Bei einem Herzstillstand wird das Gehirn oft in Mitleidenschaft gezogen. Ärzte versuchen, mit einer therapeutischen Hypothermie gegenzusteuern. Wissenschaftlich spricht vieles für die Methode, wobei letzte Zweifel noch nicht ausgeräumt werden konnten.
In den letzten Jahrzehnten häuften sich Hinweise, dass Patienten nach Herzstillstand und erfolgreicher Reanimation von einer milden Hypothermie profitieren. Ein Ziel ist, den Gehirnstoffwechsel zu bremsen und damit Gewebeschäden zu verringern. Pro Grad Temperaturabsenkung verlangsamen sich biochemische Prozesse um etwa sechs Prozent. Grund genug, Empfehlungen für die Praxis auszusprechen.
Ein Beispiel: Das European Resuscitation Council (ERC) schreibt in seiner Leitlinie zur Herz-Lungen-Wiederbelebung, komatöse Patienten sollten nach Rückkehr des Spontankreislaufs (ROSC, return of spontaneous circulation) auf 32 bis 34 Grad gekühlt werden. Dabei ist auf eine ausreichende Sedierung und auf Muskelrelaxation bei Kältezittern zu achten. Nach mindestens 12 bis 24 Stunden Hypothermiebehandlung sollten Betroffene wieder erwärmt werden – mit um 0,25 bis 0,5 Grad Celsius Temperaturerhöhung pro Stunde. Allerdings war die Datenlage beim Erscheinen der Leitlinie Ende 2010 noch äußerst dürftig.
Im Jahr 2012 hat Esteban Lopez-de-Sa, Madrid, Resultate einer Studie veröffentlicht. Sein Ziel war, zu untersuchen, welche Temperatur den größtmöglichen Nutzen bringt. Lopez-de-Sa teilte 36 Patienten, die einen Herzstillstand überlebt hatten, randomisiert in zwei Gruppen ein. Bei jeweils 18 Patienten kühlte er den Körper auf 32 Grad beziehungsweise auf 34 Grad ab. Acht Patienten (44 Prozent) der 32-Grad-Gruppe erreichten den primären Endpunkt, sie überlebten sechs Monate ohne schwere Schäden. In der 34-Grad-Gruppe waren es nur zwei Patienten (elf Prozent). Große Unterschiede bei Komplikationen gab es nicht. Die einzige Ausnahme: In der 32-Grad-Gruppe kam es vermehrt zu Bradykardien (39 versus elf Prozent). „Die Ergebnisse dieser Pilotstudie deuten darauf hin, dass eine tiefere Kühlstufe mit besseren Ergebnissen korreliert“, schreibt Lopez-de-Sa. Er fordert größere Studien, um daraus klinische Konsequenzen abzuleiten.
Ganz klar, dass sich Kardiologen weiter mit der Fragestellung befassten. Ende 2013 veröffentlichte Niklas Nielsen, Helsingborg, zusammen mit Kollegen überraschende Ergebnisse. Er nahm 939 bewusstlose Personen mit Herzstillstand in seine Studie auf. Davon wurden 466 mit dem Ziel behandelt, 36 Grad Celsius Körpertemperatur zu erreichen. Weitere 473 wurden auf 33 Grad eingestellt. Beide Gruppen unterschieden sich hinsichtlich des primären Endpunkts, sprich der Mortalität nach Studienende, nicht signifikant voneinander. Kombinierten die Autoren Mortalitäten und neurologische Resultate, zeigte sich ebenfalls kein Benefit der tieferen Temperatur. Sind Hypothermie-Behandlungen damit obsolet? Nicht unbedingt. Dazu ein Blick auf Nielsens Studiendesign. Patienten mit nicht schockbaren Rhythmen hat der Arzt ausgeschlossen. Auch lag die Rate an Reanimationen durch Laien bei 73 Prozent – fast vier Mal mehr als in Deutschland. Laut Nielsen verging bis zur Reanimation im Median gerade einmal 60 Sekunden. Entsprechende Eckpunkte könnten den tatsächlichen Mehrwert einer Hypothermie-Behandlung von Haus aus zunichtegemacht haben.
Damit nicht genug: Jon C. Rittenberger und Clifton W. Callaway, Pittsburgh, bewerten in einem Editorial zu Nielsens Arbeit, Hypothermie-Behandlungen trotzdem als wertvoll. Sie vermuten, durch die Kühlung würden prognostisch ungünstige Hyperthermien verhindert. Wie ungünstig sich Fieber auswirkt, zeigt eine Arbeit von John Bro-Jeppesen, Kopenhagen. Er beobachtete 270 Patienten nach einem Herzstillstand. Sie hatten 24-stündige Hypothermieprotokolle mit Zieltemperaturen zwischen 32 und 34 Grad Celsius überstanden. Fieber von 38,5 Grad Celsius oder mehr war mit einer 36-prozentigen Mortalität verbunden. In der Vergleichsgruppe starben nur 22 Prozent. Als Beobachtungszeitraum wählte Bro-Jeppsen 30 Tage. Er identifizierte das Temperaturmaximum und die Dauer des Fiebers als prognostische Parameter.
Was bringt die Datenlage nun für Ärzte? „Die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) empfiehlt bis zum Vorliegen weiterer Studienergebnisse, bewusstlose Erwachsene mit spontaner Zirkulation nach präklinischem Kammerflimmern nach wie vor für zwölf bis 24 Stunden auf 32 bis 34 Grad Celsius zu kühlen“, heißt es in einer Stellungnahme. „Zudem sollte bei allen anderen bewusstlosen Patienten nach einem Herzkreislaufstillstand eine Zieltemperatur von 36 Grad Celsius aktiv angestrebt werden.“ Erhöhte Temperaturen seien in jedem Fall zu vermeiden.
Laut Francis Kim, Seattle, sollte eine Hypothermie-Behandlung noch nicht in der Prähospitalisierungsphase eingeleitet werden. Die Wissenschaftlerin nahm 1.359 Patienten mit Herzstillstand in ihre randomisierte klinische Studie auf. Bei rund 50 Prozent aller Betroffenen wurde die Körpertemperatur vor Eintreffen in der Klinik mit gekühlter Kochsalzlösung gesenkt. In der Vergleichsgruppe gab es nur eine Standardbehandlung. Unterschiede zeigten sich weder bei der Mortalität noch beim neurologischen Status. Problematisch war, dass es bei frühzeitiger Hypothermie-Einleitung häufiger zum Lungenödem sowie zum neuerlichen Herzstillstand kam.