Psychische Auffälligkeiten bei Kindern nehmen zu. Gleichzeitig sitzen sie immer länger vor Tablet, Fernseher und Smartphone – Zufall? Wie sich Bildschirme auf die sozioemotionale Entwicklung auswirken.
Psychische Erkrankungen, allen voran Depression und Angststörungen, gehören weltweit zu den bedeutendsten Gesundheitsproblemen im Jugendalter. Laut WHO beginnen rund 50 % aller psychischen Störungen bereits vor dem 14. Lebensjahr. Eine Metaanalyse von 17 bevölkerungsbasierten Studien mit über 18.000 Kindern aus acht Ländern zeigte, dass etwa jedes fünfte Kind unter sieben Jahren Anzeichen einer psychischen Störung aufweist – am häufigsten sind Angststörungen (8,5 %), oppositionelles Trotzverhalten (4,9 %) und ADHS (4,3 %). Diese frühen Auffälligkeiten gelten als Prädiktoren für psychische Erkrankungen im Jugendalter. Doch wie kommt es zu dieser Häufung? Eine Metaanalyse hat sich das nun angesehen, mit Fokus auf einen immer gern als Buhmann hingestellten Einflussfaktor: die Bildschirmzeit.
Vorab: Mentale Gesundheit generell, aber auch spezifisch die mentale Gesundheit von Jugendlichen, hängt von unfassbar vielen Faktoren ab. Während soziale Faktoren wie Armut, Diskriminierung und Gewalt weiterhin eine zentrale Rolle spielen, richtet sich die Aufmerksamkeit von Forschung und Gesundheitswesen zunehmend auf einen neuen Einflussfaktor. Bereits drei von vier Kindern unter zwei Jahren sind mit Bildschirmen vertraut; in einkommensschwachen Kreisen machen sogar 92 % der Kinder ihre ersten Bildschirmerfahrungen vor ihrem ersten Geburtstag. Neben dem Alter ist aber auch die Art des Inhalts entscheidend – denn verschiedene Verwendungszwecke wirken sich unterschiedlich auf die Psyche aus.
Mittlerweile gut erforscht und allseits bekannt ist der Einfluss sozialer Medien auf die Psyche von Jugendlichen, vor allem durch ständige Vergleiche mit Gleichaltrigen. Videospiele wiederum sind ein zweischneidiges Schwert: Gaming ist oft mit Übergewicht und geringerer Konzentrationsfähigkeit verknüpft, manche gezielt entwickelten Lernspiele – etwa im mathematischen Bereich – können jedoch auch positive Effekte haben.
In einer Metaanalyse haben sich Forscher nun angesehen, wie sich diese vermehrte Bildschirmzeit auf sozioemotionale Probleme bei Kindern und Jugendlichen auswirkt. Es wurden 132 Studien für das Review berücksichtigt, davon 41 aus den USA, 13 aus Kanada, 11 aus Australien sowie jeweils 7 Studien aus Deutschland und den Niederlanden. Insgesamt umfassten die Studien 331.391 Kinder (etwa zu gleichen Anteilen Jungen und Mädchen). 71 Studien befassten sich überwiegend mit Fernsehen, nur vier Studien fokussierten sich auf mobile Endgeräte – dabei machen sie die häufigste Bildschirmnutzung bei Kindern und Jugendlichen aus.
Externalisierende Verhaltensauffälligkeiten wurden in 100 Studien erfasst, internalisierende Probleme in 77 Studien. Im Fokus standen vor allem ADHS, aggressives Verhalten, emotionale Probleme, Verhaltensauffälligkeiten (einschließlich oppositionelles Trotzverhalten), Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen zu Gleichaltrigen, antisoziales Verhalten und niedriges Selbstwertgefühl. Die Auffälligkeiten wurden überwiegend durch Eltern, die Kinder selbst oder durch Lehrkräfte erfasst.
Junge Mädchen (b = 0,09 [0,03–0,16], n = 25.566, K = 27) entwickelten im Durchschnitt mit einer größeren Wahrscheinlichkeit sozioemotionale Auffälligkeiten als junge Jungen (b = 0,02 [−0,10–0,15], n = 26.437, K = 25). Bei älteren Kindern waren wiederum Jungen mehr betroffen, vor allem im Zusammenhang mit Gaming. Kinder, die regelmäßig Videospiele spielen, zeigten später deutlich häufiger sozioemotionale Probleme (b = 0,32 [0,23–0,42], n = 80.809, K = 31) als Kinder, die Bildschirme für andere Tätigkeiten nutzen. Im Gegensatz zur Art des konsumierten Mediums hatte die Art des dazu verwendeten Bildschirms keine statistisch signifikante Auswirkung auf die Häufigkeit der Entwicklung sozioemotionaler Probleme.
Es wurden kleine, aber statistisch signifikante Effekte für internalisierende Probleme wie Angst oder geringes Selbstwertgefühl (b = 0,05 [0,00–0,09], n = 121.575, K = 62) und Probleme mit Gleichaltrigen (b = 0,04 [0,00–0,08], n = 20.279, K = 17) festgestellt. Ähnliche Effekte zeigten sich für externalisierende Probleme wie Aggressivität und Aufmerksamkeitsprobleme (b = 0,04 [−0,01–0,10], n = 172.556, K = 92), diese erreichten jedoch keine statistische Signifikanz. Die Metaanalyse zeigt aber auch einen umgekehrten Zusammenhang: Kinder mit bereits bestehenden sozioemotionalen Problemen sitzen später länger vorm Bildschirm – vermutlich als Bewältigungsstrategie. Diese wechselseitigen Effekte betreffen sowohl internalisierende als auch externalisierende Verhaltensprobleme.
„Bildschirme sind allgegenwärtig, haben jedoch komplexe Auswirkungen auf die Gesundheit und Entwicklung von Kindern“, so die Forscher. „Unsere Metaanalyse zeigt, dass Bildschirmnutzung zu sozioemotionalen Problemen führt – und umgekehrt. Obwohl die Effektstärken insgesamt klein bis moderat waren, sind solche kleinen Effekte klinisch bedeutsam, wenn sie sich über die Zeit aufsummieren.“
Sofern empfohlene Bildschirmzeiten eingehalten werden und Faktoren wie Schlaf, körperliche Aktivität und soziale Interaktionen nicht vernachlässigt werden, besteht nur ein sehr geringes Risiko für dadurch zunehmende sozioemotionale Probleme. Liegt die Bildschirmzeit jedoch deutlich über den Empfehlungen oder besteht sie überwiegend aus Gaming, steigt das Risiko für sowohl externalisierende als auch internalisierende Probleme erheblich. Wie so oft macht also die Dosis das Gift. „Die Ergebnisse betonen die Bedeutung, Kindern alternative Bewältigungsstrategien für sozioemotionale Schwierigkeiten zu vermitteln, anstatt den Rückzug in Bildschirme zu fördern“, konkludieren die Forscher.
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