In der Klinik gehört Aggression zum Alltag von Personal und Patienten. Dahinter steckt oft mehr als ein Wutausbruch – die Mechanismen wurzeln in Biologie, Umwelt und Geschichte. Wie ihr vorbeugt, statt nur zu reagieren.
Jeder kennt Aggression: Die angespannte Situation, wenn Stimmen lauter werden, Türen knallen oder die Fäuste geballt werden. Aggressives Verhalten gehört vor allem in der Psychiatrie oft zum Alltag. Es begegnet uns fast täglich – zwischen Patienten, Angehörigen und Behandlern. Das präsentierte Spektrum reicht hierbei von selbstverletzendem Verhalten, über impulsive Wutausbrüche bis hin zu geplanter Gewalt gegenüber medizinischem Personal. Dabei stellt sich immer wieder dieselbe Frage: Wie entsteht Aggression eigentlich und wie lässt sie sich therapeutisch beeinflussen?
Für aggressives Verhalten gibt es nicht den einen Grund, der alles erklärt. Es ist immer eine Mischung aus genetischer Vulnerabilität, neurobiologischer Dysregulation, psychosozialer Belastung und der individuellen Lebensgeschichte. Hierbei spielen verschiedene Gehirnregionen eine besonders wichtige Rolle. Untersuchungen von Amygdala (Bedrohungsreaktion) und präfrontalem Kortex (Impulskontrolle) zeigen, dass eine gestörte Verbindung zwischen diesen Hirnarealen die Neigung zu Impulsivität und nachfolgendem aggressivem Verhalten verstärken kann. Dabei gilt: Je ausgeprägter die Kontrollschwäche, desto häufiger treten aggressive Impulse auf (hier und hier).
Aber auch sozialer Rückzug, Isolation und bestimmte Medikamente können die Hemmschwelle senken (Vulnerabilitäts-Stress-Modell). Aggression ist dabei aber nicht nur auf eine Erkrankung zurückzuführen. Sie ist vielmehr ein transdiagnostisches Phänomen und zeigt sich über verschiedene Diagnosegruppen hinweg: von Depression, über Schizophrenie, Persönlichkeitsstörungen und Intoxikationen bis hin zur Demenz.
Auch die Grundlagenforschung widmet sich zunehmend den Mechanismen hinter aggressivem Verhalten. Ein aktuelles Beispiel ist der Sonderforschungsbereich TRR379 „Neuropsychobiologie der Aggression“, der bundesweit in interdisziplinärer Kooperation arbeitet. Hier wird untersucht, wie soziale Signale im Gehirn verarbeitet werden, gestörte Interaktionsmuster entstehen und welche Rolle Aggression dabei spielt. Ziel ist es, von der Grundlagenebene bis zur klinischen Anwendung neue Interventionen zu entwickeln – sei es durch psychotherapeutische Ansätze, Pharmakotherapie oder neuromodulatorische Verfahren.
Für die Psychiatrie bieten die Ergebnisse der Aggressionsforschung die Chance, Aggression nicht nur als „Störfaktor“ im Behandlungsalltag zu betrachten. Sie helfen als Zugang zu grundlegenden Fragen über menschliches Sozialverhalten und seine Abweichungen von der Norm.
In der Klinik begegnet uns Aggression oft als akute Gefahr, die schnell gebannt werden muss. Hier kann eine bewusste Deeskalationsstrategie helfen: Mit offener Körpersprache, ruhiger Stimme und dem nötigen räumlichen Abstand kann das Team auf den Patienten deeskalierend wirken. Provokationen sollten bestenfalls vermieden und stattdessen die aktuelle Gefühlslage des Patienten gespiegelt werden.
Ein zentrales Element von Deeskalationsstrategien ist gemeinsames Teamwork – des Weiteren bieten klare Absprachen und festgelegte Rollen im Team Struktur, sorgen für Sicherheit in den Handlungsabläufen und resultieren folglich im Schutz für Behandler und Patienten. Entscheidend ist außerdem der Versuch eines Paradigmenwechsels im Umgang mit aggressivem Verhalten: Statt vorschnell zu stigmatisieren, sollte Aggression auch als wichtiger Hinweisgeber mit enormem therapeutischem Potenzial verstanden werden. Klare Deeskalationsstrategien, transparente Kommunikationswege und verbindliche Teamabsprachen sind entscheidend, um sowohl Sicherheit als auch Therapieerfolg zu gewährleisten.
Wer die neurobiologischen Hintergründe versteht, erkennt: Aggression ist mehr als bloßes „Problemverhalten“ – sie spiegelt neuronale wie soziale Dynamiken wider und gehört zum klinischen Alltag. Am Ende zählt: Je mehr wir Aggression differenziert verstehen, desto besser können wir in der Klinik nicht nur reagieren, sondern in der Zukunft effektiv vorbeugen.
Bildquelle: Midjourney