Arztkittel sind unhygienisch und sagen nichts über die fachliche Kompetenz aus – dennoch halten sie sich hartnäckig. Woran das liegt und wie Kleidung den Behandlungserfolg beeinflussen kann.
Stellen dir vor, du betrittst eine Arztpraxis. Wen erwartest du zu sehen? Eine Person in Jeans und T-Shirt, die lässig auf dich zukommt? Oder doch lieber eine Gestalt im strahlend weißen Kittel? Auf den ersten Blick mag die Frage vielleicht oberflächlich erscheinen. Doch die Forschung zeigt, dass die Kleiderwahl im medizinischen Bereich einen überraschend großen Einfluss darauf hat, wie wir Ärzte wahrnehmen, wie sehr wir ihnen vertrauen und wie zufrieden wir mit unserer Behandlung sind. Kleider machen Leute – und bei Ärzten sorgen sie für Ansehen, Kompetenz und das Vertrauen der Patienten.
Wissenschaftlich gesehen ist die Antwort auf die ideale Arztkleidung erstaunlich eindeutig: Der weiße Kittel ist nach wie vor der unangefochtene Champion. Eine Vielzahl von Studien, darunter umfassende systematische Übersichtsarbeiten, kommen zu einem ähnlichen Schluss. In einer Analyse von 30 Studien mit über 11.000 Patienten im BMJ Open zeigte sich, dass formelle Kleidung, insbesondere in Kombination mit einem weißen Kittel, in den meisten Fällen klar bevorzugt wird. Diese Präferenz ist mehr als nur eine modische Laune: Patienten verbinden mit dem weißen Kittel konkrete Eigenschaften. Ärzte in formeller Kleidung mit Kittel werden als kompetenter, vertrauenswürdiger, fürsorglicher und zugänglicher eingeschätzt. Der weiße Kittel wird konsequent mit einer verbesserten Wahrnehmung von Hygiene, Professionalität und Vertrauenswürdigkeit in Verbindung gebracht. Dieses Gefühl der Sicherheit ist für eine erfolgreiche Behandlung von unschätzbarem Wert. In einer Studie gaben beeindruckende 76,3 Prozent der Befragten an, einen Arzt in Berufskleidung mit weißem Kittel zu bevorzugen; Freizeitkleidung fand hingegen nur bei weniger als 5 Prozent Anklang.
Trotz der Dominanz des weißen Kittels ist die Kleiderfrage kontextabhängig. Patienten scheinen ein intuitives Gespür dafür zu haben, welche Kleidung in welcher medizinischen Situation angemessen ist. Während der Kittel in der normalen Sprechstunde punktet, ändert sich das Bild in hochakuten Umgebungen. In der Notaufnahme oder bei Chirurgen wird oft die typische OP-Kleidung (Scrubs) bevorzugt. Das ergibt auch Sinn, denn hier stehen Funktionalität und Hygiene im Vordergrund. OP-Kleidung signalisiert genau das: unmittelbare Handlungsbereitschaft und vor allem Hygiene.
In der Hausarztpraxis, wo oft eine persönlichere und längerfristige Beziehung besteht, sind die Erwartungen etwas lockerer. Im Allgemeinen ist legere Kleidung, insbesondere in Kombination mit einem Arztkittel, akzeptabel. Die Kombination aus Freizeit-Look und professionellem Überwurf scheint ein guter Kompromiss zwischen Zugänglichkeit und Autorität zu sein. Diese Flexibilität zeigt, dass Patienten keine starre Uniform erwarten, sondern eine dem Umfeld angepasste Professionalität.
Interessanterweise ist die Wirkung des weißen Kittels nicht für alle gleich. Während ein männlicher Arzt im Kittel für die meisten Patienten der Inbegriff des Professionals ist, werden Ärztinnen in derselben Kleidung häufiger fälschlicherweise für Pflegepersonal oder medizinische Assistentinnen gehalten. Studien zeigen, dass das Tragen eines weißen Kittels bei Ärztinnen zwar hilft, überhaupt als Medizinerin wahrgenommen zu werden, die Verwechslungsgefahr aber bestehen bleibt. Männliche Ärzte in formeller Kleidung und Kittel werden hingegen als professioneller eingestuft, ohne dass ihre Rolle infrage gestellt wird.
Zudem spielt das Alter der Patienten eine Rolle. Insbesondere Personen über 65 Jahre legen größeren Wert auf eine formelle Kleidung ihres Arztes. Über ein Drittel der Befragten gab in einer Studie an, dass das Erscheinungsbild des Arztes für sie wichtig sei; für ein Viertel beeinflusste es sogar ihre Zufriedenheit mit der Behandlung.
Was lernen wir aus all dem? Die ärztliche Kleidung ist weit mehr als nur Stoff. Sie ist ein starkes nonverbales Kommunikationsmittel, das die Grundlage für eine vertrauensvolle Beziehung legt. Der weiße Kittel ist dabei nach wie vor das stärkste Symbol für Kompetenz und Professionalität. Er hilft Patienten dabei, sich sicher und gut aufgehoben zu fühlen, was wiederum die Bereitschaft fördern kann, sensible Informationen zu teilen und medizinischen Anweisungen zu folgen.
Die Quintessenz der Forschung ist jedoch nicht, eine starre Kleiderordnung für alle Ärzte zu fordern. Vielmehr geht es um ein Bewusstsein für die Erwartungen der Patienten. Medizinische Einrichtungen wären gut beraten, flexible Richtlinien zu entwickeln, die den Kontext der Behandlung – sei es Notaufnahme, Sprechstunde oder Spezialklinik – berücksichtigen. Am Ende kann keine Kleidung der Welt eine mangelnde klinische Kompetenz ersetzen. Aber ein durchdachtes Erscheinungsbild kann die Tür für das öffnen, was in der Medizin am wichtigsten ist: Vertrauen. Und in dieser Hinsicht scheint der gute alte weiße Kittel noch lange nicht ausgedient zu haben.
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