KOMMENTAR | Klare Indikation Notkaiserschnitt – aber die Patientin verweigert. Sie ist misstrauisch, geldgierig sollen wir sein. Woher kommt diese Skepsis?
Ein Text von Holger Maul
Heute wieder der völlige Irrsinn: Eine Patientin mit Typ-1-Diabetes, am (errechneten) Termin, mit einem hochpathologischen CTG in der Asklepios Klinik Nord Heidberg – klarste Indikation zur Notsectio. Doch sie verweigert. Sie wirft meinem Team vor, wir würden Kaiserschnitte nur machen, um Geld zu verdienen. Und sie verlässt mit ihrem hilflosen Mann die Klinik. Alle stehen da, mit einer klaren medizinischen Notlage, mit Zeugen, mit Dokumentation, mit allem, was man tun kann, um Patientenselbstbestimmung und Verantwortung zu wahren – und sehen zu, wie eine Frau mit einem akut lebensbedrohlich gefährdetem Kind die Klinik verlässt.
Erst durch das beherzte Eingreifen ihrer niedergelassenen Frauenärztin, die letztlich auf ein Fax (!) reagiert, kehrt sie um – über eine Stunde später. Jetzt entscheidet sie sich allerdings, in die Asklepios Klinik Barmbek zu fahren. Noch ein Team, das durch diesen Fall strapaziert wird … als wenn eines nicht gereicht hätte. Aber inzwischen waren alle alarmiert: das OP-Team, die Anästhesie, die Kinderärzte.
Das CTG ist unverändert katastrophal. Ich selbst stelle die Indikation zur Notsectio und wir lösen den Alarm aus. Wir operieren sofort. Schwere Intubationsbedingungen, massiver Stress für die Anästhesie, tiefgrünes Fruchtwasser, Plazentaablösung, ein blasses, regungsloses Kind. Ein Puls von 60, pH-Werte im Keller. Und dann – ehrlich gesagt unglaublicherweise – gelingt es den Kinderärzten, das Kind zu stabilisieren. Heute liegt es mit CPAP auf der Neonatologie. Es lebt. Wir hoffen das Beste! Der Vater steht weinend neben uns, dankbar und fassungslos zugleich. Das gesamte Team, noch voller Adrenalin, atmet auf. Und ich frage mich: Wie konnte es so weit kommen?
Wie konnte sich dieses Misstrauen gegenüber Medizin und Geburtshilfe so tief verankern, dass Menschen lieber ihr Kind riskieren, als einem ärztlichen Rat zu folgen? Wie konnte aus Fürsorge Verdacht werden? Und wer trägt eigentlich die Verantwortung für dieses Klima?
Wir müssen reden – über Kommunikation, über Vertrauen, über Verantwortung. Und ja: auch über die Rolle von Medien, sozialen Netzwerken und der gesellschaftlichen Erzählung, die immer häufiger das Misstrauen nährt, anstatt die gemeinsame Verantwortung zu betonen. Denn so, wie es heute war, können und dürfen wir nicht weitermachen. Danke an alle Kollegen, dass das hoffentlich noch einmal gutgegangen ist. Rückblickend staunt man, was ein Kind so alles aushält, … dass es noch lebte, grenzt an ein Wunder.
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