Der Leidensdruck bei Endometriose entsteht nicht nur durch die starken Schmerzen – auch die Psyche ist belastet. Aber könnte ein psychisches Trauma umgekehrt auch der Auslöser für die Erkrankung sein, die sich so oft der Wahrnehmung entzieht?
Endometriose betrifft bis zu 10 Prozent der Frauen im reproduktionsfähigen Alter, wobei eine nicht unerhebliche Dunkelziffer aufgrund erschwerter Diagnostik anzunehmen ist. Grund dafür ist das vielschichtige Beschwerdebild, welches Diagnostik und Therapie so schwierig macht. Bei der benignen Absiedelung endometriumartiger Zellverbände außerhalb der Gebärmutterhöhle können die Muskulatur des Uterus (Adenomyosis uteri), die Adnexen und Vagina, aber auch Peritoneum, Lunge, Leber, harnableitende Wege und der Darm betroffen sein. Dadurch kommt es zu außergewöhnlich heftigen Schmerzen während der Periode, beim Geschlechtsverkehr, Wasserlassen oder der Darmentleerung.
Berichtet wird von zyklischen Schmerzen, aber auch azyklische, diffuse Unterbauchschmerzen sind nicht unüblich. Das macht die Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern und zur Psychosomatik nicht leicht. Die Erkrankung bleibt daher oft lange unerkannt, verursacht chronische Schmerzen, Sterilitätsprobleme und nicht selten auch psychische Beeinträchtigungen.
In einer retrospektiven Kohortenstudie aus Kanada wurden von Januar 2010 bis Juli 2022 insgesamt 56.053 Frauen im Alter von 18 bis 50 Jahren mit erstmaliger Endometriose-Diagnose einbezogen. Kontrollpersonen, die auf der Grundlage von Alter, Geschlecht, Inanspruchnahme psychiatrischer Hilfen und Selbstverletzungsanamnese übereinstimmten, wurden gegenübergestellt. Als primäre Endpunkte wurde eine Kombination aus vorsätzlicher Selbstverletzung, Vergiftung oder Überdosierung und Suizidalität gewählt. Psychiatrische Konsultationen in den beiden Jahren vor der gynäkologischen Diagnose wurden anhand folgender Kriterien quantifiziert:
Endometriose war mit einem erhöhten Risiko für das Kombinationsergebnis vergesellschaftet (adjustierte Hazard Ratio [AHR], 1,42; 95% CI, 1,27–1,59). Es bestand eine besonders starke Assoziation bei Personen ohne psychiatrische Vorbehandlung (AHR, 1,88; 95% CI, 1,54–2,30). Patientinnen mit Endometriose hatten ein erhöhtes Risiko sowohl für vorsätzliche Selbstverletzung (AHR, 1,37; 95% CI, 1,22–1,54) als auch für Vergiftungen oder Überdosierungen (AHR, 1,42; 95% CI, 1,29–1,56).
Die Inzidenz des primären zusammengesetzten Endpunkts erreichte 2,5 Prozent bei Endometriose-Patientinnen, verglichen mit 1,8 Prozent bei Frauen, die nicht an Endometriose erkrankt waren. Bei Patientinnen mit höherer psychiatrischer Inanspruchnahme zu Studienbeginn wurde zwar keine statistisch signifikante Erhöhung des Risikos festgestellt, aber die absolute Inzidenz der ausgewählten Symptome nahm mit der Inanspruchnahme psychiatrischer Hilfen zu.
„Diese Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, die psychischen Gesundheitsbedürfnisse von Patientinnen zu berücksichtigen, bei denen neu Endometriose diagnostiziert wurde“, so die Autoren der Studie. Einschränkend muss erwähnt werden, dass klinische Informationen wie der Schweregrad der Endometriose, Therapiemaßnahmen und die Latenzphase zwischen Symptombeginn und Diagnose in der Studie nicht berücksichtigt wurden. Damit ist ein differenzierterer Zusammenhang zwischen Endometriose und psychiatrischen Symptomen nicht abschließend geklärt.
Prof. Sylvia Mechsner leitet seit 2005 das Endometrioseforschungslabor der Charité und seit 2014 das dortige Endometriosezentrum. Sie gilt als ausgewiesene Expertin bei allen Fragen zum Thema Endometriose. Die Frage nach einem Zusammenhang von emotionaler Instabilität oder traumatischen Erlebnissen und Endometriose beantwortet sie in ihrem Buch:
„Endometriose ist eine körperliche Erkrankung mit Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden durch die komplizierten Diagnose- und Behandlungsverläufe, die Schmerzen und die möglichen Schwierigkeiten mit der Fruchtbarkeit. Traumatische Erfahrungen (auch in der Kindheit) sind leider recht häufig und werden von manchen Menschen als Erklärung für die Endometriose herangezogen. Die Idee dahinter ist, dass der extreme Stress, dem Menschen bei Traumaerlebnissen ausgesetzt sind, den Zellstoffwechsel verändert und chronische Entzündungen begünstigt (stark vereinfacht gesagt). Jedoch kann bei Endometriose definitiv nicht von einem direkten Kausalzusammenhang ausgegangen werden: Nicht alle Menschen mit Endometriose haben ein Trauma erlebt und nicht alle Menschen, die ein Trauma erlebt haben, haben Endometriose. Stress, emotionale Instabilität und generell der Umgang mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen können aber selbstverständlich einen Einfluss auf das Krankheitsverhalten haben […]. Damit haben sie dann indirekt auch Einfluss auf die Ausprägung der Symptome (nicht aber auf das Ausmaß der Endometriose).“
Endometriose ist eine ätiologisch nicht eindeutig definierte und sowohl diagnostisch als auch therapeutisch anspruchsvolle Erkrankung, die lange ein Schattendasein in der Gynäkologie eingenommen hat. Die Häufung der Komorbidität von Endometriose mit psychiatrischen Erkrankungen lässt sich anhand einer kanadischen Studie zwar beschreiben, es fehlen jedoch wichtige klinische Informationen. Ob Traumata, chronische Schmerzen oder fehlende Empathie Nichtbetroffener vermehrt zu psychischen Symptomen bei Endometriose führen, muss durch weitere Studien untersucht werden. Dass eine schwerwiegende Erkrankung wie Endometriose mit psychischen Instabilitäten vergesellschaftet ist, ist nicht verwunderlich und benötigt umso mehr eine längst überfällige erhöhte medizinische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit.
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