KOMMENTAR | Die Pandemie ist nun einige Jahre her. Dann muss man sich jetzt wohl auch nicht mehr gegen COVID-19 impfen – oder? Wozu ich meinen Patienten rate.
Ein typischer Praxisfall: Mein altbekannter Patient Herr M. ist mal wieder da, 68 Jahre alt, Diabetiker (HbA1c 7,4), Blutdruck gut eingestellt, COPD dieses Jahr noch nicht exazerbiert. Soweit alles ok.
„Wie sieht es aus mit den Impfungen? Grippe?“ „Gerne.“„RSV?“„Klingt gut, machen wir.“„Pneumokokken?“„Schon bekommen.“ „COVID-19?“„Muss das denn wirklich noch sein? Eigentlich will ich das nicht. Empfehlen Sie das wirklich?“„JA!“
Und genau an diesem Punkt stehen wir in vielen Gesprächen: Die Grippeimpfung gilt als selbstverständlich, die COVID-Impfung plötzlich als verzichtbar. Dabei ist die medizinische Logik dieselbe – und die Indikation für Herrn M. eindeutig. Die Impfstoffe verhindern nicht jede Infektion, aber sie reduzieren schwere Verläufe, Krankenhausaufenthalte und Long-COVID deutlich. Und unsere Immunität lässt nach: Besonders bei Älteren oder Vorerkrankten sinkt der Antikörperschutz innerhalb weniger Monate.
Herr M. ist kein Einzelfall. Letztes Jahr impften wir 1076 Patienten gegen Grippe – aber nur 670 gegen COVID-19, trotz viel Überzeugungsarbeit. Vor allem in sozialen Medien kursieren weiter Narrative über angeblich „überflüssige“ oder gar „gefährliche“ Impfungen. Selbst bei rationalen, medizinisch gebildeten Patienten bleibt da etwas hängen.
Was uns in der Praxis zunehmend auffällt: Es fehlt nicht an Information, sondern an Vertrauen. Die medizinischen Fakten sind öffentlich, leicht zugänglich, konsistent – und trotzdem sinkt die Impfquote Jahr für Jahr. Viele Patienten sind nicht impfkritisch, sondern impfverunsichert: Sie hören in Chatgruppen oder Familienrunden nur noch Schlagworte wie „RNA im Körper“, „Langzeitfolgen“ oder „nutzt ja eh nichts“.
Diese Desinformation funktioniert unterschwellig über Emotion, nicht über Evidenz. Und sie wirkt. Selbst Menschen, die sich seit Jahren selbstverständlich gegen Grippe impfen lassen, geraten bei COVID ins Grübeln – als wäre es plötzlich eine andere Art von Medizin. Diese Diskrepanz ist gefährlich, weil sie die Routine zerstört, die wir über Jahrzehnte in der Prävention aufgebaut haben. Darum braucht es jetzt neben neuen Aufklärungskampagnen auch klare, empathische Gespräche in den Praxen, ohne Belehrung – auch wenn es schon mal schwerfällt.
In Deutschland ist aktuell das an die Omikron-Linie LP.8.1 angepasste Comirnaty® von BioNTech/Pfizer verfügbar, für alle Altersgruppen ab 6 Monaten. Frühere JN.1- oder KP.2-Versionen laufen aus. Proteinbasiertes Nuvaxovid® JN.1 ist nicht mehr verfügbar. Die WHO empfiehlt weiterhin, nicht auf den „perfekten“ Update-Shot zu warten – sondern zu impfen, wenn indiziert.
Die jährliche Auffrischimpfung im Herbst wird empfohlen für:
Der optimale Zeitpunkt ist der Herbstbeginn – parallel zur Grippeimpfung. COVID-19- und Grippeimpfungen können zeitgleich gegeben werden. Auch eine Kombination mit der RSV-Impfung ist möglich, falls angezeigt.
Wenn die Grippeimpfung sinnvoll ist, dann ist die COVID-19 Impfung mindestens genauso wichtig. Beide Impfungen schützen nicht perfekt, aber sie verhindern schwere Verläufe, Krankenhausaufenthalte und bleibende Einschränkungen. Die Impfempfehlungen sind klar, die Impfstoffe vorhanden – nur die Überzeugung bröckelt. Dabei wäre es gerade jetzt wichtig, Routine und Rationalität zurückzubringen: einmal im Jahr Grippe und COVID-19 gemeinsam.
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Bildquelle: Birmingham Museums Trust, Unsplash