Paracetamol im Hunderterpack und Holland-Boni auf Rx-Präparate: Sind wirklich alle nur auf der Jagd nach Rabatten? Es gibt durchaus Kunden, die Wert auf gute Beratung und Service legen. Das zeigt eine aktuelle Befragung von DocCheck.
Aus gesundheitsökonomischer Sicht gewinnen rezeptfreie Präparate stark an Bedeutung. Immer häufiger kommt es zum sogenannten OTC-Switch, bei dem Pharmaka aus der Verschreibungspflicht und aus der Preisbindung entlassen werden. Dem gegenüber stehen Rx-Präparate ohne Rabattmöglichkeit in Deutschland, während Versender aus anderen EU-Staaten Boni gewähren. Kunden achten nicht so stark auf Preise wie in den Medien kolportiert wird. Das hat eine stichprobenartige Befragung von DocCheck ergeben.
Bestes Beispiel sind ehemals verschreibungspflichtige Medikamente. In den letzten Jahren wurden gleich mehrere umsatzstarke Pharmaka aus der Rezeptpflicht entlassen. Dazu zählen die Notfallkontrazeptiva Ulipristalacetat beziehungsweise Levonorgestrel. Auch Naratriptan zur Migränetherapie ist nun ohne Verordnung erhältlich. Hinzu kommt der Protonenpumpenhemmer (PPI) Omeprazol bei Sodbrennen. Krankenkassen sparen sich im gleichen Atemzug etliche Millionen Euro, da es sich um reine Selbstzahlerleistungen handelt. Viele Kunden sind bereit, ihre Präparate aus der eigenen Tasche zu bezahlen, um nicht zum Arzt zu müssen. Geld scheint nicht immer die wichtigste Rolle zu spielen. Das bestätigen mehrere Pharmazeuten gegenüber DocCheck.
„Zuzahlungen sind in der Offizin eigentlich nur selten ein Thema“, erzählt Nicolaus Weigl, Apothekeninhaber aus Neuburg. „Viel häufiger müssen wir erklären, warum der Patient sein Arzneimittel selber zahlen muss (grünes Rezept).“ Ihn erstaunt, warum manche Ärzte verschreibungspflichtige Präparate per grünem Rezept verordneten, obwohl diese durchaus eine GKV-Leistung wären. „Besonders beliebt seien Schlafmittel – vielleicht auf Verlangen des Patienten – und auffallend oft Cholesterinsenker. „Empfehlen die Kassenärztlichen Vereinigungen solches Verhalten?“, fragt sich Weigl. Ansonsten vermutet er, teure Großpackungen freiverkäuflicher Arzneimittel würden eher bei Versendern bestellt. „Mit den Preisen nachzuziehen, bringt uns nichts, weil der Verkaufspreis der Versandapotheken der rabattierte Einkaufspreis plus Mehrwertsteuer ist“, lautet seine Einschätzung. Viel wichtiger sei, den Mehrwert bei OTCs zu vermitteln: „Jetzt in der Erkältungssaison könnten wir den meisten Kunden sehr viel reindrücken, wenn es rasche Besserung verspricht. Da ist der Preis überhaupt kein Thema.“ Auch zu Rabattverträgen hat Weigl etliche Erfahrungen gesammelt: „Die allermeisten Kunden wären gern zu moderaten Aufzahlungen bereit, falls sie dafür ihr gewohntes Arzneimittel weiter erhalten.“
„Aus der Praxis kann ich sagen, dass nach Jahrzehnten der Zuzahlung, die im Übrigen während der Ära Kohl schon höher war, die Patienten mit den fünf bis zehn Euro pro Arzneimittel kein Problem haben“, erzählt Maximilian Lernbecher, Apothekenleiter aus Dachau. „In vielen Fällen, etwa bei besonders günstigen Rabattarzneimitteln, verzichtet die Kasse sogar oft auf die Gebühr. Hier nennt der Kollege Blockbuster wie Cholesterin-, oder Blutdruckmedikamente, aber auch manche Antibiotika. Bei OTCs sieht die Sache seiner Erfahrung nach ganz anders aus: „Ab Beträgen über 50 Euro wird bei vielen Patienten schon gerechnet, und sie fragen nach Sonderangeboten oder Rabatten.“
Ingrid Kaiser, Apothekenleiterin aus Freising, bestätigt: „Es kommt bei uns eigentlich sehr selten vor, dass sich die Kunden über die Zuzahlung beschweren.“ Auch bei OTCs legen Kunden ihrer Erfahrung nach „sehr viel Wert auf kompetente Beratung“. Hier spielen ehrliche Gespräche eine große Rolle: „Es kommt sehr oft vor, dass sie in irgendwelchen Zeitschriften über vermeintliche Wundermittel lesen und dann eine ehrliche Meinung von mir hören wollen.“ In vielen Fällen rät sie vom Kauf ab. „Das schafft Vertrauen, was mir sehr wichtig ist“, so Kaiser weiter. Gleichzeitig räumt die Pharmazeutin ein: „Natürlich vergleichen einige Kunden die Preise in Apotheken mit denen des Versandhandels.“ Aber die meisten schätzen ihrer Erfahrung nach die 24-Stunden-Erreichbarkeit der Apotheken vor Ort. Kaiser: „Gerade an Notdiensten in der Nacht, an Sonn- und Feiertagen höre ich so oft den Satz: Schön, dass es Sie gibt.“
Dr. Christian Pacher, Apothekenleiter aus Ingolstadt, kommt zu einer differenzierten Bewertung: „Beschwerden über hohe Zuzahlungen werden weiterhin geäußert, haben aber prozentual abgenommen, da die preissensiblen Kunden seit dem EuGH-Urteil verstärkt zu den holländischen Versandapotheken abgewandert sind.“ Bei nicht rezeptpflichtigen Arzneimitteln sieht er ebenfalls wenig erbauliche Tendenzen: „In meinem wettbewerbsintensiven Umfeld hat die Nachfrage nach günstigen OTC-Angeboten massiv zugenommen“, so Pacher. Die Bereitschaft, für OTC plus Beratung tiefer in die Tasche zu greifen, sei „definitiv nicht vorhanden“, ergänzt der Kollege. „In der Realität zeigen mir die Kunden auf ihrem Smartphone die gewünschten OTC-Arzneimittel mit der Frage: Was kostet das bei Ihnen?“
Einmal mehr zeigt sich, wie bedeutsam der Apothekenstandort ist. Wer eine Betriebsstätte mit guter Lage hat, kann stark auf Qualität und Beratung setzen, ohne jeden Cent dreimal umzudrehen. Im Umfeld mit wenig kaufkräftiger Kundschaft wird das deutsche Apothekenmodell gegenüber rein rabattorientierten Versendern eher an Relevanz verlieren.