Stark eingeschränkte Lebensqualität, mangelnde Wirksamkeit zugelassener Medikamente und ein unvorhersehbarer Verlauf: Die chronisch spontane Urtikaria ist belastend. Jetzt gibt’s einen Hoffnungsschimmer in der Therapie.
Für Eilige gibt’s am Ende eine Zusammenfassung.
Kennzeichen einer Urtikaria sind juckende Quaddeln und/oder Angioödeme. Bei einer Dauer von mehr als 6 Wochen liegt eine chronische Urtikaria vor, welche unterteilt wird in die chronische spontane Urtikaria (CSU) und die chronische induzierbare Urtikaria (CIndU), bei der spezifische Auslöser wie z. B. Kälte oder Druckeinwirkung die Symptome auslösen. Weltweit sind etwa ein Prozent von CSU betroffen, am häufigsten 30–50-Jährige und Frauen öfter als Männer. Bei ca. 66 Prozent der Patienten halten die Symptome mindestens drei Jahre an, bis eine Spontanremission eintritt, viele benötigen jedoch eine längere Therapie.
Der quälende Juckreiz und das plötzliche Auftreten von Quaddeln und Angioödemen an oftmals schwer zu bedeckenden Körperstellen können erhebliche Auswirkungen auf soziale Interaktionen, Arbeits- oder Lernleistung haben. Viele CSU-Patienten haben (fast) täglich Anzeichen und Symptome mit ausgeprägter Variation von Zeitpunkt, Ort, Dauer und Schweregrad. Angioödeme dauern häufig länger als Quaddeln (bis zu drei Tage), sind teilweise entstellend und schmerzhaft und können viele Aktivitäten einschränken. Bei Schwellungen in der Mundhöhle mit dem Risiko von Atembeschwerden können sie zu Erstickungsängsten und zu häufigen Besuchen in der Notaufnahme führen. Angstzustände, Depressionen, Schlafstörungen und sexuelle Funktionsstörungen sind häufige Folgen der CSU.
Die Pathogenese der CSU ist komplex und scheint ein Zusammenspiel zwischen Autoimmunität, Komplement, Gerinnung und Entzündung zu sein. Neben Mastzellen ist auch ein entzündliches Infiltrat beteiligt, bei dem mehrere Effektorzellen – darunter T-Zellen, Basophile und Eosinophile –zusammenwirken. Forschungsergebnisse der letzten Jahre zeigen, dass bei den meisten Patienten zwei zugrunde liegende Mechanismen (sog. „Endotypen“) zur Aktivierung und Degranulation von Hautmastzellen beitragen können, die isoliert oder in über 50 Prozent der Fälle gemeinsam auftreten können: Typ-I-Autoimmunität („autoallergische CSU“) mit IgE-Autoantikörpern gegen Selbstantigene und Typ-IIb-Autoimmunität mit Mastzell-gerichteten aktivierenden IgG-Autoantikörpern. Weniger als 35 Prozent der Patienten haben keine Autoantikörper.
An weiteren möglichen Ursachen der CSU nennt die S3-Leitlinie Klassifikation, Diagnostik und Therapie der Urtikaria aktive Schilddrüsenerkrankungen, Infektionen, entzündliche Prozesse, Nahrungsmittel und Medikamente (z. B. NSAID), die jedoch sowohl Ursache als auch nur ein aggravierender Faktor sein können. Bis heute herrscht keine Klarheit darüber, ob beispielsweise Infektionen mit Helicobacter pylori sowie Entzündungen von Magenschleimhaut oder Gallengängen/-blase tatsächlich ursächlich sind, nur einen Exazerbationsfaktor darstellen oder ob nur eine zufällige Assoziation mit der CSU besteht.
Eine IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie ist nur sehr selten die Ursache der CSU, bei einigen Patienten können jedoch pseudoallergische, nicht-IgE-vermittelte Reaktionen auf natürlich vorkommende Nahrungsmittelbestandteile oder -zusatzstoffe beobachtet werden. Allergien zählen allerdings neben einer CInd und Autoimmunerkrankungen zu den häufigsten Komorbiditäten einer CSU.
Bis die Diagnose gestellt wird, können mehrere Jahre vergehen. In der ASSURE-CSU-Studie wurden für die Diagnosestellung durchschnittlich zwei Jahre nach Auftreten der Symptome angegeben, in der DERMLINE-Online-Umfrage vergingen im Durchschnitt sogar drei Jahre. Häufig werden Patienten bei mehreren Ärzten und in der Notaufnahme vorstellig, bis sie die Diagnose erhalten. Zusätzlich kann die Situation dadurch erschwert werden, dass die Symptome flüchtig und Hautveränderungen beim Arztbesuch oft kaum oder sogar nicht erkennbar sind und Patienten und Ärzte Symptome und Schweregrad der CSU teilweise unterschiedlich einschätzen.
Problematisch ist auch, dass CSU-Patienten häufig nicht gemäß den Leitlinienempfehlungen versorgt werden. In der DERMLINE-Umfrage gaben mehr als 60 Prozent der Teilnehmer an, keine Therapie zu erhalten, obwohl bis zu 80 Prozent der Teilnehmer unkontrollierte Symptome hatten. Daten der Versorgungsstudie AWARE zeigten, dass nur jeder fünfte Patient die empfohlene Erstlinientherapie mit H1-Antihistaminika der zweiten Generation (H1-AH-2G) erhielt. Darüber hinaus wurde weniger als jeder dritte Patient, der auf eine wirksamere Drittlinientherapie umgestellt werden sollte, tatsächlich umgestellt.
Erschwerend kommt hinzu, dass Ergebnisse systematischer Reviews und Metaanalysen gezeigt haben, dass viele Patienten nicht ausreichend auf die empfohlenen Therapien ansprechen. Beispielsweise erreichen nur etwa 40 Prozent der Patienten unter standarddosierter Erstlinientherapie mit H1-AH-2G eine teilweise oder vollständige Kontrolle ihrer Krankheit. Sprechen CSU-Patienten auf die Standarddosierung nicht an, wird im zweiten Schritt die Steigerung der Dosis auf das bis zu 4-Fache empfohlen (Off-Label), aber bei mindestens 25 Prozent der Patienten bleibt die CSU trotz Dosiserhöhung unkontrolliert. In der multi-nationalen Onlineumfrage URTICARIA VOICES berichteten sogar über 75 Prozent der Patienten von keiner oder nur teilweiser Verbesserung.
Bei unzureichendem Ansprechen unter hochdosierten H1-AH-2G ist die zusätzliche Gabe von Omalizumab, einem monoklonalen, humanisierten Anti-IgE-Antikörper empfohlen. Dieser kann bei nicht ausreichendem Nutzen in höheren Dosen und/oder kürzeren Intervallen verabreicht werden (Off-Label). Etwa ein Drittel bis ein Viertel der trotz H1-AH-2G-Therapie symptomatischen CSU-Patienten sprechen jedoch nur teilweise oder gar nicht auf Omalizumab an. Als nächster Schritt kann Ciclosporin A (CSA) zusätzlich zu H1-AH-2G verabreicht werden, ebenfalls Off-Label. CSA kann bei ca. 54–73 Prozent der Patienten die Symptome lindern, allerdings sind einige Nebenwirkungen problematisch.
Viele CSU-Patienten sind deshalb frustriert und tendieren dazu, ihre Krankheit selbst zu behandeln. In der DERMLINE-Umfrage waren weniger als die Hälfte der Patienten zufrieden mit ihrer Behandlung; 60 Prozent der Teilnehmer berichteten, zum Zeitpunkt der Umfrage nicht mehr zum Arzt zu gehen. Bis zu 38,5 Prozent der Teilnehmer, die trotz Symptomen nicht ärztlich behandelt wurden, gaben an, ihre Krankheit selbst zu behandeln.
Da die Symptome der CSU flüchtig sind, ist es wichtig, dass Patienten ihre Erkrankung dokumentieren. Dazu empfiehlt die Leitlinie, dass Patienten regelmäßig Patient reported outcome measures (PROMs) zur Messung von Krankheitsaktivität und -kontrolle sowie zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität ausfüllen. Neben dem Verlaufs- und Therapiemonitoring können diese Maßnahmen den Patienten auch die Sicherheit vermitteln, dass Krankheit und Leidensdruck ausreichend von ärztlicher Seite wahrgenommen werden und sie unterstützen Ärzte in ihrer Behandlung. Inzwischen gibt es auch Apps zur Nutzung der PROMs. Zusätzlich ist eine Beratung der Patienten über die Vermeidung individuell relevanter und unspezifischer Trigger (z. B. Einnahme von NSAR oder Stress) empfohlen.
Bestimmte klinische Merkmale und Labormarker sind bei der CSU mit der Krankheitsdauer, der -aktivität und dem Therapieansprechen verknüpft. Eine zusätzlich vorhandene CIndU, eine hohe Krankheitsaktivität, ein erhöhtes CRP und/oder vorhandene Angioödeme können auf eine lange Dauer und schlechtes Ansprechen auf Antihistaminika hindeuten. Des Weiteren konnten Forschungsergebnisse zeigen, dass eine vorliegende Typ-IIb-Autoimmunität u. a. durch niedrige Gesamt-IgE-Werte, einen höheren Krankheitsschweregrad, begleitende Autoimmunerkrankungen, ein schlechtes Ansprechen auf Antihistaminika und Omalizumab sowie ein gutes Ansprechen auf Ciclosporin A gekennzeichnet sein kann.
Es wird vermutet, dass die Unterschiede im Ansprechen auf die Standardtherapien teilweise auf die Heterogenität der Pathophysiologie der CSU zurückgeführt werden können, die zu unterschiedlichen Endotypen wie der Typ-I-Autoimmunität (autoallergische CSU) und der Typ-IIb-Autoimmunität führt. Derzeit befinden sich einige Therapien in der klinischen Entwicklung, die möglicherweise besser wirksam sind als bestehende Behandlungen und die auf endotypspezifische Mechanismen abzielen.
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