KOMMENTAR | Gesundheitsministerin Warken will die GKV-Beiträge stabil halten. Ihr Sparplan hat jedoch gravierende Schwächen. Wem sie in die Tasche greift und wer mal wieder glimpflich davonkommt.
Nina Warken will verhindern, dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zum Jahreswechsel steigen. Doch der nun von ihr vorgestellte Sparplan hat gravierende Schwächen: Er schönt Zahlen, gefährdet Reformziele und lässt mächtige Kostentreiber unangetastet. Am Ende droht das Gegenteil dessen, was Warken verspricht – steigende Beiträge und ein schwindendes Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Gesundheitspolitik.
Ihr Sparpaket umfasst Einschnitte von 1,8 Milliarden Euro bei Krankenhäusern, 100 Millionen bei Verwaltungskosten und weitere 100 Millionen beim Innovationsfonds – insgesamt zwei Milliarden Euro. So soll die Finanzierungslücke der Kassen geschlossen und eine Anhebung des Zusatzbeitrags verhindert werden.
Schon der erste Blick zeigt: Diese Rechnung ist zu optimistisch. Nach Einschätzung von Fachleuten liegt das tatsächliche Defizit bei rund vier Milliarden Euro. Warken stützt sich offenbar auf zu optimistische Konjunkturprognosen, die für 2026 ein Wachstum von 1,3 Prozent in Aussicht stellen, inklusive steigender Beitragseinnahmen. Selbst wenn die Konjunkturprognose eintrifft, dürfte der durchschnittliche Zusatzbeitrag von derzeit 2,9 Prozent nicht zu halten sein. Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem rechnet mit einem Anstieg um 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte, da viele Kassen ihre gesetzlich vorgeschriebenen Mindestreserven nicht mehr erfüllen können.
Den größten Teil ihrer Einsparungen will die Ministerin bei Kliniken erzielen. Prinzipiell ist das nachvollziehbar, denn der stationäre Bereich umfasst mehr als ein Drittel der GKV-Ausgaben. Künftig sollen die Krankenhausabrechnungen nur noch in dem Maße steigen, wie das Statistische Bundesamt Kostensteigerungen im Gesundheitswesen insgesamt ausweist. Doch die Maßnahme steht im Widerspruch zu Warkens eigener Politik: Erst kürzlich hatte das Kabinett beschlossen, vier Milliarden Euro aus dem schuldenfinanzierten Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz an die Kliniken auszuzahlen – als „Sofort-Transformationskosten“.
Mit anderen Worten: Während die Ministerin einerseits Milliarden aus Schuldenmitteln an Kliniken ausschüttet, will sie andererseits im GKV-System Milliarden einsparen. Das wirkt wie eine Umschichtung von Staatskredit zu Beitragsfinanzierung, um kurzfristig politische Ziele zu erfüllen.
Besonders auffällig ist aber auch, welche Bereiche unangetastet bleiben. Die Ministerin greift der Pharmaindustrie nicht in die Tasche, obwohl Deutschland im internationalen Vergleich hohe Arzneimittelausgaben aufweist. Ein weiterer Schwachpunkt des Warken-Plans ist seine Einseitigkeit: Die private Krankenversicherung bleibt außen vor. Eine gerechtere Lastenverteilung oder gar eine Zusammenführung beider Systeme steht nicht auf ihrer Agenda. Kritik kommt aus der Opposition, aber auch von Gesundheitsexperten, die darauf hinweisen, dass die strukturelle Schieflage nur durch eine einheitliche Finanzierungsbasis korrigiert werden könnte.
Die Forderung nach einer sogenannten „Einheitskasse“, also einer Zusammenführung aller gesetzlichen Krankenkassen zu einer einzigen zentralen Institution, ist ebenfalls kurzfristig kein Thema in Berlin. Befürworter erhoffen sich davon weniger Bürokratie, mehr Effizienz und geringere Verwaltungskosten. Doch die Bundesregierung hat Anfang 2025 deutlich gemacht, dass sich durch eine vollständige Zusammenlegung aller derzeit 94 GKVen keine nennenswerten Einsparungen erzielen ließen. Der Aufwand und die strukturellen Unterschiede zwischen den Kassen stünden in keinem Verhältnis zu den möglichen finanziellen Vorteilen.
Warkens Plan wirkt eher wie ein Versuch, ein tiefgreifendes strukturelles Problem mit kurzfristiger Haushaltskosmetik zu überdecken. Sie spart, wo es politisch einfach ist, und meidet Konflikte mit mächtigen Akteuren wie den gesetzlichen und den privaten Krankenkassen beziehungsweise der pharmazeutischen Industrie. Die Beiträge gesetzlich Versicherter mögen zum Jahreswechsel stagnieren, doch das System bleibt unterfinanziert, ineffizient und reformbedürftig. Gesundheitspolitisch ist das ein gefährliches Spiel. Jede vertagte Reform vergrößert das Risiko, dass in einigen Jahren nicht mehr überschaubare Anpassungen, sondern drastische Maßnahmen nötig werden – mit weit höheren sozialen Folgen.
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