Bei einer Frau mit unerfülltem Kinderwunsch scheinen zunächst alle Untersuchungen unauffällig. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel – bis sie die überraschende Ursache finden.
Eine 33-jährige Patientin sucht Hilfe in der Kinderwunschsprechstunde einer Klinik in Delhi, Indien. Seit einem Jahr bleibt die ersehnte Schwangerschaft aus. Doch das ist nicht ihr einziges Problem: Sie berichtet von Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, wiederkehrenden Harnwegsinfekten und einer Harninkontinenz, die sie sehr belastet. Zunächst klingt das nach einer diffusen Symptomkombination – vielleicht eine hormonelle oder infektiöse Ursache? Seit ihrem ersten Geschlechtsverkehr empfindet sie Penetration als schmerzhaft und merkwürdig.
Die Auflösung kommt in der Untersuchung unter Narkose: Die Harnröhrenöffnung ist massiv erweitert – so weit, dass ein Finger ohne Widerstand hindurchpasst, während Urin unwillkürlich austritt. Direkt darunter befindet sich eine winzige Vaginalöffnung. Der Verdacht bestätigt sich: Geschlechtsverkehr fand über Jahre hinweg nicht vaginal, sondern über die Harnröhre statt.
Bild 3: Äußere Genitalien mit erweiterter Harnröhre und kleiner Vaginalöffnung
Die Diagnose erklärt die gesamte Symptomtrias: Dyspareunie durch Fehlpenetration, Belastungsinkontinenz und wiederkehrende Harnwegsinfekte. Die Behandlung umfasste eine Vaginaldilatation, eine Empfehlung zur Urethroplastik und gezieltes Beckenbodentraining. Zudem erfolgt eine weitere Abklärung im Rahmen der Infertilitätssprechstunde.
Der Fall zeigt, wie ein seltenes, tabuisiertes Phänomen zu massiven körperlichen und psychischen Belastungen führen kann. Urethraler Koitus wird oft übersehen, gerade, weil Patientinnen zögern, ihre Unsicherheit über den Geschlechtsverkehr offen anzusprechen, und Ärzte nicht daran denken. Urethraler Koitus ist sehr selten, aber folgenschwer. Er sollte als Differenzialdiagnose bei Dyspareunie, rezidivierenden Harnwegsinfekten und Inkontinenz, auch bei normal erscheinenden Genitalien, bedacht werden. Eine frühe Diagnose verhindert langfristige Komplikationen und psychische Traumata.
Bildquelle: James Forbes, Unsplash