Sly-Syndrom, Tay-Sachs oder Morbus Fabry sind sehr seltene Speichererkrankungen, deren Ursache ein Gendefekt ist. Für Fabry stehen jetzt patientenfreundliche Therapieoptionen zur Verfügung.
Morbus Fabry ist eine X-chromosomale, lysomale Speicherkrankheit. Den Patienten fehlt das Enzym Galaktosidase A. Die Folge ist eine Ansammlung des Lipids Globotriaosylzeramid (Gb3 oder GL-3). Sonst werden X-chromosomale Erkrankungen nur auf Männer übertragen, bei Morbus Fabry ist das anders. Der Grund ist eine Inaktivierung des X-Chromosoms, die als Lyonisierung bezeichnet wird. Bereits in der Embryonalphase wird in jeder Zelle eines der beiden X-Chromosome lahmgelegt. Von diesen können nun keine Genprodukte mehr generiert werden. Das andere defekte X-Chromosom bleibt aktiv und somit existieren auch weibliche Patienten. Da „nur“ ein Chromosom, im Gegensatz zum Mann, defekt ist, treten bei weiblichen Patienten nicht alle Beschwerden auf. In Deutschland leben etwa 700 dokumentierte Fabry-Patienten. Das Kompetenzzentrum Morbus Fabry in Köln schätzt die Lage dramatischer ein: „Neuere Daten sprechen dafür, dass die tatsächliche Inzidenz der Erkrankung bei 1: 3.100 liegen könnte. Träfe dies zu, wären alleine in Deutschland 26.450 Menschen betroffen.“ Der erste Fabry-Patient war der 13-jährige Emil Honke. Der Dortmunder Dermatologe Johannes Fabry diagnostizierte im April 1897 Knötchen in der Kniekehle. Nach 17 Jahren suchte der Patient wegen Angiokeratome erneut seinen Arzt auf. Fabry erkannte die Einzigartigkeit des Falls: „Der einzige Fall, der in Frage käme, der Andersonsche, ist kein Angiokeratom, sondern es handelt sich um multiple Angiome.“ In der Folgezeit wurde die Erkrankung zunächst als Angiokeratoma corporis diffusum bezeichnet. Erst später sprach man von Morbus Fabry. Bei der Vollausprägung kommt es zu:
Der kleinste gemeinsame Nenner sind renale und kardiale Grunderkrankungen, die weitere Comorbiditäten nach sich ziehen. Es kommt im Verlauf zu Herz- und Nierenversagen und früh auftretenden ischämischen Insulten. Die durchschnittliche Lebenserwartung bei männlichen Patienten liegt bei 55 Jahren. Die Symptomatik zeichnet sich durch eine große Variabilität aus. Seit dem Jahr 2001 bestehen zwei internationale Patientenregister, die von zwei Firmen der Pharmaindustrie unterstützt werden: Fabry Outcome Survey (FOS; Shire HGT) und Fabry Registry (Genzyme). Das industrieunabhängige nationale Register für Patienten mit Morbus Fabry wurde im Jahr 2007 mit der Canadian Fabry Disease Initiative (CFDI) in Kanada gegründet.
Die Angaben zur Prävalenz der Schmerzen schwanken für Männer zwischen 33 und 80 Prozent. Bei Frauen sind die Werte etwas geringer. Meist werden die Beschwerden als Brennen, Kribbeln oder Taubheit an den Extremitäten wahrgenommen. Auch Schmerzcharakteristiken wie stechend oder brennend werden beschrieben. Häufig setzen die Beschwerden nach körperlicher Aktivität ein. Auch psychischer Stress und Temperaturveränderungen können Auslöser sein. Viele Patienten leiden unter einer verminderten Schweißsekretion. Die Ursache ist eine Fehlfunktion des sympathischen Nervensystems und eine Gb3-Anreicherung in den Schweißdrüsen. Bei körperlicher Aktivität oder höheren Temperaturen sind fiebrige Schübe mit Schwindel und Erbrechen die Folge.
Morbus Fabry ist nicht heilbar. Es wird symptomatisch therapiert mit der Zielsetzung, Folgeerkrankungen zu verhindern, die Lebensqualität zu verbessern und die Lebenserwartung zu verlängern. Seit dem Jahr 2001 stehen die Enzympräparate Agalsidase alfa und beta zur Verfügung. Sie unterstützten den Abbau von Gb3. Hinsichtlich der Wirkungen gibt es keine Unterschiede beider Pharmaka, lediglich das Glykosylierungsmuster ist different. Die Alfa-Variante wird aus humanen Zelllinien, die Beta-Variante aus Hamsterzellen gewonnen. Laut Leitlinie ist eine Enzymersatztherapie unabhängig vom Alter immer bei Zeichen einer relevanten Organmanifestation gegeben. Schmerzen können durch Orphandrugs gemindert werden, dabei kann die Lebensqualität erhöht und die Herz- und Nierenfunktion verbessert werden. Als Orphandrugs bezeichnet man Substanzen, die bei seltenen Erkrankungen eingesetzt werden (orphan = Waise, vereinsamt). Die Enzymtherapie erfolgt lebenslang. Der Patient erhält alle zwei Wochen eine Infusion. Die Behandlungskosten liegen in Deutschland pro Patient und Jahr bei etwa 250.000 Euro. Bei erwachsenen Patienten mit Morbus Fabry konnte nach 6-monatiger Ersatztherapie mit Agalsidase eine Rückbildung der Kardiomyopathie nachgewiesen werden. Ergänzende Therapieoptionen bei Symptomen bzw. Folgeschäden des Morbus Fabry (adaptiert nach Hughes et al., 2005; Eng et al., 2006; Mehta et al., 2010; Weidemann et al., 2011, Leitlinie)
„Klinisch wirksam ist die Enzymersatztherapie insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung der Lebensqualität, Schmerzen, Nieren- und Herzfunktion“, so das Resümee der Leitlinien. Die Leitlinienautoren merken jedoch auch an, dass es kaum langfristige Studien gibt. Die Ergebnisse stammen meist aus offenen Verlängerungsstudien der Phase-III-Zulassung oder aus Erhebungen der beiden Patientenregistern. Der maximale Beobachtungszeitraum beträgt derzeit 5 Jahre.
Agalsidase alfa und beta führen zu einer Abnahme von Gb3 im Urin und Plasma sowie zu einer Reduktion der mikrovaskulären endothelialen Gb3-Ablagerungen in Niere, Herz und Haut. Der Effekt setzt nach etwa drei Therapiemonaten ein. In einer Phase I/II-Studie von Eng et al. hat die Infusion von fünf Dosen Agalsidase beta (0,3-3,0 mg/kg alle zwei Wochen) eine Verbesserung des Gesamtschmerzempfindens und der aktuellen Schmerzintensität bewirkt. Auch in einer doppelblinden randomisierten, kontrollierten Studie von Schiffmann et al. für Agalsidase alfa berichteten die Patienten über signifikant weniger Schmerzen unter der Enzymtherapie. Eine retrospektive Analyse von Hoffmann et al. (2007) an 752 Fabry-Patienten beiderlei Geschlechts aus der FOS-Datenbank hat eine Verbesserung der Schmerzen nach 24 und 36 Monaten gezeigt. Eine Studie von Huges et al. die nur weibliche Patienten einschloss, konnte diese Ergebnisse nicht bestätigen. Die Datenlage ist nicht einheitlich. In einigen Studien tritt ein analgetischer Effekt nur bei einer früh einsetzenden Therapie auf und hält nicht über Jahre an. Andere Studien (Mehta et al.) belegen eine positive Wirkung auf die Schmerzen auch über eine längere Therapiedauer. Wegen der Undurchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke für die intravenös verabreichten Enzympräparate können die neurologischen Symptome der lysosomalen Speicherkrankheiten durch die Enzymersatztherapie nicht beeinflusst werden.
Die Infusionstherapie verbessert die Lebensqualität und die Prognose der Patienten. Andererseits stellt sie eine zusätzliche Belastung dar, weil die Patienten ihre Klinik oder Praxis aufsuchen müssen. Eine neue Option ist die Heiminfusionstherapie. Wenn der Patient drei Monate Infusionstherapie absolviert hat, kann über eine Infusionstherapie im häuslichen Umfeld nachgedacht werden. Für Patienten mit Diabetes oder solche, die auf Heparin angewiesen sind, ist das nichts Besonderes. Die Therapie mit den Enzymtherapeutika muss jedoch intravenös erfolgen. Dies ist grundsätzlich nur Ärzten erlaubt. Die schriftlichte Delegation an qualifiziertes Pflegepersonal scheint hier eine patientenfreundliche Lösung zu sein. Heiminfusionen sind nach deutschem Recht dann zulässig, wenn der Arzt eine bestimmte examinierte Pflegekraft damit beauftragt (Delegation) und er sich regelmäßig von der Qualifikation der Krankenschwester vergewissert sowie die Eignung des Patienten für Heiminfusionen regelmäßig überprüft, informierte der Apotheker. Zudem muss der Patient gegenüber dem Arzt sein Einverständnis für die Heimtherapie erklärt haben. Voraussetzung ist ebenso, dass alle Entscheidungsparameter dokumentiert sind. In der Forschungspipeline befindet sich derzeit α-N-Acetylgalactosaminidase (NAGA). Ein modifiziertes Enzym mit geringerer Immunogenität. In der Phase-III befinden sich Minimoleküle, sogennante Chaperone, die die Fehlbildung mutierter Enzyme bei einem Teil der Patienten korrigieren können.