Verschreibungspflichtige Medikamente ohne Rezept? Geht bald, wenn es nach Warken geht. Was außerdem Teil ihrer Reform sein soll – und warum Ärzte und Apotheker laut ABDA-Präsident Preis Grund zur Aufregung haben.
Die neue Apothekenreform von Gesundheitsministerin Warken greift in Grundfesten der Arzneimittelversorgung ein: In Ausnahmefällen sollen Apotheker künftig verschreibungspflichtige Medikamente ohne Rezept abgeben dürfen. Ärzteverbände warnen vor einem Kompetenzverlust, Apotheker sehen endlich die Chance zur Versorgungsentlastung – und ABDA-Präsident Thomas Preis spricht von einem Reformpaket, das Apotheken ins Leere laufen lässt.
Warkens Reformpaket besteht aus zwei Bausteinen – einem neuen Apothekengesetz und einer Änderungsverordnung zur Apothekenbetriebs- und Arzneimittelpreisverordnung. Eine vierseitige Übersicht des BMG zeigt, wohin die Reise geht. Konkrete Inhalte kursieren bisher nur über Presseberichte, da der vollständige Entwurf noch nicht öffentlich verfügbar ist. Die Möglichkeit zur einmaligen Abgabe der kleinsten Packung eines Rx-Arzneimittels ohne ärztliche Verordnung wird eingeführt, wenn die Langzeitmedikation über vier Quartale dokumentiert ist und die Fortführung keinen Aufschub duldet. Diese Möglichkeit soll nicht auf bekannte Dauertherapien beschränkt bleiben, sondern per Verordnungsermächtigung für akute, unkomplizierte Erkrankungen gelten.
Die Apotheke darf für diesen Aufwand eine Pauschale von bis zu 5 Euro verlangen. Für Apotheken ist das ein Königsweg: Der klassische Samstagsfall, bei dem Patienten merken, dass das Blutdruckmedikament ausgegangen ist, der Hausarzt sich aber im Wochenende befindet, könnte damit vollständig umgangen werden. Überflüssige Wege zum Bereitschaftsdienst würden entfallen und die Arzneimittelversorgung flexibler werden. Von Seiten der Ärzteschaft heißt es, diese Art der Abgabe eröffne eine gefährliche Unterwanderung der ärztlichen Therapieverantwortung.
Dass die Reform weiterhin und trotz aller Einwände aus der Apothekerschaft auch PTA-Vertretung vorsieht, sorgt ebenfalls für hitzige Debatten: Nach einer zweijährigen berufsbegleitenden Weiterbildung mit 650 Stunden – das Curriculum dazu soll die Kammer in 6 Monaten vorlegen – sollen PTA die Leitung zeitweise vertreten dürfen. Eingeschränkt auf 20 Tage pro Jahr, davon maximal zehn zusammenhängend, und nur in Apotheken, in denen sie bereits ohne Beaufsichtigung arbeiten. Die Reaktion aus der Apothekerschaft auf die geplante Reform kam prompt und deutlich: Der ABDA-Präsident Thomas Preis kritisierte in seinem Statement insbesondere das Fehlen einer klaren Fixum-Anhebung, die eigentlich im Koalitionsvertrag verankert ist. Er warnt, die geplante Verhandlungslösung werde das Apothekensterben nicht stoppen. Zudem äußert er Sorgen, dass durch die PTA-Vertretung die umfassende Versorgung in den Offizinen gefährdet werde: Patienten müssten sich darauf einstellen, dass nicht mehr alle Leistungen sofort angeboten werden und nicht alle pharmazeutischen Fragen ohne Umweg beantwortet werden.
Das Reformpaket bringt weitere finanzielle und strukturelle Änderungen: Die lang geforderte Skonti-Freigabe soll wieder möglich werden. Zudem soll künftig ein Labor pro Filialverbund ausreichen und Geräte sowie Fachliteratur flexibler eingesetzt werden dürfen. Ein besonders starkes Signal enthält der Reformteil zu Impfungen und pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL): Apotheken sollen künftig alle Impfungen ohne lebende Impfstoffe durchführen dürfen. Beispiele dieser Impfstoffe sind: Tetanus, Diphtherie und Pertussis oder auch FSME oder RSV. Darüber hinaus sollen pDL gesetzlich vorgeschrieben werden (z. B. Medikationsmanagement, Schulung zu Autoinjektoren), die Ergebnisse in der ePA dokumentiert, und in bestimmten Fällen Ärzte informiert werden.
Die Reform zielt also auf deutlich mehr Handlungsspielraum für Apotheke, insbesondere bei der Arzneimittelabgabe und Versorgungsausfällen. Doch sie birgt auch Potenzial für Konflikte zwischen Arzt- und Apothekerverantwortung, zwischen Versorgungsvorteil und Risiko sowie innerhalb der Berufsgruppen in der Apotheke. Ob die Reform kommt – und wie sie am Ende ausgestaltet ist – weiß indes noch niemand, da werden die Lobbyisten sicherlich noch ein Wort mitreden. Dass ein Honorar-Plus, das eigentlich in den Koalitionspapieren stand, ebenfalls erst einmal nicht kommt, wird vermutlich einige Betriebe ins Aus treiben.
Eine persönliche Anmerkung sei noch erlaubt für all die Apotheker, die nun in Panik verfallen ob der Möglichkeit durch eine PTA ersetzt zu werden. Ihnen sei gesagt, dass sie da ganz beruhigt sein können: Die geplante PTA-Vertretung ist kein Einfallstor für „Wander-PTA“, die quer durchs Land wochenweise Chefs ersetzen. Sie ist streng begrenzt (zeitlich auf wenige Tage im Jahr) und vor allem betriebsgebunden: Vertreten darf nur, wer genau in dieser Apotheke bereits ohne Beaufsichtigung arbeitet. Und den Status „ohne Beaufsichtigung“ gibt es nicht zum Mitnehmen im Vorbeigehen, sondern nur nach mehrjähriger Berufspraxis, nachgewiesener Fortbildung (Punktezertifikat), langer Einarbeitung im Betrieb und einer schriftlichen Aufgabenfestlegung durch die Apothekenleitung – personengebunden, widerrufbar und bei Leitungswechsel neu zu prüfen. Kurz: Niemand ersetzt hier Apotheker; die Regel schafft lediglich punktuelle Entlastung für kleine, unterbesetzte Betriebe bei unverändert hoher Verantwortung und Letztverantwortung der Leitung. Wer das als „Verdrängung“ liest, verwechselt Versorgungssicherung mit Berufsersatz.
Thomas Preis setzt mit der Behauptung, die PTA-Vertretung gefährde die „umfassende Versorgung“ in den Offizinen aus meiner Sicht die Reputation der Apotheken unnötig aufs Spiel, noch bevor die Regelung überhaupt in Kraft ist. Wer so spricht, sät Zweifel an der Leistungsfähigkeit des eigenen Berufsstandes und riskiert Risse im wichtigsten Kapital der Offizin: dem Vertrauen der Bevölkerung. Sachlich betrachtet ist die vorgesehene PTA-Vertretung eng reglementiert, zeitlich begrenzt und an hohe Voraussetzungen geknüpft; sie soll punktuell entlasten, nicht Apotheker ersetzen. Preis tut damit weder sich noch der Sache einen Gefallen – ebenso wenig wie mit früheren Äußerungen, in denen PTAs implizit fachlich abgewertet wurden. Wer Versorgungssicherheit wirklich stärken will, sollte differenziert argumentieren, die Qualifikation der Teams anerkennen und Vertrauen mehren statt beschädigen.
Bildquelle: Raphael Renter, Unspleash