Viele ältere Menschen leiden unter Angststörungen – doch oft werden sie übersehen oder falsch gedeutet. Wie sich Sorgen verselbstständigen, woran es bei der Diagnose hapert und welche Therapie hilft.
Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen älterer Menschen. Epidemiologische Studien zeigen, dass die Prävalenz von Angststörungen bei älteren Erwachsenen in Bevölkerungsstichproben zwischen etwa 1 und 15 Prozent liegt, in klinischen Populationen jedoch bis zu 28 Prozent erreichen kann. Betrachtet man Angstsymptome unabhängig von einer formalen Diagnose, finden sich Werte von bis zu über 50 Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass rund 14 Prozent der Menschen ab 60 Jahren weltweit an einer psychischen Erkrankung leiden, wobei Angststörungen zusammen mit Depressionen die dominierenden Diagnosen sind. Auffällig ist, dass die Prävalenz in sehr hohen Altersgruppen tendenziell abnimmt, was allerdings eher auf Selektions- und Diagnoseeffekte als auf eine tatsächliche Abnahme der Krankheitslast zurückzuführen sein dürfte.
Besonders relevant im Alter ist die generalisierte Angststörung, die sich häufig in Form chronischer Sorgen um Gesundheit, Pflegebedürftigkeit oder finanzieller Belastungen äußert. Auch Agoraphobie und spezifische Phobien spielen eine große Rolle, insbesondere wenn die Angst vor Stürzen und dem Verlassen des Hauses zu einer massiven Einschränkung der Alltagsaktivitäten führt. Panikstörungen treten im Alter seltener auf als in jüngeren Jahren, werden aber leicht übersehen, da Symptome wie Herzklopfen oder Schwindel oftmals primär somatischen Ursachen zugeschrieben werden. Weniger häufig, jedoch klinisch bedeutsam, sind Zwangsstörungen, soziale Phobien und posttraumatische Belastungsstörungen. In der Praxis finden sich zudem häufig Mischformen, die eine eindeutige Zuordnung erschweren.
Die Diagnostik stellt im höheren Lebensalter eine besondere Herausforderung dar. Viele Symptome überschneiden sich mit den klinischen Manifestationen körperlicher Erkrankungen, etwa kardiovaskulären oder pulmonalen Störungen. Hinzu kommt, dass Nebenwirkungen von Medikamenten, die bei älteren Patienten aufgrund der häufigen Polymedikation verbreitet sind, Angstzustände imitieren oder verstärken können. Auch kognitive Einschränkungen bis hin zu Demenz können die Exploration erschweren. Zudem berichten ältere Menschen ihre psychische Belastung oftmals zurückhaltender, was zu einer systematischen Unterdiagnostik beiträgt. Für die Diagnosestellung bleibt also das klinische Gespräch mit strukturierter Anamnese unverzichtbar, ergänzt durch validierte Instrumente wie den GAD-7. Allerdings sind viele Screening-Tools ursprünglich für jüngere Altersgruppen entwickelt und nicht hinreichend für geriatrische Kontexte validiert. Daher ist stets eine umfassende Abklärung erforderlich, die auch Komorbiditäten und funktionelle Einschränkungen berücksichtigt.
In der Therapie spielen psychotherapeutische Verfahren eine zentrale Rolle. Insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie hat sich in zahlreichen Studien als wirksam erwiesen, auch im höheren Lebensalter. Ergänzend können niedrigschwellige, sogenannte „low-intensity“-Interventionen wie internetbasierte Programme oder strukturierte Selbsthilfemaßnahmen eingesetzt werden. Dabei gilt es zu beachten, dass deren Praktikabilität durch Mobilitätsprobleme oder eingeschränkte Technikaffinität limitiert sein kann. Nichtmedikamentöse Verfahren haben den Vorteil einer geringen Nebenwirkungsrate und lassen sich gut mit anderen rehabilitativen Maßnahmen kombinieren.
Pharmakologische Strategien sind ebenfalls relevant, erfordern jedoch im Alter besondere Vorsicht. Die aktuelle Übersichtsarbeit in The Lancet Psychiatry verdeutlicht, dass die Evidenzlage für medikamentöse Therapien bei älteren Angstpatienten weiterhin unzureichend ist. Am besten belegt ist der Einsatz von Antidepressiva, insbesondere selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI), die auch in dieser Altersgruppe wirksam und meist gut verträglich sind, sofern eine langsame Dosistitration erfolgt und mögliche Interaktionen berücksichtigt werden. Benzodiazepine sollten aufgrund ihres ungünstigen Nebenwirkungsprofils, insbesondere des Risikos für Stürze, Delirien und Abhängigkeit, möglichst vermieden oder allenfalls kurzfristig eingesetzt werden. Die Autoren der Lancet-Studie betonen den dringenden Bedarf an qualitativ hochwertigen randomisierten Studien, die speziell ältere Menschen einschließen, da diese in bisherigen Untersuchungen häufig ausgeschlossen oder nur unzureichend repräsentiert waren.
Für die Versorgungspraxis ergibt sich daraus, dass Angststörungen im Alter frühzeitig erkannt und differenziert diagnostiziert werden müssen, um eine adäquate Therapie einzuleiten. Multimodale Konzepte, welche Psychotherapie, psychosoziale Unterstützung, körperliche Aktivierung und bei Bedarf eine vorsichtig dosierte Pharmakotherapie verbinden, bieten hierbei die besten Erfolgsaussichten. Zukünftige Forschung sollte nicht nur Wirksamkeit und Verträglichkeit spezifischer Interventionen untersuchen, sondern auch die Implementierung im Versorgungsalltag verbessern, insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder in institutionellen Settings. Nur so lässt sich die Versorgungslücke schließen, die angesichts der demografischen Entwicklung zunehmend an Bedeutung gewinnen wird.
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