Klassische antibiotische Therapien stoßen zunehmend an ihre Grenzen. Eine neue Option: die fäkale Mikrobiota-Transplantation. Warum der Stuhltransfer gerade bei chronischen Harnwegsinfektionen hoffen lässt.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Zusammenfassung.
Die Studienlage zum Einfluss des Darmmikrobioms auf die Gesundheit wächst stetig. Dieser Hype hat den Zusammenhang so manch einer Erkrankung offenbart und vor allem die Sanierung einer gestörten Darmflora als potenziellen Ansatzpunkt neuartiger Therapeutika in den Fokus gerückt. Eine mögliche Therapie ist die fäkale Mikrobiota-Transplantation (FMT).
Besonders etabliert ist die Therapie bei rezidivierenden und therapierefraktären Infektionen mit Clostridioides difficile (CDI) – ein vor allem im Alter gefährlicher Erreger, der 15 bis 20 % der Patienten oft bereits ein zweites Mal heimsucht. Die FMT ist hier mit einer statistisch signifikant höheren Heilungsrate von 71 % deutlich effizienter als die Gabe von Fidaxomicin (33 %) oder Vancomycin (19 %), wie eine Studie belegt. Laut S2k-Leitlinie zu gastrointestinalen Infektionen kann demnach eine FMT nach einer Standardtherapie bei wiederholten Rückfällen in Betracht gezogen werden.
Nachdem die Stuhlspende verflüssigt und filtriert wurde, kann sie auf unterschiedliche Weise übertragen werden:
Interessant ist die FMT auch bei der Behandlung chronisch rezidivierender Harnwegsinfekte (rHWI). Was ursprünglich nur als Nebeneffekt in Studien zur CD-Infektion beobachtet wurde, bietet Potenzial für eine neue, nicht-antibiotische Therapieoption. Denn für viele Frauen ist ein Harnwegsinfekt (HWI) nicht nur unangenehm, lästig und schmerzhaft, sondern auch ein altbekannter Gast: Mindestens ein Viertel der Betroffenen erleiden ein Rezidiv.
Wenn viel trinken, Nahrungsergänzungsmittel wie D-Mannose und Cranberry-Präparate oder sexuelle Enthaltsamkeit keine Linderung verschaffen, kommen üblicherweise Antibiotika wie Fosfomycin-Trometamol oder Nitrofurantoin zum Einsatz (siehe hier und hier). In der Regel sind dies lokal wirksame Präparate zur einmaligen Einnahme, doch jede erneute Therapie kann die Darmflora weiter stören. Neben einer Begünstigung von Antibiotikaresistenzen beißt sich bei diesem Therapieansatz auch die sprichwörtliche Katze in den Schwanz: Studien zeigen, dass ein gestörtes Darmmikrobiom wiederum die Anfälligkeit für erneute Harnwegsinfektionen erhöhen kann (siehe hier und hier).
Das bestätigt auch die Infektiologin und Ärztin Dr. Lena Biehl im Gespräch mit DocCheck News. Sie arbeitet als Prüfärztin an der Uniklinik Köln in der klinischen Mikrobiomforschung und baut seit Beginn 2025 eine eigne Arbeitsgruppe zu Mikrobiota-Therapie am Fraunhofer Institut in Frankfurt auf:
„Bei Harnwegsinfektionen [steigen] in dem Großteil der Fälle Bakterien aus dem Darm über den Urogenitalbereich in die Harnblase auf. […] Neuere Forschung deutet darauf hin, dass bei Frauen mit wiederkehrenden Harnwegsinfektionen die Zusammensetzung des Darmmikrobioms dahingehend verändert ist, dass dieses Aufsteigen begünstigt wird.“
Genau da setzt die FMT-Behandlung an: „Bleiben wir bei der Vorstellung, dass der Darm das Reservoir für die auslösenden Bakterien von Harnwegsinfektionen ist, so bringt eine FMT dieses Reservoir in einen deutlich anderen Zustand mit einer veränderten mikrobiellen Zusammensetzung“, erklärt Biehl. Durch die Übertragung eines gesunden Darmmikrobioms soll das mikrobielle Gleichgewicht wiederhergestellt und damit die Anfälligkeit für rHWIs reduziert werden.
Obwohl die Forschung bisher noch in den Kinderschuhen steckt, gibt das Grund zur Hoffnung; auch eine aktuelle Übersichtsstudie bestätigt die Wirksamkeit einer FMT bei rHWIs und zeigt, dass die Infektionshäufigkeit in vielen Fällen deutlich sinkt. Dabei fasst sie eine Reihe bemerkenswerter Fallberichte und Kohortendaten zusammen – einige davon mit eindrucksvollen Ergebnissen.
So wurde eine Patientin mit seit 25 Jahren rezidivierenden Infektionen bereits wenige Tage nach der Behandlung vollständig beschwerdefrei – und erlitt selbst 25 Monate nach der FMT keine weitere Episode. Auch eine zitierte Kohortenstudie zur FMT-Behandlung bei wiederkehrender CDI (rCDI) von Tariq et al. zeigte rückblickend einen ähnlichen Nebeneffekt: Die jährliche HWI-Rate von Patienten nach FMT-Behandlung bei rCDI (8 Personen) reduzierte sich von Median 4 auf 1 Episode. Die Kontrollgruppe ohne FMT (8 Personen) blieb unverändert bei 4 Infektionen pro Jahr. Bei FMT-Behandelten zeigte sich zudem eine verbesserte Antibiotikaempfindlichkeit der Erreger.
Eine Folgestudie mit deutlich größerer Patientenkohorte (75 FMT-Behandelte vs. 73 Kontrollpatienten) bestätigte die Ergebnisse: Sowohl die niedrigeren HWI-Raten nach FMT bei rCDI als auch die verringerte Antibiotikaresistenz konnten erneut nachgewiesen werden. Diese positiven Effekte spiegelten sich auch in der zitierten Pilotstudie von Jeney et al. wider, in der die Zahl der rHWIs von 11 Frauen deutlich sank: 4 Frauen erfüllten nicht mehr die Kriterien für eine rHWI, 3 davon hatten sogar keine Infektionen mehr. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten keine auf.
Auch Männer könnten von einer Stuhltransplantation profitieren. So beschreibt die Übersichtsarbeit einen 43-jährigen Patienten mit langfristigem suprapubischem Katheter, bei dem während eines 10-monatigen Follow-Ups weder CD-Infektionen noch Harnwegsentzündungen auftraten. Auch ein 36-jähriger Mann mit neurogener Blase und wiederkehrendem P. aeruginosa-HWI zeigte innerhalb von 18 Monaten nach FMT unter Antibiotika-Kontrolle keinen erneuten erregerspezifischen Infekt.
Doch bei aller Begeisterung ist Vorsicht geboten, denn der Begriff der Transplantation ist missverständlich. Das Empfänger-Mikrobiom wird weder vollständig zu einem Spender-Klon, noch bleibt es ewig erhalten. Die Datenlage dazu variiert: Ein hybridisiertes, individuelles Mikrobiom kann über Monate bis hin zu Jahren bestehen bleiben.
Doch Biehl betont: „Bislang verstehen wir aber noch nicht in ausreichendem Maße, was sich genau verändert, damit das funktioniert. Und ist es mir auch wichtig, zu betonen, dass dieser Ansatz nicht in allen Fällen funktioniert, weil die auslösenden Bakterien auch vaginal oder sogar in der Blasenschleimhaut ihr Reservoir haben können.“ Welche Faktoren Wirksamkeit und langfristigen Erfolg bestimmen, ist weiterhin Gegenstand der Forschung. Vermutlich spielen sowohl die Zusammensetzung des Spender-Mikrobioms als auch die individuellen Empfänger-Eigenschaften und dessen ursprüngliche Darmflora eine Rolle.
Ein Fall aus den USA zeigt deutlich mögliche Komplikationen: Zwei Patienten infizierten sich nach FMT mit ESBL-bildenden E. coli, einer von ihnen starb. Der Grund? Der Stuhlspender wurde nicht auf den multiresistenten Erreger getestet. Auch andere Infektionen durch den Spenderstuhl, eine Lungenentzündung bei Sonden-Applikation sowie das potenzielle Risiko, dass die Therapie nicht anspricht, sind möglich.
Standardisierte Screenings für Stuhlspender und GMP-zertifizierte Protokolle könnten das verhindern. Doch während das BfArM „Stuhltransplantate (FMT) zum therapeutischen Einsatz in der Humanmedizin nach § 2 Abs. 1 AMG [als] Arzneimittel“ einstuft, existiert in Deutschland wie in der gesamten EU keine Zulassung für das Verfahren. Sprich: Kliniken müssen komplexe Herstellungs- und Dokumentationspflichten erfüllen – obwohl keine klare regulatorische Leitlinie existiert. Ohne die Absicherung durch strenge Prüfauflagen einer klinischen Studie bewegen sich Ärzte in einer Grauzone; und mit einem nicht zugelassenen Arzneimittel steigt das Haftungsrisiko.
Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Diarrhöen, Blähungen oder abdominelle Schmerzen und Völlegefühl. Langzeitfolgen und mögliche Zusammenhänge mit Mikrobiom-assoziierten Erkrankungen sind bislang unklar. Hier stellt sich die Frage, inwieweit ein kurzzeitig verändertes, hybrides Mikrobiom diese Zusammenhänge überhaupt beeinflusst. Generell zeigt sich jedoch: Bei korrekt durchgeführter und gescreenter FMT zeigt die Studienlage eine gute Verträglichkeit.
Obwohl die bisherigen Ergebnisse zur FMT bei chronisch rezidivierenden Harnwegsinfektionen vielversprechend sind, basiert die Evidenz bislang vor allem auf einzelnen Fallberichten, kleinen Fallserien und retrospektiven Analysen. Selbst die Anwendung von FMT bei CD-Infektionen, die mit hoher Ansprechrate belegt ist, wird in Deutschland weiterhin nur im Rahmen individueller Heilversuche oder klinischer Studien angeboten. Dr. Lena Biehl erklärt den DocCheck News: „Wegen der Besonderheiten dieser Therapie und ihrer Herstellungsart wird es […] eine Herausforderung, hier eine flächendeckende Versorgung aufzubauen.“ Bei einer Zulassung könne diese Therapieform jedoch dann von spezialisierten Zentren hergestellt und auch als bestellbares Produkt angeboten werden.
Zusammengefasst: Die fäkale Mikrobiota-Transplantation ist ein vielversprechender Ansatz zur Behandlung wiederkehrender Harnwegsinfektionen. Doch wie so oft gilt: Was in Fallberichten und frühen Studien überzeugen konnte, muss in randomisierten Kontrollstudien untersucht werden. Präzisere Forschungsergebnisse können dann im besten Fall zu Zulassungen und einem allgemeinen Einsatz führen.
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