Klingt absurd, funktioniert aber: Das Kappen eines peripheren Nervs hilft aphasischen Schlaganfallpatienten dabei, ihre Sprache wiederzuerlangen. Wie das sein kann, erfahrt ihr hier.
Eine Sprachstörung (Aphasie) ist ein häufiges und besonders belastendes Symptom nach einem Schlaganfall. Sie bessert sich meist in den ersten 6 bis 12 Monaten, unterstützt durch intensive logopädische Therapie. Danach sind nur noch geringe Fortschritte zu erwarten; dass sich die Sprache über Jahre weiter erholt, ist selten. Behandlungsoptionen für Schlaganfallpatienten mit einer Aphasie, die trotz rehabilitativer Maßnahmen fortbesteht, werden deshalb dringend benötigt. In einer Studie in China wurde für diese Patienten jetzt ein innovativer Therapieansatz untersucht: Die Ärzte durchtrennten den rechten C7-Spinalnerv am Austrittspunkt aus der Wirbelsäule. Danach konnte die Sprachfähigkeit der behandelten Patienten signifikant verbessert werden.
Diese Behandlungsmethode erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich. Wie kann die Durchtrennung eines Nervs, der eigentlich Armbewegungen und das Empfinden im Bereich der Finger steuert, die Sprache verbessern? Die Erklärung liegt in der Neuroplastizität: Der rechte C7-Nerv projiziert ins linke sensomotorische Zentrum, das direkt neben dem Sprachzentrum liegt. Wird der Nerv gekappt, wird dieser Hirnbereich „frei“ – und kann sich der Sprachregeneration widmen.
Aber wie kamen die Forscher auf die ungewöhnliche Idee der Nervendurchtrennung? Schließlich kann man nicht auf gut Glück einen zufällig ausgewählten Nerv durchtrennen und beobachten, wie sich daraufhin eine Sprachstörung entwickelt. Die Studie beruht auf der Beobachtung von Patienten, die sich einem sogenannten „kontralateralem C7-Transfer“ unterzogen. Dies ist eine neurochirurgische Behandlungsmethode, die in seltenen Fällen bei einer spastischen Armparese nach einem Schlaganfall angewendet wird. Ist der rechte Arm gelähmt, wird der C7 Nerv der linken Seite mit dem Nervengeflecht des betroffenen rechten Arms verbunden. Durch die neue Nervenverbindung kann nun die gesunde Hirnhälfte lernen, den Arm anzusteuern.
Das Verfahren gilt noch als experimentell, wird aber vor allem in China in spezialisierten Zentren schon häufiger durchgeführt. Viele Schlaganfallpatienten haben gleichzeitig eine Aphasie und eine rechtsseitige Armparese. Bei einigen besserte sich nach dem C7-Transfer überraschend auch die Sprache. Da beim Eingriff zunächst der C7-Nerv durchtrennt wird, vermuteten die Forscher: Schon allein dieser Schritt könnte die Neuroplastizität anregen und die Sprachfunktion verbessern.
Diese Hypothese wird durch die Studienergebnisse gestützt. Für die Untersuchung wurden 50 Patienten eingeschlossen, bei denen ein Jahr nach einem Schlaganfall der linken Hemisphäre noch eine Aphasie bestand. Die Studienteilnehmer wurden in zwei Gruppen randomisiert. Alle Teilnehmer erhielten eine intensive logopädische Sprachtherapie. Bei der Interventionsgruppe wurde zusätzlich der rechte C7 Spinalnerv am Austritt aus der Wirbelsäule durchtrennt.
Eine Woche nach dem Eingriff zeigte sich eine signifikant bessere Sprachfähigkeit. Sie wurde mit dem Boston Naming Test gemessen, bei dem die Probanden Objekte benennen müssen – eine Woche nach dem Eingriff gelang dies bei deutlich mehr Objekten korrekt. Und auch nach 6 Monaten blieb dieser Unterschied bestehen: Die Sprachfähigkeit war nach dem Eingriff anhaltend verbessert. Auch die Patienten selbst berichteten von einer besseren Alltagskompetenz, die Rate an depressiven Symptomen ging ebenfalls zurück. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten nicht auf. Noch ist die Methode experimentell und muss in größeren Studien überprüft werden. Doch die Ergebnisse geben Hoffnung – besonders für Schlaganfallpatienten, deren Sprachstörung bisher als kaum behandelbar galt.
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