Gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Schlafstörungen: Die postpartale Depression gilt als Frauenkrankheit. Jetzt zeigt sich: Auch Väter sind gefährdet – mit gravierenden Folgen für Partnerschaft und Kindesentwicklung.
Dass Männer nach der Geburt eines Kindes in eine tiefe seelische Krise stürzen können, galt lange als Randphänomen. Doch seit einigen Jahren mehren sich die Hinweise, dass postpartale Depressionen (PPD) bei Vätern kein Ausnahmefall, sondern ein relevantes Gesundheitsproblem sind. Eine in JAMA Psychiatry veröffentlichte Studie zeigt, dass Männer in der Zeit nach der Geburt ähnlich stark gefährdet sind wie Frauen: Etwa jeder zehnte Vater entwickelt depressive Symptome, häufig in den ersten drei Monaten nach der Entbindung.
Der Unterschied liegt darin, dass männliche Betroffene oft unauffällig leiden. Statt offen über Ängste und Überforderung zu sprechen, reagieren viele mit Reizbarkeit, Rückzug oder übermäßigem Arbeitseifer. Diese „maskierten“ Symptome führen dazu, dass Ärzte postpartale Depression bei Männern seltener als bei Frauen erkennen.
Die Ursachen sind komplex. Wie Forscher der Medizinischen Universität Lublin (Polen) schreiben, durchlaufen auch Männer während Schwangerschaft ihrer Partnerin und der Geburt des Nachwuchses hormonelle Veränderungen. Der Testosteronspiegel sinkt, während Prolaktin und Östrogen ansteigen – ein biologischer Anpassungsprozess an die Vaterrolle, der aber auch mit Stimmungsschwankungen und Müdigkeit einhergehen kann.
Hinzu kommt der psychische Druck: Der Übergang in die Vaterrolle verlangt eine Neuordnung des Lebens, der Partnerschaft und der Verantwortung. Schlafmangel, finanzielle Sorgen und der Anspruch, gleichzeitig Versorger und emotional präsenter Partner zu sein, überfordern viele Männer. Studien belegen aber auch, dass das Risiko für eine postpartale Depression bei Männern deutlich steigt, wenn auch die Partnerin depressiv ist. Denn das seelische Gleichgewicht beider Elternteile hängt eng zusammen.
Postpartale Depressionen beginnen bei Männern oft schleichend. Typisch sind anhaltende Reizbarkeit, Erschöpfung, Interessenverlust, Schlafstörungen und ein Gefühl der Entfremdung vom Kind. Männer berichten seltener über Traurigkeit, sie klagen eher über körperliche Beschwerden oder Antriebslosigkeit. Manche greifen häufiger zu Alkohol oder stürzen sich in exzessive Arbeit – Strategien, die kurzfristig Stabilität vorgaukeln, langfristig aber die Depression verstärken. Die Folgen reichen weit über die persönliche Belastung hinaus: Kinder von Vätern mit postpartaler Depression zeigen häufiger emotionale Störungen, Verhaltensauffälligkeiten und eine verzögerte Entwicklung der Sprache. Auch die Paarbeziehung leidet – das kann bis zu erhöhter Gewaltbereitschaft oder zu Trennungen führen.
Warum erkennen Ärzte postpartale Depressionen bei Männern nicht immer? Lange Zeit fehlten geeignete Diagnoseinstrumente. Die meisten Fragebögen wie die Edinburgh Depressions-Fragebogen nach der Geburt (EPDS) wurden für Frauen entwickelt. Inzwischen gibt es angepasste EPDS-Versionen oder die Gotland Male Depression Scale (GMDS), die auch typisch männliche Symptome erfassen.
Eine Studie aus Singapur ermittelte eine Prävalenz von 5,3 Prozent (EPDS) bzw. 14,3 Prozent (GMDS) bei frischgebackenen Vätern. Besonders gefährdet waren Männer mit geringer sozialer Unterstützung und niedriger Selbstwirksamkeitserwartung. Ein frühzeitiges Screening – idealerweise bereits in der Schwangerschaft – könne laut den Forschern helfen, betroffene Väter früh zu erreichen. Um ihnen zu helfen, gelten kognitive Verhaltenstherapien und SSRI wie Sertralin als wirksamste Ansätze. Forscher berichten außerdem, dass psychosoziale Interventionen ähnlich gute oder bessere Ergebnisse erzielen können als medikamentöse Behandlungen. Zudem werden gesundheitsfördernde Maßnahmen wie Schlafhygiene, Bewegung, Tageslichttherapie und soziale Unterstützung empfohlen.
Wie wirkungsvoll spezielle Interventionen sein können, zeigte eine große Studie zu männlicher postpartaler Depression. In Karachi, Pakistan, untersuchte ein Team um M. Ishrat Husain die Wirksamkeit des Programms Learning Through Play Plus Dads (LTP+Dads). 357 Väter mit diagnostizierter postpartaler Depression nahmen an einem viermonatigen Gruppenprogramm teil, das Spiel- und Erziehungstraining mit Elementen der kognitiven Verhaltenstherapie kombinierte. Die Treffen wurden von geschulten Gemeindehelfern durchgeführt – ein Beispiel für „task shifting“, also den gezielten Einsatz nichtärztlicher Fachkräfte.
Nach vier Monaten hatten die Teilnehmer signifikant geringere Depressions- und Angstsymptome, weniger Erziehungsstress und eine höhere Lebensqualität als die Kontrollgruppe. Auch die Kinder profitierten: Ihr sozial-emotionales Entwicklungsniveau war nach sechs Monaten deutlich verbessert. Diese Effekte blieben über die Studiendauer hinaus stabil. Für die Forscher ist LTP+Dads ein Modell, das auch in anderen Ländern Schule machen könnte. „Psychosoziale Interventionen für Väter können nicht nur deren psychische Gesundheit, sondern auch die Entwicklung ihrer Kinder stärken“, so die Autoren.
Die Erkenntnisse aus Pakistan, Singapur und Europa zeigen: Postpartale Depressionen bei Männern sind kein Randthema, sondern ein global relevantes Gesundheitsproblem. Dennoch fehlt es in den meisten Ländern an strukturierten Angeboten. Väter werden nur selten nach ihrem seelischen Befinden gefragt. Dabei wäre gerade für sie in den ersten Monaten nach der Geburt ein Screening sinnvoll, etwa durch kurze Fragebögen bei Kinderarztterminen oder Wochenbettbesuchen. Fachleute fordern ebenfalls mehr Aufklärung, um Scham und Stigmatisierung zu reduzieren. Denn viele Männer empfinden depressive Symptome als persönliches Versagen und scheuen professionelle Hilfe.
Die Autoren der polnischen Übersichtsarbeit bringen es auf den Punkt: „Postpartale Depression bei Männern ist ein verstecktes Leiden. Zahlreiche psychologische, biologische und soziale Faktoren spielen eine Rolle – daher ist Früherkennung entscheidend.“
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