-Dose) als eine Portion definiert wurde. Die teils stark variierenden Zucker-/Süßstoffgehalte verschiedener Getränke blieben ebenso unberücksichtigt wie die Zucker-/Süßstoffaufnahme aus anderen Lebensmitteln.
Gegenüber einer auf gesüßte Getränke verzichtenden Kontrollgruppe wiesen beide „Süß-Kohorten“ statistisch signifikante höhere MASLD-Inzidenzen auf. Bereits ab einem Konsum von mehr als einem Standardgetränk (250ml) pro Tag war das MASLD-Risiko in der „Zucker-Kohorte“ um 50 % (HR 1.469) und in der Süßstoff-Kohorte sogar um 60 % (HR 1.599) erhöht. Zudem war der Konsum beider gesüßter Getränketypen mit einer stärkeren Leberfettakkumulation assoziiert. Dabei wiesen nur die Süßstoffkonsumenten eine gegenüber der Kontrolle signifikant höhere lebererkrankungsbedingte Mortalität auf.
Insgesamt entwickelten von den 123.788 Probanden im Verlauf der gut 10-jährigen Nachbeobachtung 1.178 (0,95 %) eine MASLD, 108 (0,09 %) verstarben an leberbedingten Ursachen. Aus Lebersicht käme somit ein von der Hoffnung auf gesundheitlichen Benefit motivierter Umstieg von Zucker- auf Süßstoff-gesüßte Getränke einer „Verschlimmbesserung“ gleich.
In der Studienpräsentation verwies Hauptautorin Lihe Liu auf möglicherweise unterschiedliche biologische Mechanismen, über die Zucker und Süßstoffe ähnliche metabolische Veränderungen mit der Folge der hepatischen Fettakkumulation induzieren könnten. So würden gezuckerte Getränke zuvorderst durch den schnellen Blutzucker- und Insulinspiegelanstieg die Gewichtszunahme fördern und den Harnsäurespiegel erhöhen, was insgesamt zur Fetteinlagerung in der Leber beiträgt. Dagegen könnten Süßstoffdrinks die Lebergesundheit in erster Linie durch Veränderungen des Darmmikrobioms und zentralnervöse Störung der Sättigungsregulation mit der Folge von Heißhungerattacken und verstärkter Insulinausschüttung stimulieren.
Die hier erneut geäußerte Vermutung einer Schlüsselrolle von Süßstoff-induzierten Veränderungen des intestinalen Mikrobioms bleibt, solange ein schwer zu lösendes Problem, wie die Komposition einer „idealen“ Darmflora nicht bekannt ist. Vermutlich gibt es gar kein pauschales Optimum, da gegenwärtig alles für individuelle Vielfalt und somit auch für persönliche Optima spricht. Unabhängig von der Mikrobiomfrage und zwischengeschalteten metabolischen Mechanismen spricht die Datenbankanalyse dafür, dass die finalen hepatopathischen Auswirkungen regelmäßigen Konsums von Zucker und Süßstoff die gleichen sind, wobei die Ausprägung bei letzterem noch heftiger ausfallen könnte. Die vielen von den Autoren geäußerten Konjunktive verdeutlichen die bestehenden Wissenslücken. Auf die Frage nach der „gesünderen“ Alternative – Zucker- oder Süßstoff-Drink – antworten auch die chinesischen Mediziner mit „Wasser“.
Der in Wissenschaftskreisen längst überholte, in weiten Bevölkerungskreisen aber noch immer verankerte Glaube, der Umstieg auf kalorienarme/-freie Kunstsüße käme grundsätzlich der Gesundheit zugute, müsse nach Ansicht der Autoren grundlegend revidiert werden. Wenn im Falle der Leber – des zentralen Stoffwechselorgans schlechthin – der Ersatz der MASLD-Triggers Zucker durch Süßstoff nicht nur nutzlos sei, sonders das Risiko sogar steigere, müssen derartige Zusammenhänge dringend in das öffentliche Gesundheitsbewusstsein getragen und zugleich die Forschung zu Zucker- und Süßstoffinteraktionen mit Leber und Darmmikrobiom intensiviert werden.
Die Studie punktet durch ihren hepatischen Fokus, der bislang im Studienpool über Süßstoffwirkungen unterrepräsentiert ist. Aufgrund des Designs durften jedoch a priori keine belastbaren Hinweise auf Kausalitäten erwartet werden. Die einzig über Selbstauskünfte mit Angabe bloßer Trinkvolumina gesammelten Informationen lassen kaum mehr als eine unpräzise Abschätzung der tatsächlich konsumierten Zucker-/Süßstoffmenge zu. Darüber hinaus wurde nicht zwischen verschiedenen Süßstoffarten unterschieden. Vor diesem Hintergrund dürfen die beobachteten Assoziationen folglich nicht überbewertet werden. Dennoch sollte besonders dem Befund, dass bereits der tägliche Konsum nur einer 250ml Portion eins Süßstoffgetränks nachteilige Folgen für die Lebergesundheit haben könnte, weiter auf den Grund gegangen werden.
Die insgesamt inkonsistente Studienlage zu potenziellen Risiken des Süßkonsums erhält durch diese Datenbankanalyse wenig neue Substanz. Erst vor wenigen Monaten haben chinesische Kollegen in Frontiers of Nutrition eine Metaanalyse aus neun RCTs mit insgesamt knapp 1.500 Probanden publiziert, in der keinerlei metabolische Risiken des Süßstoff-Konsums befunden wurden. Zieht man die Kamerablende etwas weiter auf, lässt sich mit Blick auf die mittlerweile Jahrzehnte währende Süßstoffhistorie konstatieren, dass die anfänglichen Hoffnungen mittels Ersatz der energiereichen Zuckersüße durch die kalorienarmen/-freien Ersatzstoffe der galoppierenden Adipositas-, DT2- und MASLD-Epidemie Einhalt zu gebieten, ebenso enttäuscht wurden wie durch die unzähligen, sich teils diametral gegenüberstehenden Ernährungsphilosophien.
Abgesehen von extremen Armutsgebieten weiten sich die ernährungsabhängigen Folgeerkrankungen rund um den Globus aus. Pauschale Lösungen wird es nicht geben, zumal die Ernährung nur ein die körperliche Verfassung bestimmender Lebensstilfaktor ist, von dem es überdies keine One-fits-all-Lösung gibt. Dazu sind die individuellen Lebensanforderungen, die metabolischen Eigenheiten sowie genetische und epigenetische Prägungen viel zu divers. Die vielleicht einzige sinnvolle und gleichermaßen banale Pauschalempfehlung ist das Vermeiden aller Extreme. Das gilt für den Umgang mit Zucker und Süßstoff genauso wie für Restriktionen ganzer Nahrungsmittel-Kategorien. Dereinst nannte man das den „goldenen Mittelweg“. Aber der scheint irgendwie aus der Mode gekommen zu sein.
Liu et al.: Sugar- and low/non-sugar-sweetened beverages and risks of metabolic dysfunction-associated steatotic liver disease and liver-related mortality: A prospective analysis of the UK Biobank. UEG Week 2025.
Heterogenität der metabolischen Dysfunktion-assoziierten steatotischen Lebererkrankung. online
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Bildquelle: Midjourney