KOMMENTAR | Alle Monate wieder meint eine Drogeriekette, „ein bisschen Apotheke“ könne sie auch. Jetzt plant auch dm eine eigene Versandapotheke. Warum das eine richtig beschissene Idee ist.
Es passiert wieder: Ein Handelsriese schwingt die Innovations-Fahne, erzählt was von Gesundheitsökosystem und Kundenwunsch – und am Ende landet ein weiteres Stück Apothekenkuchen auf dem Teller der Drogerie. Dieses Mal ist es dm. Man arbeite an einer OTC-Versandapotheke über eine Gesellschaft in Tschechien, Start laut dm-Chef Christoph Werner „bis Ende 2025“. Unabhängig davon testet dm in Filialen diverse Screenings (z. B. Augen, Haut, Blutwerte), um den Ärzten auch noch was wegzunehmen.
Und dann erschien am 26. Oktober 2025 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung der Kommentar „Keiner braucht die Apotheken“. Die Botschaft: Vor-Ort-Apotheken seien überholt, Beratung überflüssig – Arzneimittel könnten Supermärkte und Versandlogistiker erledigen. Das hat, wenig überraschend, einen Sturm ausgelöst: Pharmazeutische Zeitung und Apotheke Adhoc hielten entschieden dagegen, Gabriele Overwiening, Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL), schrieb einen deutlichen Leserbrief und auch Dienstleister wie Noventi widersprachen öffentlich. Kurz: Die These mag klickstark sein, fachlich ist sie brandgefährlich – und passt exakt in die Vorstellung derer, die die Sahnehäubchen der Versorgung abgreifen ohne den anstrengenden Part (Notdienst, BtM, Rezepturen, PDL, Impfungen) mittragen zu wollen.
Warum mich das aufregt? Weil Arzneimittelversorgung kein „Nice to have“ ist, das man mal so nebenbei optimiert wie ein Shampoo-Regal. Apotheken sind nicht nur Händler. Wir machen die unsexy, aber systemrelevanten Dinge: Notdienste, BtM-Versorgung, Rezepturen, Anmessen von Kompressionsstrümpfen, pharmazeutische Dienstleistungen, Impfungen. Wir fangen Fälle ab, bei denen hinter „Sodbrennen“ eben nicht nur zu viel Pizza steckt. Wir telefonieren Ärzten hinterher, prüfen Interaktionen, sichern Kühlketten, dokumentieren, haften.
Was macht ein OTC-Versender? Er fischt die margenstarken Standardprodukte ab. Keine Nachtdienste, kein Lärm, keine Verantwortung fürs Ganze. Das ist Cherry-Picking – hübsch profitabel, aber es untergräbt querfinanzierte Versorgungsleistungen vor Ort. Doch genau diese Querfinanzierung hält viele Apotheken, vor allem auf dem Land, noch am Leben. Fällt das weg, macht der Standort zu. Und wer fährt nachts raus, wenn das Kind fiebert, der Notdienst 30 Kilometer entfernt liegt und die Online-Bestellung morgen ankommt? Genau.
Drei Standard-Argumente und meine Antwort darauf:
Was mich besonders stört, ist die Erzählung vom „Gesundheitsökosystem“, in dem man sich nicht an Apotheken orientieren solle. Doch, muss man. Nicht, weil wir so schön sind, sondern weil unser System Risiken minimiert. Das Wording „Disruption“ klingt cool im Podcast, hilft aber keiner Schwangeren mit akuten Beschwerden und keinem multimorbiden Senior mit fünf bis zehn Medikamenten in Dauerverordnung.
Und jetzt? Nein, das ist kein nostalgisches „früher war alles besser“. Ich bin pro Hybrid: digitale Rezepte, smarte Prozesse, moderne Kommunikation – alles her damit. Aber bitte mit gesamter Verantwortung und fairer Vergütung, nicht als Pick-and-Pay ohne Pflichtenteil. Wenn wir politisch klug sind, stärken wir die Vor-Ort-Apotheken: auskömmliche Honorierung, weniger Bürokratie, echte Nutzung pharmazeutischer Dienstleistungen. Dann dürfen Online-Wege gern ergänzen – solange sie den stationären Versorgern nicht die Grundlage wegnehmen.
Bildquelle: Behnam Norouzi, Unsplash