Nein, wenn Bello nach den Zuckerkügelchen nicht mehr humpelt, liegt es wirklich nicht an der vermeintlichen Wirksamkeit – sondern am Placebo-Effekt. Warum die Täuschung auch bei Tieren funktioniert und Kühe mit Klassik mehr Milch geben.
Ein Artikel von Alexandra Vorik
„Placebo“ bedeutet übersetzt: Ich werde gefallen. Ein Placebo-Medikament ist im Grunde ein Scheinmedikament. Es lebt von der Erwartung, dass es wirkt – man könnte auch von einer Art Täuschung sprechen. Täuschung ist kein rein menschliche Phänomen. Auch in der Natur setzen Tiere Täuschung gezielt ein – ein wichtiger Punkt, um zu verstehen, warum Placebo-Effekte auch bei Tieren messbar sind.
Der Drongo‑Vogel, ein kleiner Bewohner der Savannen, hat beispielsweise eine ausgefeilte Strategie: Wie jeder gute Betrüger versucht er zunächst, das Vertrauen seiner Opfer zu gewinnen. Mehrfach ahmt er den Erdmännchen‑Warnruf bei Adlerangriffen nach – und rettet den Erdmännchen damit das Leben. Ist ihr Vertrauen erst gewonnen, nutzt er es für seinen Hunger: Er gibt einen Adler‑Warnruf, obwohl keine Gefahr besteht. Die Erdmännchen lassen ihre Beute fallen und fliehen – und der Drongo sammelt seinen erschlichenen Snack ein.
Sprechen wir von Placebo, denken viele an Tabletten oder Spritzen ohne Wirkung – doch Placebo ist mehr. Schon Schamanen nutzten Requisiten wie Rauch, Masken und Trommeln, um Krankheiten auszutreiben. Einige sehen heutzutage die weißen Kittel, Stethoskope und eine überzeugte Stimme als modernen Ersatz dafür – Requisiten, deren Wirkung viele aus dem klinischen Alltag kennen. In der Tiermedizin gibt es den Begriff Caregiver‑Placebo‑Effekt. Damit ist gemeint: Nicht die Tiere glauben an eine Behandlung, sondern ihre Besitzer sind überzeugt – und interpretieren Veränderungen im Verhalten als Besserung.
Ein Beispiel: In der Studie von Conzemius & Evans erhielten Hunde mit Arthrose ein Placebo. Trotzdem berichteten fast 40 % der Besitzer und fast 45 % der Tierärzte von Verbesserungen der Symptome (Placebo-by-proxy/Caregiver-Placebo-Effekt). Die objektive Ganganalyse zeigte jedoch: keine Veränderung. Auch bei Hunden mit Epilepsie wurden Placebo‑Effekte untersucht. Muñana et al. berichteten, dass über 40 % der Hunde in Placebo‑Gruppen weniger Anfälle hatten. Eine Re‑Evaluation durch Schmidt et al. zeigte jedoch: In drei placebokontrollierten Studien kam es während Placebo‑Phasen sogar zu einer Zunahme der Anfälle (von Ø 2,3 auf Ø 2,95). In frühen Phasen wirkte Placebo manchmal kurz stabilisierend – der sogenannte „Honeymoon‑Effekt“ –, in späteren Phasen verschlechterte sich die Lage eher.
Darüber hinaus könnte auch die Konditionierung eine Rolle beim Placebo-Effekt bei Tieren spielen. Pawlows Hund begann nach einer Weile schon beim Klang der Glocke Speichel zu bilden – weil er das Futter erwartete. Könnte man ähnliche Muster nicht auch in der Medizin erwarten? Wenn Tiere erfahren haben, dass es ihnen nach Spritzen oder anderen Behandlungen besser geht, könnten sie gegebenenfalls auch auf ein Scheinmedikament ähnlich reagieren. Immer wieder gab es Studien, bei denen man versuchte nachzuweisen, ob beispielsweise Kühe bei den Klängen von Mozart mehr Milch geben würden. Es bleibt wohl weiterhin offen, ob Kühe ein Faible für Mozart haben. Sicher ist aber, dass viele Tiere sehr geräuschempfindlich sind – und Musik in jedem Fall eine Wirkung auf das Personal hat. Diese veränderte Haltung überträgt sich auf den Umgang mit den Tieren; das wirkt sich wiederum positiv auf die Tiere aus.
Placebo‑Effekte lassen sich bei Tieren nachweisen, beruhen aber oft auf den Erwartungen ihrer Besitzerinnen und Besitzer und können dann indirekt auch auf die Tiere wirken. Was sicher feststeht: Eine gute Atmosphäre, Zuversicht und Freundlichkeit ersetzen die Medizin zwar nicht immer, entfalten jedoch im Alltag von Mensch und Tier jedoch eine Wirkung, die man nicht unterschätzen sollte.
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