Es gilt als natürliches Wundermittel für besseren Schlaf: Melatonin. Doch wie sicher ist das Hormon fürs Herz? Aktuelle Studienergebnisse überraschen selbst Experten.
Melatonin – das körpereigene Schlafhormon – ist für viele Menschen der Retter in schlaflosen Nächten. Ob als Tablette, Spray oder Gummibärchen: Das Präparat steht in vielen Ländern rezeptfrei in den Regalen. Doch wie sicher ist die dauerhafte Einnahme tatsächlich? Forscher sind dieser Frage auf den Grund gegangen und liefern nun spannende, aber auch besorgniserregende Daten.
Melatonin wird von der Zirbeldrüse produziert und steuert den Schlaf-Wach-Rhythmus. Steigt der Melatoninspiegel nach Einbruch der Dunkelheit, wird der Körper müde. Bei Schlafproblemen greifen viele zu synthetisch hergestellten Präparaten. Diese sind in Ländern wie den USA frei verkäuflich. Doch anders als bei Medikamenten werden diese Präparate in den USA nicht streng kontrolliert – Dosierung und Reinheit können je nach Anbieter stark variieren.
Die aktuelle Studie untersuchte, wie sich der langfristige Einsatz von Melatonin auf die Herzgesundheit auswirkt. Forscher teilten die Teilnehmer in zwei Gruppen: Die „Melatonin-Gruppe“ bestand aus Menschen, die das Hormon mindestens ein Jahr lang laut Dokumentation mit elektronischen Geräten nutzten. Wer nie einen Melatonin-Eintrag hatte, kam in die Vergleichsgruppe.
Die Zahlen der Studie sind ein echter Weckruf: Erwachsene mit chronischer Insomnie und langfristiger Melatonineinnahme hatten ein um rund 90 Prozent höheres Risiko, innerhalb von fünf Jahren an einer Herzschwäche zu erkranken, verglichen mit den Nichtnutzern (4,6 % vs. 2,7 %). Ähnlich fiel das Ergebnis bei einer Analyse aus, in der mindestens zwei Melatonin-Verschreibungen im Abstand von 90 Tagen dokumentiert waren. Auch hier stieg das Risiko signifikant.
Noch alarmierender: Teilnehmer der Melatonin-Gruppe wurden fast 3,5-mal so häufig wegen Herzschwäche ins Krankenhaus eingeliefert wie die Vergleichsgruppe (19 % vs. 6,6 %). Außerdem war die Sterblichkeit in der Melatonin-Gruppe im Untersuchungszeitraum nahezu doppelt so hoch (7,8 % vs. 4,3 %).
„Melatoninpräparate sind möglicherweise nicht so harmlos, wie allgemein angenommen wird. Wenn sich unsere Studie bestätigt, könnte dies Auswirkungen darauf haben, wie Ärzte ihre Patienten über Schlafmittel beraten.“, erklärt Studienleiter Ekenedilichukwu Nnadi, M.D. Auch Marie-Pierre St-Onge von der American Heart Association wundert sich über den weit verbreiteten und langfristigen Gebrauch: „Ich bin überrascht, dass Ärzte Melatonin gegen Schlaflosigkeit verschreiben und Patienten es länger als 365 Tage einnehmen lassen, da Melatonin, zumindest in den USA, nicht für die Behandlung von Schlaflosigkeit zugelassen ist.“
Basis der Analyse war eine internationale Datenbank mit über 130.000 Erwachsenen mit chronischer Schlaflosigkeit. 65.414 von ihnen hatten Melatonin über mindestens ein Jahr genutzt. Für die Kontrollgruppe wählten die Forscher vergleichbare Teilnehmer ohne Melatonin in der Krankenakte. Wer schon früher an Herzschwäche litt oder andere Schlafmittel wie Benzodiazepine bekam, wurde ausgeschlossen. Beide Gruppen wurden sorgfältig nach Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen, Medikation und weiteren Faktoren abgeglichen.
So spannend die Zahlen sind – sie haben ihre Tücken. Zum einen konnten die Forscher nicht unterscheiden, in welchem Land die Teilnehmer lebten. In manchen Ländern gibt es Melatonin nur auf Rezept, in anderen – wie in den USA – als Nahrungsergänzungsmittel. Wer also Melatonin ohne Rezept in der Drogerie kaufte, taucht in der Studie möglicherweise als „Nichtnutzer“ auf. Außerdem war nicht klar, wie schwer die Schlafprobleme waren und ob psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen eine Rolle spielten. Die Autoren betonen: „Schwerere Schlaflosigkeit, Depressionen/Angstzustände oder die Einnahme anderer schlaffördernder Medikamente könnten sowohl mit der Einnahme von Melatonin als auch mit einem Herzrisiko in Verbindung stehen.“
Die Forscher sehen in ihren Daten einen Zusammenhang, aber keinen Beweis für eine direkte Ursache-Wirkung. Es gibt Hinweise darauf, dass auch andere Faktoren wie schwere Schlaflosigkeit, psychische Erkrankungen oder andere Medikamente Einfluss auf das Herzrisiko nehmen könnten. Dennoch sind die Ergebnisse ein wichtiger Hinweis darauf, dass Melatonin nicht bedenkenlos über längere Zeit eingenommen werden sollte.
Die Studienautoren fordern weitere Untersuchungen, um die Sicherheit von Melatonin zu prüfen. Bislang fehlen aussagekräftige Langzeitdaten zur Herzgesundheit bei Dauereinnahme. Ärzte sollten daher mit ihren Patienten offen über mögliche Risiken sprechen – und der Griff zur „natürlichen“ Schlafhilfe sollte gut überlegt sein.
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