Etwas heiliges Wasser – und schon erwacht, was mehr als ein Jahrhundert schlummerte: Cholera in Europa. Dabei zeigt sich der Erreger mit neuen Resistenzen gegen Standardantibiotika. Was jetzt in Klinik und Apotheke zählt.
Cholera galt in Europa lange Zeit als Relikt des 19. Jahrhunderts – mit Ausnahme importierter Einzelfälle. Umso größer war die Aufmerksamkeit, als im Frühjahr 2025 die ersten Patienten in Deutschland und im Vereinigten Königreich mit Vibrio cholerae O1, Biotyp El Tor diagnostiziert wurden. Die Infektion konnte eindeutig auf das Trinken von aus Äthiopien importiertem „heiligem Wasser“ zurückgeführt werden. Es ließen sich identische Erreger im Wasser selbst nachweisen.
Die europäische Seuchenschutzbehörde (ECDC) sprach von einem in Europa erworbenen Cluster, also nicht nur importierten Erkrankungen. Parallel dazu verzeichnet die WHO weltweit eine dramatische Zunahme an Fällen – insbesondere in Krisenregionen wie dem Südsudan, Haiti und Jemen. Während das globale Bild von fehlender Trinkwasserhygiene und großflächigen Ausbrüchen geprägt ist, zeigt das europäische Ereignis vor allem, wie verletzlich moderne Gesellschaften durch ungewöhnliche Expositionsquellen und Resistenzentwicklungen geworden sind.
Verursacher ist Vibrio cholerae, klinisch relevant sind die Serogruppen O1 und O139. Die Ansteckung erfolgt fäkal-oral über verunreinigtes Wasser oder Lebensmittel. Die Inkubationszeit reicht von wenigen Stunden bis maximal fünf Tagen. Cholera beginnt meist abrupt mit massiven, wässrigen Durchfällen („Reiswasserstuhl“) und Erbrechen. Fieber bleibt die Ausnahme. Unbehandelt kann es binnen Stunden zu schwerster Dehydratation, Elektrolytverlust und hypovolämischem Schock kommen.
Zentral für die Therapie ist die Rehydratation der Patienten mittels einer oralen Rehydratationslösung (ORS) bei leichter bis moderater Symptomatik, und intravenöse Flüssigkeitstherapie bei schweren Verläufen. Antibiotika wie Doxycyclin oder Azithromycin verkürzen Krankheitsdauer und Erregerausscheidung, wobei die Resistenzlage unbedingt berücksichtigt werden muss. Bei den europäischen Clustern 2025 wurden multiresistente Stämme nachgewiesen. Zink hat insbesondere bei Kindern eine krankheitsverkürzende Wirkung. Antimotilitätsmittel wie Loperamid sind kontraindiziert.
Obwohl mit Dukoral® und Vaxchora® zwei zugelassene Cholera-Impfstoffe in Deutschland verfügbar sind, ist deren Schutzwirkung limitiert (hier und hier). Dukoral® induziert eine Immunität ausschließlich gegenüber Vibrio cholerae der Serogruppe O1; Stämme der Serogruppe O139 werden nicht erfasst. Darüber hinaus ist die Dauer des Impfschutzes begrenzt: Bei Erwachsenen wird eine Schutzwirkung über etwa zwei Jahre beschrieben, bei Kindern unter fünf Jahren ist die Wirksamkeit deutlich kürzer und erfordert zusätzliche Dosen.Vaxchora® basiert auf einem attenuierten Lebendimpfstoff, der durch Serum-Antikörper und Gedächtniszellen zu einer Immunantwort gegen V. cholerae O1 führt. Klinische Daten zur Wirksamkeit liegen vor allem aus Challenge-Studien mit experimenteller Infektion vor und belegen Schutzraten um 80 %. Allerdings fehlen belastbare Daten für bestimmte Patientengruppen, speziell für Personen über 64 Jahren sowie für Menschen mit chronischen gastrointestinalen Erkrankungen (hier und hier). Auch die Evidenzlage zur Wirkung des Impfschutzes über die ersten Monate hinaus bleibt eingeschränkt.
Generell gilt: Beide Vakzine erreichen keinen vollständigen Schutz, sondern können lediglich das Risiko und die Schwere einer Erkrankung reduzieren. Daher bleibt die Expositionsprophylaxe – insbesondere der Zugang zu sauberem Trinkwasser und adäquate Lebensmittelhygiene – die zentrale präventive Maßnahme, auch für Geimpfte.
Ein Blick zurück zeigt, wie wichtig einfache therapeutische Prinzipien sind: Die Morosche Karottensuppe, entwickelt Anfang des 20. Jahrhunderts von Ernst Moro, rettete zahllosen Kindern mit Diarrhö-Erkrankungen das Leben. Ihre Wirksamkeit beruht auf Oligogalakturonsäuren, die die Adhärenz von Bakterien im Darm hemmen. Auch wenn sie keine spezifische Cholera-Therapie darstellt, steht sie sinnbildlich für die Bedeutung von oraler Flüssigkeitstherapie und einfacher Diätetik – Prinzipien, die in humanitären Krisen bis heute Leben retten.
Aktuelle Fälle belegen: Cholera kann Europa erreichen, wenn bislang auch nur als lokal begrenzte Cluster.
Europa ist nicht im Cholera-Ausnahmezustand – aber die globalen Entwicklungen machen deutlich, dass Wasserhygiene, schnelle Diagnose und adäquate Therapie unverzichtbar bleiben.
Nicht nur Cholera wurde in diesem Sommer zum Thema. Über Reisende und einzelne Cluster erreichten auch andere Infektionen Deutschland.
Bildquelle: Midjourney