Deutschland ist voller Teilradiologen: Viele orthopädische Praxen besitzen selbst ein Röntgengerät. Klingt nach zwei Fliegen mit einer Klappe. Wann lohnt sich dennoch der Weg über den Radiologen?
In vielen Orthopädie-Praxen steht ein Röntgengerät. Hausärzte fragen sich oft, ob sie vor einer Überweisung zum orthopädischen Fachkollegen ihre Patienten zur Röntgendiagnostik an einen Radiologen überweisen oder die bildgebende Diagnostik direkt den Orthopäden überlassen sollen. Diese Frage kann man unter verschiedenen Aspekten beantworten. Hilfreich ist die zugehörige S2e-Leitlinie Fraktursonografie der DEGUM. Ein Hausarzt entscheidet zunächst über die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen.
Oftmals hilft bereits eine eigene sonografische Untersuchung weiter, selbst bei einer orthopädischen Fragestellung. Bei Kindern bis zum 12. Lebensjahr können beispielsweise Frakturen an den Extremitäten auch gut mittels Sonografie erkannt werden. Das geht schnell und erspart den jungen Patienten eine Strahlenbelastung. Auch Hämatome nach Sportverletzungen können vom Hausarzt sonografisch erfasst und dokumentiert werden.
Sollte sich der Hausarzt zu unsicher sein und eine Bildgebung von einem Fachkollegen anfertigen lassen wollen, steuert er den weiteren Behandlungspfad. Stellt sich das Krankheitsbild so dar, dass er den Patienten vermutlich selbst weiterbehandeln wird, wäre eine Überweisung an eine Radiologiepraxis der richtige Weg. Der Patient kommt nach erfolgter Bildgebung mit einer Befundung der Aufnahmen und einer Diagnose zu ihm zurück. Der Hausarzt entscheidet dann, ob er den Patienten mit dieser Diagnose selbst versorgt oder zu einem Fachkollegen überweisen muss. Es ist im Fall einer Überweisung an einen Orthopäden nicht schlimm, dass der Patient bereits mit Röntgenaufnahmen kommt.
Patienten haben zwar grundsätzlich freie Arztwahl und können sich den Orthopäden aussuchen, doch hat jeder Hausarzt ein eigenes Netzwerk zusammen mit Kollegen aller Fachrichtungen und kann seinen Patienten eine Empfehlung für den Fachkollegen aussprechen. Insbesondere, wenn eine zeitnahe Vorstellung beim Orthopäden erforderlich ist, wird eine direkte Kontaktaufnahme zum Kollegen erfolgen. Dabei kann auch kurz erklärt werden, warum sich der Patient mit Röntgenaufnahmen vorstellen wird. Außerdem weiß der Hausarzt von seinen Netzwerk-Kollegen, ob sie überhaupt ein Röntgengerät in ihrer Praxis vorhalten. Wenn nicht, war die erste Überweisung zum Radiologen sowieso der einzig gangbare Weg.
Wenn der Hausarzt aber bereits bei der Untersuchung seines Patienten weiß, dass ein Orthopäde ihn weiterbehandeln muss und bekannt ist, dass dort eine eigene Röntgendiagnostik erfolgen kann, wird er ihn direkt dorthin überweisen. In diesem Fall ist der Orthopäde ein sog. Teilgebietsradiologe. Davon gibt es in Deutschland viele, während es in den meisten anderen europäischen Ländern den Radiologen vorbehalten ist, zu röntgen.
Das führt in Deutschland dazu, dass beispielsweise im Jahr 1997 von jedem Einwohner 1,7 Röntgenaufnahmen angefertigt wurden, 70 % davon bei Teilgebietsradiologen. Das war der Spitzenwert in Europa, der mehr als doppelt so hoch war wie in Großbritannien. Und bezogen auf die Strahlendosis war jeder Deutsche fünfmal so stark belastet wie ein US-Amerikaner. Mit der Einführung des digitalen Röntgens konnte die Strahlenbelastung deutlich bis zu 90 % reduziert werden.
Es ist keine Statistik zu finden, in wie vielen Orthopädie-Praxen Röntgenapparate stehen und ob ein altes analoges Gerät auf digitales Röntgen umgerüstet oder ein neues digitales System angeschafft wurde. Die Kostenunterschiede sind erheblich. Während die Umrüstung vom analogen auf das digitale Röntgen mit Speicherfolie und Auslesegerät abhängig vom Hersteller und Modell des Röntgengerätes etwa 15.000 € bis 25.000 € netto kostet, schlägt eine neue digitale Röntgenanlage mit ca. 90.000 € netto zu Buche – Kosten, die sich amortisieren müssen. Für Ärzte und Patienten ergeben sich wesentliche Vorteile des digitalen gegenüber dem analogen Röntgen: Eine geringere Strahlenbelastung, der Wegfall der Bildentwicklung, die digitale Speicherung und Nachbearbeitung sowie die einfache Weitergabe z. B. auf CD. Hausärzte sollten also auch diese Faktoren mitberücksichtigen, wenn sie ihre Patienten zum Orthopäden überweisen, um dort Röntgenaufnahmen anfertigen zu lassen. In Radiologie-Praxen kann man davon ausgehen, dass Geräte auf dem neuesten Stand sind, Strahlenschutzmaßnahmen optimal erfolgen, Einstelltechniken und Filteranwendung vom Personal beherrscht werden und dadurch die Qualität der Aufnahmen sehr gut ist.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass Hausärzte mit einer Überweisung zum Röntgen eine verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen und mit Kenntnis der Praxisbesonderheiten bezüglich Geräte- und Personalausstattung bei Orthopäden und Radiologen mitentscheiden, welcher Strahlenbelastung sie ihre Patienten aussetzen.
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